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Bald daraufhin bog Quayle vom Highway auf eine kleinere Landstraße ab. Als sie hinaus aufs Land fuhren, betrachtete Riley die hübsche, schneebedeckte Hügellandschaft mit vereinzelten Bäumen hier und da, aus dem Fenster. Obwohl die Landschaft keine Berglandschaft war, die das westliche Virginia, wo Riley aufgewachsen war, wurde Riley an Szenen ihrer Kindheit in den Appalachen erinnert.

Die Fahrt brachte Erinnerungen in Riley hoch –– mache waren nostalgische, aber viele waren traurige. Vieles an ihrer Kindheit war schwierig gewesen, besonders nachdem ihre Mutter vor ihren Augen in einem Süßigkeitenladen erschossen worden war. Obwohl die Schönheit dieser Landschaft sie zutiefst rührte, hatte sie in einem sehr jungen Alter gelernt, dass Schönheit und Hässlichkeit oft Seite an Seite koexistierten.

Und hier ist etwas sehr Hässliches passiert, dachte sie.

„Wir sind gleich da“, sagte Sheriff Quayle.

Als sie hinter eine weitere Kurve bogen, sah Riley ein geparktes Auto und zwei Menschen –– einen Mann und eine Frau –– dastehen, wo die Straße breit genug war, um Fahrzeuge am Straßenrand zu parken. Es sah danach aus, als hätte der Verkehr den meisten Schnee in der Gegend zum Schmelzen gebracht.

Die zwei Menschen standen wenige Meter von der Straße entfernt und schauten beide auf etwas. Es war ein weißes, ungefähr einen Meter hohes Kreuz.

Kimberly Dents Eltern, vermutete Riley.

Ihr Herz machte einen kleinen Sprung bei dem Gedanken, die trauernden Eltern kennenzulernen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass jetzt gleich tun zu müssen und sie war sich sicher, dass auch Crivaro das nicht erwartet hatte.

Sheriff Quayle fuhr an die Straßenseite und parkte sein Fahrzeug hinter dem bereits dort stehenden Auto. Riley und Crivaro stiegen mit ihm zusammen aus und gingen alle auf das Paar zu, das ihre Ankunft kaum bemerkt zu haben schien.

Riley konnte nun das Denkmal am Straßenrand genauer erkennen. Das einfach gestrichene Holzkreuz trug die Aufschrift von Kimberly Dents Namen. Irgendjemand –– das Paar, wie Riley vermutete –– hatte einen Strauß künstlicher Blumen davorgelegt. Das Paar stand mit gesenkten Köpfen da, wie in der Kirche.

Der Mann hatte einen Holzhammer in der Hand, er musste das Kreuz also gerade eben erst in die Erde geklopft haben. Das Paar hatte das Kreuz mit Steinen, die ein Herz formten, umrahmt.

Das Paar drehte sich um, als sie Sheriff Quayles Stimme vernahmen.

„Phil, Claudia, ich habe zwei Leute dabei, die ich euch vorstellen will.“

Sheriff Quayle stellte Phil und Claudia Dent Riley und Crivaro vor. Riley und Crivaro sprachen beide ihr Beileid aus und entschuldigten sich dafür, dass sie in so einem Moment einige Fragen stellen mussten.

Riley sah, dass Phil und Claudia beide ernste, hagere Gesichter hatten. Zweifellos sahen sie trauriger als sonst aus, aber Riley hatte das Gefühl, dass sie auch unter anderen Umständen nicht sehr oft lächelten. Sie fragte sich, ob ihre Tochter auch so eine ernste Miene getragen hatte. Irgendwie bezweifelte sie das. Ohne genau zu wissen, wieso, stellte Riley sich Kimblery Dent als typisch fröhliche und ausgelassene Jugendliche vor.

In einer monotonen und ausdruckslosen Stimme sagte Claudia zu Riley und Crivaro: „Ich hoffe Sie finden denjenigen, wer das getan hat.“

„Wir werden unser Bestes geben“, sagte Crivaro. „Haben Sie irgendeine Ahnung, wer ihrer Tochter etwas Böses wollte?“

Phil sagte ziemlich spitz: „Jemand, der uns nicht mag.“

Riley war verwundert über seine Betonung auf dem Wort uns.

Claudia sagte: „Niemand von hier. Jemand von irgendwo anders.“

Sie richtete sich etwas auf und fügte hinzu: „Es kommt immer mehr zu sowas in dieser Welt.“

Während Crivaro dem Paar weitere Fragen stellte, hatte Riley das Gefühl, dass ihr Einiges immer klarer wurde –– einschließlich der schroffen Einstellung des Sheriffs ihnen gegenüber. Sie dachte an etwas, das er ihr und Crivaro während der Fahrt gesagt hatte.

