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Sie lief zum Wagen rüber und merkte, dass die Seitentür offenstand. Sie schaute hinein und sah, dass der leere, offene Innenraum von den Vordersitzen durch eine Art Gitter abgetrennt war. Sie konnte niemandem im Inneren des Wagens erkennen.

Kimberly fragte sich, ob der Fahrer womöglich Motorprobleme gehabt hatte und sich vielleicht gerade nach Hilfe umsah. Wenn es ein Fremder war, der nicht von hier kam, würde er nicht wissen, an wen er sich wenden sollte.

Vielleicht kann ich helfen, dachte sie.

Sie suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy, denn sie dachte, sie könnte ihren Dad anrufen. Doch dann zögerte sie einen Moment lang, unsicher, ob sie Dad wirklich aufwecken wollte, selbst wenn es darum ging einem verirrten Fremden zu helfen.

Sie hörte Schritte, die sich näherten und als sie sich umdrehte, erblickte sie ein bekanntes Gesicht.

„Ach, du bist es...“, sagte sie und verspürte eine momentane Erleichterung.

Doch sein Gesichtsausdruck ließ sie alle Worte verschlucken, die hätten folgen können. Sie hatte seinen Blick noch nie so kalt und hart erlebt.

Ohne ein Wort zu sagen, griff er nach ihr und riss ihr die Handtasche und das Handy aus der Hand.

Nun stieg Angst in Kimberly hoch. Die Dinge, die sie tun könnte, rasten durch ihren Kopf.

Um Hilfe schreien, sagte sie sich. Jemanden aufwecken.

Doch plötzlich wurde sie hochgehoben und gewaltsam in den Kleintransporter geworfen.

Die Tür knallte zu und die Innenbeleuchtung erlosch.

Sie fummelte nach dem Türgriff, doch stellte fest, dass die Tür verschlossen war.

Endlich kam Kimberlys Stimme wieder.

„Lass mich hier raus!“, schrie sie und hämmerte gegen die Tür.

Dann ging die Fahrertür auf und der Mann kletterte hinein.

Der Kleintransporter fuhr los.

Kimberly klammerte sich am Gitter fest, das sie vom Fahrer trennte, und forderte: „Was machst du? Lass mich hier raus!“

Doch das Fahrzeug fuhr immer weiter durch die Straße und Kimberly wusste, dass niemand in dieser verschlafenen Nachbarschaft sie hören konnte.

KAPITEL EINS

Als der erste Schuss fiel, reagierte Riley Sweeney schnell. Genau wie sie an der Academy gelernt hatte, ging sie direkt hinter der nächsten Abschirmung in Deckung –– einem Honda, der vor dem Motel parkte, in dem sich zwei Mörder versteckten. Sie hatte allerdings nicht das Gefühl, dass der kompakte Wagen ihr besonders viel Schutz bieten konnte.

Es war kalt zu dieser Jahreszeit im Norden des Bundesstaats New York, es fiel Schnee. Die Sichtverhältnisse waren überhaupt nicht gut. Das hier war Rileys erster bewaffneter Konflikt und sie war sich nicht sicher, dass sie ihn überhaupt überleben würde.

Sie sah durch das Wirbeln der Schneeflocken, dass Spezialagent Jake Crivaro viel sicherer hinter einem massiven SUV Zuflucht genommen hatte. Crivaro, ihr Partner und Mentor, schaute besorgt aus, als er sich nach ihr umsah. Riley wünschte, dass sie ihm signalisieren könnte, dass alles ok sein würde. Wie auch die sechs Polizisten vor Ort, die soeben mit ihnen angerückt waren, trugen Riley und Crivaro Schutzwesten. Doch Riley wusste, dass sie nicht zu viel von ihrer schusssicheren Weste erwarten durfte. Ein gezielter Schuss in den Kopf –– selbst ein versehentlicher Schuss –– könnte tödlich sein. Crivaro hielt einen Lautsprecher an seinen Mund und rief hinein: „Hier spricht Spezialagent Jake Crivaro vom FBI. Ich bin hier mit meiner Partnerin und den lokalen Justizvollstreckungsbeamten. Wir haben euch umzingelt. Es gibt kein Entkommen. Kommt mit erhobenen Händen raus.“

Es folgte keine Antwort aus dem Motelzimmer, in dem die beiden Mörder sich verschanzt hatten. Stattdessen hörte man nur das gespenstische Pfeifen des Windes.

Riley lugte vorsichtig hinter dem kleinen Auto hervor und versuchte das Motelzimmer zu identifizieren. In genau diesem Moment hörte man ein lautes Knacken zusammen mit einem schrillen, eindringlichen Geräusch –– etwas zwischen einem Pfeifen und einem Summen.

