„Mit wem bist du denn hierhergekommen?“
Die kuriose Situation endete damit, dass sie, auch als der zweite Mann im blauen Hemd vor ihr stand, diese Frage nicht klar und adäquat beantworten konnte. Frech betrachtete sie die Gesichter der beiden und versuchte, darin bekannte Züge zu erkennen.
Das Warten auf den Vertrag war eine Qual für Natalja. Sie wurde des Herumsitzens in den Bars bald überdrüssig. Die blöden Arschlöcher, die sie dort traf, waren nach ein paar Flaschen sowieso alle gleich. Deshalb beschloss Natalja, in Erwartung eines Wunders, selbst Stella anzurufen und sie nach den neuesten Ereignissen in ihrem Leben zu fragen.
„Moschi, Moschi!“ So meldet man sich in Japan am Telefon.
„Hallöchen, meine Süße! Was machst du gerade?“
„Ich saufe, vor lauter Sehnsucht nach dir.“
„Klasse, ich auch.“
„Na, erzähl mir von deiner Arbeit. Was machst du da alles? Ich brauche schmutzige Details!“
„Es gibt leider keine!“
„Ah so! Also, leider sagst du, trotz allem?“
„Ich würde gerne mal die Sau rauslassen, wenn du das meinst! Aber hier ist tote Hose!“
„Ich bin so traurig ohne dich! Alle kommen mir so einerlei und uninteressant vor.“
„Glaub mir, in der Ukraine sind die Typen top! Hier in Japan sind sie alle gleich. Ich komme auf die Arbeit, gehe in die Umkleide, schminke mich und mache Frisur. Das Haar muss schön frisiert sein, so steht es im Vertrag. Um punkt zwanzig Uhr muss ich mit allen anderen an einem großen Tisch in der Mitte des Klubs sitzen und auf Kunden warten. Wenn der erste Kunde erscheint, stehen alle Mädchen auf und grüßen:
„Konbanwa.“ – Guten Abend auf Japanisch. Der Japaner geht langsam weiter, schaut sich die Mädchen an und nimmt im Saal Platz. In diesem Moment beginnt das Showprogramm mit dem Blumenverkauf.
Erinnerst du dich, wie Darja uns davon erzählt hat?“
„Ja, vage. Und was weiter?“
„Nachdem der Gast sich hingesetzt hat, führt eine Mitarbeiterin des Klubs, sie werden Hostess genannt, die Mädchen zu seinem Tisch. Der wählt aus, oder lädt sie alle ein, sich zu ihm zu setzen. Bei einem Japaner können mehrere Mädchen sitzen, wenn er bereit ist, für sie alle Getränke zu bestellen, die gerade nicht billig sind. Die Auswahl an Drinks ist nicht groß. Saft, Pflaumenwein oder Rum mit Cola. Alle Getränke werden dem Kunden zum gleichen Preis angeboten. Aber nach meiner Ankunft wurde der Rum von der Karte gestrichen. Sie haben dort noch nie gesehen, dass ein Mädchen so viel trinkt.“
„Ahahaha, bald machen sie das auch mit dem Wein! Dann bleibt dir nur noch der Saft.“
„Ich? Saft? Dann müsste ich mir eine Flasche mitbringen, unter meiner Kleidung versteckt.“
„Erzähl weiter! Es ist so interessant!“
„Dann sitzt er so stolz da, als ob sein Schwanz länger wäre als fünf Zentimeter, umgeben von Mädchen, und schaut sich die Show an. Die Mädchen wechseln sich immer wieder ab, je nach dem, wer gerade mit dem Tanzen an der Reihe ist. Das wird dann alles am Tisch besprochen, begleitet von Witzen, wer welche Titten hat oder welcher Tanz besser war. Komisch sind sie schon, offen gesagt. Unsere Kerle oder die Russen hätten gleich alle begrabscht. Aber die Japaner sitzen bloß rum, bewegen sich kaum und reißen Witze über Sex, den sie wohl nur aus Büchern kennen.“
„Unsere Männer sind die besten! Auch wenn sie gerissene Mistkerle sind! Aber unsere Mistkerle! Apropos, ich habe einen neuen Freund!“
„Erschreck mich nicht, Natalja! Wer ist er?“
„Er heißt Ljonja. Und nach Genf will ich nicht mehr.“
„Bist du dir sicher, dass er wirklich so heißt? Woher kennst du ihn? Gestern gab es ihn noch nicht!“
„Hör auf zu lästern. Das ist Liebe auf den ersten Blick!“
„Bring mich nicht zum Lachen! Willst du nicht mehr nach Genf? Wird Ljonja dich im Zuchthaus besuchen?“
„Stella, mit dir kann man einfach nicht über Romantik reden!“
„Warum denn nicht? Ist die Geschichte von Natalja und Ljonja, der seine Geliebte im Knast besucht, etwa nicht romantisch?“
„Verdirb mich nicht die Laune! Erzähl mir lieber von den kleinen japanischen Pimmeln. Was macht dein Jamoguchi?“
„Na, was soll ich denn noch erzählen? Man sitzt ein wenig herumgesessen, dann tauscht das Personal die Mädchen aus. Diejenigen, die dem Gast nicht gefallen haben, werden weggebracht. Es bleiben meistens die Rumäninnen. Die können Fremdsprachen und labern wie ein Wasserfall. Ich kann das leider nicht. Dafür habe ich ihnen ein Münzenspiel um Geld beigebracht. Jedes Spiel zehn Dollar. An einem Abend kann man damit hundert Dollar verdienen.“
„Wie geht das Spiel? Ich würde gerne die Schweizer in Genf ausnehmen.“
„Du wirst das kaum brauchen. Du wirst sie mit anderen Spielen um mehrere hundert Dollar bringen. Hahahaha!”
