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Riley konnte sich kaum aufrecht halten, als Crivaro sie vorsichtig zu einem der Polizeibusse führte. Sie spürte immer noch, wie die Augen des toten Mädchens sie anstarrten.

Ich habe jemanden getötet, dachte sie.

Sie hatte noch nie zuvor in ihrem Leben jemanden getötet.

Und nun hatte sie keine Ahnung, wie sie damit klarkommen sollte.

KAPITEL ZWEI

Als Rileys Verlobter, Ryan Paige, versuchte seinen Arm um ihre Schulter zu legen, entzog sie sich ihm. Es war heute Abend nicht das erste Mal, dass sie reflexartig seinen Berührungen auswich. Sie war sich sicher, dass es seine Gefühle verletzte, aber sie konnte nicht anders.

Nach der Schießerei in Jennings, war Riley mit Jake nach Quantico zurückgeflogen und dann mit dem Auto zurück nach DC gefahren. Sie saß auf der Couch neben Ryan in ihrer kleinen Erdgeschosswohnung, doch die Bilder in ihrem Kopf waren noch vom ersten Teil dieses langen Tages.

Riley konnte Heidi Wrights tote Augen in den Schneefall starren sehen und war nicht in der Lage ihre Schuldgefühle abzuschütteln. Sie wusste, dass es irrational war, aber sie spürte nicht, dass sie gerade irgendjemandes Zuneigung verdiente.

„Was kann ich tun?“, fragte Ryan.

„Nichts“, antwortete sie. „Bleib einfach hier bei mir sitzen.“

Sie saßen schweigend da und Riley war dankbar für Ryans Anwesenheit. Die letzten Monate über hatten sie ihre Differenzen gehabt, aber in diesem Moment erschien er ihr als genau der gutaussehende, aufrichtige und rücksichtsvolle junge Mann, in den sie sich in ihrem letzten Semester an der Universität verliebt hatte.

In der Zwischenzeit ging sie in Gedanken immer wieder das durch, was passiert war, seitdem sie Heidi erschossen hatte. Es war alles wie im Traum und während ihres Fluges zurück nach Quantico hatte Agent Crivaro ihr immer wieder gesagt, dass sie im Zustand des Schocks war.

Ich nehme an, das bin ich immer noch, dachte sie.

Sie hatte immer noch alle physischen Symptome des Schocks, einschließlich kalter, schwitzender Hände und eines Zustandes von immer wiederkehrendem Schwindel und Verwirrung.

Wie lange würde es dauern, bis diese Symptome verschwanden?

Mit emotionsloser und monotoner Stimme, die selbst ihr merkwürdig vorkam, hatte sie Ryan soeben den gesamten Vorfall geschildert. Sie konnte sich gerade noch davor zurückhalten, die Ereignisse nicht aus der dritten Person Perspektive zu erzählen. Es war schwierig gewesen das Wort „ich“ zu verwenden, als sie über ihre eigenen Handlungen sprach. Sie wollte die ganze Zeit daran glauben, dass diese ganze Sache jemand anderem passiert war.

Als sie fertig war, hatte Ryan mit einer sanften Stimme gesagt: „Eine Sache verstehe ich immer noch nicht. Ich nehme an, dass es irgendwie Sinn gemacht hat, dass Heidi so getan hat, dass sie die Geisel war, zumindest für einige Momente. Es war ein verzweifelter Bluff. Aber wieso ist sie direkt auf den Parkplatz gekommen? Wieso hat sie versucht...?“

Ryan verstummte, aber sie wusste, welche Worte er nicht auszusprechen wagte.

„Wieso hat sie versucht, dich umzubringen?“

Riley erinnerte sich an den Moment, als das Mädchen im Eingang des Motelzimmers gestanden hatte, bevor sie die fatalen Schritte auf den Parkplatz machte, und wie sie Orins unverständlichen Protest vernommen hatte.

Sie sagte zu Ryan: „Orin wollte nicht, dass sie da raus geht. Er hatte versucht, sie zu überreden. Aber ich nehme an, sie dachte... sie hatte begriffen... dass es vorbei war. Sie wollte ihren Abgang machen...“

Ihre eigene Stimme verhallte nun, als ein dummes Cliché ihr auf der Zunge lag.

„...mit Pauken und Trompeten.“

Ryan schüttelte den Kopf.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie du dich fühlen musst“, sagte er. „Aber meine Güte, Riley, sie und ihr Freund haben sechs Menschen ermordet. Du kannst nicht sagen, dass sie das, was mit ihr passiert ist, nicht verdient hat.“

Riley hatte das Gefühl, als wäre der Klang dieses Wortes wie eine Ohrfeige.

Verdient.

