In ruhigerem Ton fuhr Colquhoun fort:»Wir haben Mitteilung erhalten, daß die Franzosen schon seit Monaten Schiffe ausgerüstet haben. Vor einigen Wochen lief von Toulon eine ganze Eskadron aus und schlüpfte durch unsere Patrouillen bei Gibraltar. «Er blickte von einem zum anderen.»Sie könnten nun hier in Richtung auf Amerika unterwegs sein — irgendwo —, das ist alles, was wir wissen. Der Teufel soll sie holen.»
In der langsamen Prozession durchlaufender Dünungswogen hatte sich die Fawn leicht gedreht. Durch die schwankenden Fenster konnte Bolitho nun die beiden Transportschiffe sehen. Riesig und ungeschlacht warteten sie mit backgebraßten Rahen auf das nächste Signal. Jeder Transporter war bis unter die Decksplanken mit dringend notwendigen Vorräten für die Armee in Philadelphia vollgestopft. In der Hand des Feindes wären sie eine ungeheure Beute. Diese Erkenntnis mußte in Colquhouns Gedanken wohl Vorrang haben.
Colquhoun begann wieder zu sprechen.»Die Miranda hat zugestimmt, bei dem Geleitzug zu bleiben, bis wir auf das Küstengeschwader treffen. Aber bei diesem verdammten Wetter kann das noch einige Wochen dauern.»
Bolitho stellte sich vor, wie Colquhoun in seinen Gedanken die Distanzen wie von einer Seekarte ablas. Welch anödende Aussichten, die ganze weite Strecke, all die vielen Meilen nach Antigua zurücksegeln zu müssen, um dort wieder den Oberbefehl über seine kleinen Seestreitkräfte übernehmen zu können.
«Darf ich vorschlagen, daß ich bei den Transportern bleibe, Sir«, sagte Maulby gedehnt.»Zusammen mit der Miranda werden wir ziemlich sicher sein. «Er blickte Bolitho an.
«Sie könnten dann auf der Sparrow nach English Harbour zurücksegeln, die Neuigkeiten dem Admiral übergeben und unsere eigenen Schiffe für weitere Aufträge bereithalten.»
Colquhoun starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.
«Diese verdammte, behagliche Selbstzufriedenheit unserer Regierung! Schon seit Jahren braut sich diese verteufelte Geschichte zusammen, und während die Franzosen Schiff um Schiff vom Stapel gelassen haben, hat man unsere aus Sparsamkeit verrotten lassen. Ließen wir morgen die Kanalflotte auslaufen, so wären meiner Meinung nach kaum mehr als zwanzig Linienschiffe in der Lage, in See zu gehen!»
Er bemerkte die Überraschung seiner Offiziere und nickte heftig.»O ja, meine Herren, während Sie hier draußen standen und dachten, daß beim Einsatzbefehl alles bereit wäre, mußte ich den Mund halten und die ganze Schweinerei mit ansehen. «Er schlug mit der Faust auf den Tisch.»Für eine ganze Reihe von Stabsoffizieren sind politische Macht und Wohlleben wichtiger als die Instandhaltung der Flotte.»
Er setzte sich schwer nieder.»Ich muß mich entschließen!»
Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und ein Fähnrich schaute mit verängstigtem Gesicht herein.»Signal von der Miranda, Sir. Sie bittet um Anweisungen für. «Er kam nicht weiter.
«Sagen Sie ihr, sie soll sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. «Colquhoun funkelte ihn zornig an.»Es ist meine Entscheidung!»
Bolitho schaute zu Maulby hinüber. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er ermessen, was es bedeutete, die Verantwortung eines Kommandos zu haben. Was Colquhoun auch immer entschied, es konnte sowohl richtig als auch falsch sein. Eines jedenfalls hatte Bolitho begriffen: Wenn man eine richtige Entscheidung getroffen hatte, heimsten oft andere den Erfolg ein. Hatte man aber falsch entschieden, dann mußte man die Schuld allein tragen.
Plötzlich sagte Colquhoun:»Lassen Sie Ihren Schreiber kommen, Maulby. Ich will neue Befehle für-«er blickte Bolitho an,»- für die Sparrow diktieren.»
Er schien seine Gedanken laut auszusprechen.»Ich zweifle nicht an Ihren Fähigkeiten, Bolitho, aber Sie haben keine Erfahrung. Ich werde auf Kapitän Maulbys Fawn bleiben, bis ich weiß, was sich in der nächsten Zeit ereignen wird.»
Als der Schreiber hereinschlüpfte, winkte ihn Colquhoun sofort zu sich an den Tisch.
«Sie, Bolitho, werden bei den Transportern bleiben. Der Kapitän der Miranda hat den Oberbefehl, und Sie werden ihm nach Kräften gehorchen. Ihre Befehle werden Ihnen gestatten, zur Flottille zurückzukehren, sobald die Transportschiffe abgeliefert sind. «Er machte eine Pause und wiederholte matt:»Abgeliefert sind.»