Eine Kugel war direkt an ihr vorbeigeflogen. Riley zog ihren Kopf zurück aus der Sichtlinie. Sie japste, als sie begriff: Gerade hat jemand zum ersten Mal auf mich geschossen.

Sie hatte viel mit echter Munition trainiert, doch nichts davon war jemals auf sie persönlich abgefeuert worden.

Genau wie Crivaro und die Polizisten es getan hatten, hatte sie bereits ihre Waffe gezogen –– eine .40 Kaliber semiautomatische Glock.

Sie fühlte sich ungeschickt mit der Waffe in ihren Händen.

Sie dachte sich, dass sie froh sein sollte, dass sie vor Kurzem auf eine machtvollere Waffe umgestiegen war, als die .22 Kaliber Pistole, die sie zusammen mit ihrer FBI Dienstmarke bekommen hatte. Doch diese hier war weniger vertraut und sie wusste noch nicht, was sie mit ihr alles würde tun müssen.

Sie wusste, dass sie jetzt nicht zurückschießen durfte –– wie scheinbar alle anderen im Team auch. Sie wollten alles in ihrer Macht tun, um diese Situation ohne unnötigen Waffeneinsatz zu beenden.

Sie vermutete, dass einige der Polizisten, die sich in der Nähe aufhielten, sich genauso wie sie fühlten. Einige von ihnen waren vielleicht genauso frisch dabei, wie sie es war. Seitdem sie letztes Jahr ihre Ausbildung beim FBI abgeschlossen hatte, hatte Riley sich gefragt, wie sie sich fühlen würde, wenn sie zum ersten Mal in einer derartigen Situation sein würde.

Und jetzt, wo sie mitten drin war, wusste sie es immer noch nicht.

Einer Sache war sie sich sicher –– sie hatte kein Gefühl von Panik. Tatsächlich hatte sie überhaupt keine Angst. Es war eher so, als stünde sie neben sich und würde von der Seite betrachten, was gerade passierte, wie eine Art emotionsloser Beobachter. Die Situation erschien ihr absolut surreal, fast traumartig. Doch sie wusste, dass ihr gesamter Körper von Adrenalin durchströmt war, und dass sie bei klarem Verstand bleiben musste.

Die Tatsache, dass zumindest eine Person in diesem Team wusste, was sie tat, machte ihr ein wenig Mut. Dies hier war bei Weitem nicht die erste Erfahrung dieser Art für Agent Crivaro. Der kleine, kräftige Mann war eine FBI Legende mit einer langen Liste schwieriger Fälle, die er gelöst hatte.

Riley lehnte sich gegen das Auto und wartete auf irgendein Zeichen, was zu tun sei. Während dieser stillen Momente dachte sie daran zurück, wie dieses Team sich auf der Polizeiwache vor Ort versammelt hatte. Es war bloß eine kurze Weile her, doch in diesem Moment fühlte es sich so an, als wären bereits Tage oder gar Wochen vergangen. Sie wurden alle genau aufgeklärt über die Mörder, die sie zu stellen versuchen würden.

Als sie die Fotos der beiden gesehen hatte, hatte sie gedacht: Kinder. Sie sind bloß zwei Kinder.

Der siebzehnjährige Orin Rhodes und seine fünfzehnjährige Freundin Heidi Wright hatten ihre Mordserie nur einige Tage zuvor begonnen, in dem nahegelegenen Ort Hinton. Es hatte mit einem einfachen Akt purer Verzweiflung begonnen.

Heidi hatte Orin angerufen und ihm gesagt, dass sie zuhause in Gefahr sei. Orin hatte die Waffe seines Vaters genommen und war zu Heidi nach Hause gefahren und hatte sie dort vorgefunden, als sie von ihrem Vater und ihrem Bruder sexuell missbraucht wurde. Orin hatte beide ihrer Angreifer getötet.

Dann hatte sich Heidi die Waffe ihres eigenen Vaters geschnappt und sie und Orin hatten sich auf die Flucht begeben. Als sie merkten, dass sie kein Geld hatten, versuchten sie einen Spirituosenladen zu überfallen. Aber der Überfall ging schief und am Ende töteten sie den Ladenmanager und einen der Angestellten.

Die Polizei war nicht sicher, was genau danach geschehen war. Sie wussten, dass die Jugendlichen im Ort Jennings aufgetaucht waren, wo sie zwei absolut unschuldige Menschen gequält und ermordet hatten –– einen Handwerker mittleren Alters und ein siebzehnjähriges Mädchen. Dann war das Mörderpärchen erneut abgetaucht.

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