In diesem Moment fühlte sie sich selbst so schmerzlich unwürdig von Ryan Aufmerksamkeit oder gar Zuneigung zu erhalten. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, zu denken, dass Heidi Wright verdient hatte, was Riley ihr angetan hatte.

Hat Ryan recht? dachte sie.

Sie dachte über das Wenige nach, was sie vom Leben des Mädchens wusste –– einem Leben von unvorstellbarer Grausamkeit und Missbrauchs, wie es aussah. Heidi und ihr Freund hatten ihren Amoklauf begonnen, als ihr eigener Vater und Bruder sie sexuell missbraucht hatten. Riley konnte Orin keinen Vorwurf daraus machen, dass er diese Männer umgebracht hatte. Dann, nachdem das passiert war, mussten Orin und Heidi sich beide zu verzweifelt gefühlt haben, um zu begreifen, was sie taten.

Und auch zu jung, dachte Riley.

Erneut konnte Riley nicht anders, als an Heidis frisches, lächelndes Gesicht zu denken, in dem Moment, als sie die Waffe auf Riley gerichtet hatte –– dem Moment vor ihrem eigenen Tod.

Riley murmelte laut: „Heidi war nur ein Kind, Ryan. Sie hat es nicht verdient, so zu sterben. Was sie verdient hatte, war ein besseres Leben, als das, in dem sie feststeckte.

Ryan sah Riley mit einem ungläubigen Blick an.

„Aber du hattest keine Wahl“, sagte er. „Wenn du nicht geschossen hättest, wärst du jetzt ganz bestimmt...“

Er verstummte erneut. Riley wusste, welches Wort er einfach nicht aussprechen konnte.

Tot.

„Ich weiß“, sagte Riley seufzend. „Das ist was Agent Crivaro mir auch immer wieder sagt. Er sagt, es wäre gerechtfertigt. Dass es sogar Einhaltung der Vorschrift war. Es war Selbstverteidigung, ein klarer Fall ‚unmittelbarer Gefahr des Todes oder ernsthafter Körperverletzung‘.“

„Crivaro hat recht, Riley“, sagte Ryan. „Das weißt du bestimmt.“

„Ich weiß“, sagte Riley.

Und rational betrachtet wusste sie es auch wirklich. Doch auf irgendeiner grundlegenden Ebene konnte sie dieses Urteil einfach nicht akzeptieren. Sie hatte gerade das Gefühl von ihrem ganzen Körper beschuldigt zu werden. Sie fragte sich, ob sie dieses Gefühl jemals überwinden würde.

Ryan berührte vorsichtig ihre Hand und Riley ließ zu, dass er sie festhielt. Ryans Hand fühlte sich beinahe heiß an, gegen den kalten Schweiß auf ihrer Haut.

Ryan sagte: „Riley, wie oft wirst du sowas durchmachen müssen?“

„Das ist meine Arbeit“, sagte Riley.

„Ja, aber... was für eine Arbeit ist das, die dich dazu bringt, dich so schrecklich zu fühlen? Ist das wirklich was du aus deinem Leben machen willst?“

„Irgendjemand muss es machen“, sagte Riley.

„Musst du dieser irgendjemand sein?“, fragte Ryan.

Riley hatte keine Ahnung, wie sie diese Frage beantworten sollte. Und so sehr sie Ryans Fürsorge auch schätzte, sie war sich nicht sicher, wie aufrichtig diese wirklich war. Um wen war Ryan im tiefsten Inneren wirklich besorgt –– und Riley oder um sich selbst?

Sie hasste es, ihn so zu hinterfragen, aber sie konnte nicht anders. Während der kurzen Zeit, in der sie zusammen waren, hatte sie zu ihrem Entsetzen feststellen müssen, dass Ryan einen egoistischen Zug hatte. Und er hatte genügend rein egoistische Gründe das zu hassen, was sie gerade tat. Er hasste sogar ihre tägliche Anfahrtszeit nach Quantico. Es nahm ihm seinen hochgeschätzten Ford Mustang weg und zwang ihn, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, um täglich zu seiner Arbeit in einer Anwaltskanzlei zu kommen. Er hatte nicht versucht die Tatsache, dass er das erniedrigend fand, vor ihr zu verbergen.

Ryan drückte ihre Hand und sagte: „Vielleicht solltest du einfach über eine Veränderung nachdenken. Wir können von meinem Gehalt leben. Wir haben sogar ein Sparkonto aufgemacht. Selbst wenn du zuhause bleiben würdest –– und ich weiß, dass du das nicht willst –– könnte ich trotzdem für uns beide sorgen. Ich könnte uns sogar schon bald eine schönere Wohnung mieten. Du musst das nicht machen... für uns.“

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