„Wir haben keine Probleme wie die, an die Leute wie Sie gewohnt sind.“

Er hatte auch gesagt: „Was für ein Tag, an dem wir Leute wie Sie in unserer Gegend brauchen.“

Aus ihrer eigenen Kindheit wusste Riley, dass ländliche Bewohner „ein bisschen autark“ sein konnten, wie Sheriff Quayle sich ausgedrückt hatte, und an ihren antiquierten Lebensvorstellungen festhalten konnten. Doch das Leben dort draußen veränderte sich schnell und veränderte sich ständig.

Riley vermutete, dass Phil und Claudia das Gefühl hatten, als würde die Welt sie in letzter Zeit umzingeln, ihre Lebensweise bedrohen. Und nun hatte der Mord an ihrer Tochter dieses Gefühl in ihnen nur noch verschärft.

Sie wollen wirklich nicht daran glauben, dass der Mörder einer von ihnen sein könnte, dachte Riley.

Stattdessen wollten sie glauben, dass der Mörder irgendein Außenseiter war, irgendjemand, der solche Menschen wie sie hasste –– irgendjemand aus der Welt, aus der Riley und Crivaro kamen.

Es machte Riley traurig, dass es gut möglich war, dass sie sich irrten.

Während Riley über all das nachdachte, stellte Crivaro dem Paar weitere Fragen.

„Hatte Kimberly einen Freund?“, fragte Crivaro.

Die Eltern zuckten leicht zusammen.

„Nein“, sagte Phil.

„Bestimmt nicht“, fügte Claudia hinzu.

Riley und Crivaro tauschten flüchtig überraschte Blicke aus. Das Paar klang beinahe so, als hätten sie die Frage beleidigend gefunden.

Dann sagte Crivaro: „Und eine beste Freundin? Ein anderes Mädchen, meine ich.“

Claudia sagte: „Das wäre Goldie Dowling.“

„Könnten Sie mir sagen, wie wir sie erreichen?“, fragte Crivaro.

Sheriff Quayle sagte zu Crivaro: „Das kann ich für Sie übernehmen.“

Crivaro nickte und sagte dem Paar, dass er erstmal keine weiteren Fragen hatte. Er bat sie, das Büro des Sheriffs zu kontaktieren, falls ihnen irgendetwas einfallen sollte, was wichtig sein könnte.

Claudia trat einen Schritt vom Denkmal zurück und nickte, zufrieden mit dem Anblick.

Sie sagte: „Die Leute werden bald Blumen und so etwas hierherbringen, um es zu verzieren. Es wird sehr hübsch aussehen. Aber ich hoffe, die Leute haben einen gesunden Menschenverstand und bringen keine echten Blumen. Die würden bei diesem Wetter schnell verwelken.“

Dann verzog sie die Miene und fügte hinzu: „Alles Lebendige würde verwelken, wenn man es hier lassen würde.“

Riley konnte eine ganze Welt kalter Verbitterung in diesen schillernden Worten heraushören. Als die Dents sich abwendeten und zu ihrem Auto gingen, bemerkte Riley zwei Dinge. Phil und Claudia hatten einander keinerlei physische Wärme oder Trost gespendet. Sie hatten sich nicht einmal an den Händen gehalten.

Außerdem hatte keiner der beiden geweint.

Riley fragte sich, ob das ungewöhnlich war, besonders für die Frau. Dann erinnerte sie sich an ihre eigenen Reaktionen, nachdem sie Heidi Wright getötet hatte –– die Taubheit, die stundenlang an ihr gehaftet hatte, bis sie endlich alleine in ihrer Wohnung weinen konnte.

Vielleicht hat sie bereits sehr viel geweint, dachte Riley. Oder vielleicht hat ihre Trauer noch nicht richtig eingesetzt.

Als das Paar davonfuhr, sagte Sheriff Quayle zu Riley und Crivaro: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo die Leiche gefunden wurde.“

Sie begannen sich vom Straßenrand zu entfernen und gingen auf die etwas abseits wachsenden Bäume und Gestrüpp zu.

Crivaro fragte: „Haben Sie irgendeine Ahnung, was für ein Fahrzeug der Mörder benutzt hat?“

„Nein, und ich weiß nicht, wie wir es herausfinden könnten“, sagte Quayle und zeigte auf den Boden. „Der Seitenstreifen hier ist mit einer dicken Schotterschicht bedeckt und es liegt kaum noch Schnee. Ein Fahrzeug würde hier keinerlei nennenswerte Reifenabdrücke hinterlassen.“

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