„Ich will so sehr zu dir! Sogar nach Japan! Ich langweile mich. Ohne dich passiert nichts in Moskau. Aber ich will Abenteuer erleben.“
„Es geht doch morgen schon los! Hurra! Dich erwartet viel Neues, Unbekanntes und Schönes. Ich stelle mir vor, wie du aus einem Flugzeug steigst, mit einer sauteueren Schweizer Uhr am Handgelenk und mit einem Millionär am Arm. Ich treffe euch am Flughafen und freue mich im Inneren über deine Siege.“
„Oh ja! Stella! Genau so wird es sein. Ich habe schon meine Sachen gepackt. Ich bin gleichzeitig froh und traurig und ängstlich. Gemischte Gefühle vor der Ungewissheit. Ich will nicht über traurige Sachen reden. Erzähl weiter, was du noch erlebt hast. Du bist meine Spielmünze.“
„Das Spiel ist ganz lustig. Es passt gut für eine große Gesellschaft, besonders für Raucher oder Betrunkene, denen man während des Spiels eine Zigarette stecken kann.
Man legt eine Serviette auf ein normales Glas. Damit sie nicht rutscht, kann man den Glasrand mit einem Stück Eis einreiben. Ein Eiskübel steht während des ganzen Abends auf jedem Tisch. Auf die Mitte der Serviette wird eine Münze gelegt. Danach brennen alle Spieler, die am Tisch sitzen, mit ihren Zigaretten je ein Loch um die Münze herum hinein. Derjenige, bei dem dabei die Münze ins Glas fällt, hat verloren. Die Japaner haben meistens schlechte Augen und mit ihren Zigaretten wild in die Gegend. Die treffen nicht einmal das Glas. So gehe ich durch den Klub wie ein Sparschwein, mit einer Münze im Glas.“
Am anderen Ende war das feine Lachen der Freundin zu hören.
„Sag mal, arbeiten viele Russinnen bei euch?“
„Nein, es gibt wenig Russinnen. Wenn man Weißrussinnen nicht dazurechnet. Dafür gibt es eine Menge Ukrainerinnen, aus Donezk, Charkow, Sumy und Kiew. Ein Mädchen aus Litauen.
Nach der Arbeit laden die Japaner alle Mädchen zu einem späten Abendessen ein, oder besser gesagt, zu einem frühen Frühstück. Es gilt als cool, einen Haufen schöner Mädels ins Restaurant einzuladen. Da sitzt dann ein Typ mit zwanzig Weibern da, stolz wie ein Adler, und zeigt allen, wie steinreich er ist. Die Japaner geben gern an. Das ist ein Teil ihres Lebens, es bringt Status und Prestige. Er zahlt für alle ohne zu überlegen, was ihn die ausgesuchtesten Speisen Japans kosten würden. Die Mädchen ihrerseits genieren sich nicht und bestellen Fugu oder verschiede Seeigel, und das kann am Ende des Abends ganz schön ins Geld gehen.
Ich werde zusehends dicker! Schrecklich! Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, wenn es so leckeres Essen gibt. Ich verputze alles. Stell dir vor, gestern zum Aperitif habe ich kleine lebende Fische gegessen. Die werden in einem hohen Glas serviert, damit sie nicht herausspringen können. Man greift mit den Stäbchen ins Glas, schnappt einen Fisch, führt ihn zum Mund und schluckt ihn ganz.“
„Einen lebenden Fisch?“
„Ja klar! Du kannst spüren, wie er irgendwo in deinem Bauch stirbt.“
„Pfui, wie ekelhaft! Wie konntest du sowas aufessen? Du bist pervers!“
„Das höre ich doch gerade von dir sehr gern“, sagte Stella schmunzelnd.
Gelächter erklang von beiden Enden der Welt und verschmolz zu einer Sinfonie zweier verwandter Seelen.