Bolitho stand auf.»Jawohl, Sir.»
«Gehen Sie nun und lassen Sie mich die Order abfassen.»
Maulby nahm Bolithos Arm und begleitete ihn auf das Geschützdeck.»Ich glaube, der kleine Admiral hat Sorgen, mein Freund. «Er seufzte.»Ich hatte gehofft, ich könnte ihn auf meinem Schiff loswerden und Ihnen zuschieben. «Dann fuhr er mit kurzem Grinsen fort:»Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
Bolitho sah seine Gig in der Dünung auf und nieder gleiten. Stockdale beschattete seine Augen und wartete darauf, wieder zur Fawn herangerufen zu werden.
«Die Nachrichten sind schlecht, aber sie kommen nicht unerwartet. Die Heimlichkeiten haben nun wenigstens ein Ende.»
Maulby nickte nachdenklich.»Nicht sehr angenehm für das Lamm, das gerade verschlungen wird.»
Bolitho starrte ihn an.»Es ist doch sicher nicht so ernst?»
«Ich bin da nicht so sicher. Was die Franzmänner heute tun, werden die verdammten Spanier morgen nachahmen. Wir werden bald die ganze Welt am Hals haben. «Er runzelte die Stirn.»In einer Hinsicht hat unser kleiner Admiral schon recht. Es scheint, daß unsre Regierung von Dämonen befallen ist, die darauf aus sind, uns alle verrückt zu machen.»
Der Erste Leutnant eilte auf sie zu und überreichte einen frisch versiegelten Umschlag.
Maulby klapste Bolitho auf die Schulter und sagte fröhlich:»Denken Sie manchmal an uns. Während Sie sich auf Ihrer gemütlichen Reise vergnügen, bin ich gezwungen, meinen Tisch mit ihm zu teilen.»
Er rieb seine Hände.»Aber mit einigem Glück wird er befördert werden und für immer verschwinden.»
Der Leutnant unterbrach ihn eindringlich.»Eine Empfehlung von Kapitän Colquhoun, Sir, Sie möchten bitte sofort zu ihm kommen.»
Maulby nickte und streckte seine Hand aus.»Bis wir uns wiedersehen, Bolitho. «Er schien ihn nicht gerne gehen zu sehen, dann fuhr er etwas linkisch fort:»Seien Sie gewarnt, mein Freund. Sie haben ein schönes Kommando, aber Sie haben auch einen großen Anteil an Kolonisten in Ihrer Besatzung. «Er versuchte zu lächeln.»Wenn der Krieg sich zum Schlechten wendet, dann werden sicher einige versucht sein, ihre Treue umzukehren. Steckte ich in deren Haut, so würde ich es vielleicht genauso machen.»
Bolitho begegnete seinem Blick und nickte:»Danke, ich werde mich daran erinnern.»
Maulby verbarg seine Erleichterung nicht.»Sehen Sie, ich wußte ja, daß Sie ein rechter Kerl sind. Nicht so einer, der meinen unbeholfenen Rat für Herablassung hält.»
«Sie haben einiges riskiert«, meinte Bolitho grinsend.»Ich hätte zu Colquhoun gehen und ihm erzählen können, wie Sie ihn betiteln.»
«Ich hätte es abgeleugnet!»
«Gewiß.»
Sie lachten beide.
Als dann die Gig an der Fawn anhakte, wurden sie wieder förmlich.
Schon bevor Bolitho wieder im Boot saß, sausten Flaggen an den Leinen der Fawn hoch, und augenblicklich erschien drüben auf der Fregatte das Erkennungszeichen.
Bolitho setzte sich im Heck zurecht und starrte zu seinem Schiff hinüber. Colquhoun hatte eine Entscheidung getroffen und Verantwortung übernommen.
Bald würde auch er nun die Last der Verantwortung zu spüren bekommen.
Leutnant Tyrell wandte sich um, als Bolithos Kopf und Schultern im Luk des Achterdecks erschienen, und wartete, bis der Kapitän seine übliche Überprüfung der Segelstellung und des Kompasses beendet hatte.
«Sie läuft jetzt gut, Sir«, meinte er dann.
Bolitho stapfte über das ziemlich stark gekrängte Deck und legte seine Hände auf die Reling. Er fühlte das Schiff wie ein lebendiges Wesen unter sich beben. Die Mittagssonne stand hoch über der Sparrow, aber er brachte es fertig, sich trotz der Hitze nicht darum zu kümmern, er beachtete nur die prall stehenden Segel und den Gischt, der am Bugsprit aufsprühte und über die Back wehte. Fünf Tage waren vergangen, seitdem die Fawn wieder Kurs auf Antigua genommen hatte, und es schien, als ob das Verschwinden Colquhouns aus ihrem Verband Glück und Wetter geändert hätte.