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Die sozialen Ideen treten, wenn man will, gleichzeitig nicht allein mit der politischen Ökonomie auf, sondern selbst mit der allgemeinen Geschichte. Jeder Protest gegen die ungerechte Verteilung der Arbeitsmittel, gegen den Wucher, gegen den Mißbrauch des Eigentums – ist Sozialismus. Das Evangelium und die Apostel – um hier nur von der neuen Welt zu reden – predigen Kommunismus. Campanella, Thomas Münzer, die Wiedertäufer, teilweise die Mönche, die Quäker, die mährischen Brüder, der größere Teil der russischen Schismatiker sind Sozialisten. Aber der Sozialismus als Lehre, als Politik und als Revolution datiert erst seit den Julitagen von 1830. Die Geschichte kann sich für die frühern Bestrebungen interessieren, sie kann die Chroniken der Skandinavier durchblättern, um zu beweisen, daß die Normannen schon im 12. Jahrhundert Amerika kannten; – für uns, für das wirkliche Leben hat immer Kolumbus zuerst Amerika entdeckt. Diese frühzeitigen Bemühungen sprechen nur für den Reichtum und die Fülle der menschlichen Natur, welche schon über Dinge träumt und denkt, welche sich erst in einigen Jahrhunderten verwirklichen können.

Ist übrigens der Sozialismus jetzt nicht wie zu den Zeiten Campanellas noch zu früh und zur Unzeit erschienen? Ich bewahrte diese Bemerkung für den Nachtisch auf. Alle ausschließlich politischen Menschen, die gerade nicht erklärte Feinde des Sozialismus sind, meinen, daß er zu früh gekommen sei. Sie sagen, daß er ohne die Kraft seiner eigenen Verwirklichung in sich zu tragen, die politische Revolution gelähmt und ihr nicht die erforderliche Zeit gegönnt habe, um die Republik zu begründen, um die demokratischen Einrichtungen zu vollenden und endigen. Die Männer, welche derart<i>ge Einwendungen machen, sind mittelmäßige Geschichtskenner und schlechte Psychologen, denn sie wähnen, daß die Geschichte in der Art jener Küchökonomie verfahre, die keinen neuen Käsekuchen anfängt, als bis der angeschnittene verzehrt ist. Aber die Geschichte wie die Natur wirft sich nach allen Richtungen hin und erkennt nur die Unmöglichkeit als Grenze an. Doch das ist noch nicht alles. Die politischen Menschen haben nichts zu beendigen, nichts einzurichten, denn sie sind bei einer Grenze angekommen, nach deren Überschreitung sie mit vollen Segeln in den Sozialismus einlaufen. Wenn sie sich aufhalten, so sind sie im Gegenteil dazu verurteilt, sich in einem Ideenkreise zu drehen und zu wenden, der freilich zur Zeit der Berufung der Generalstaaten neu war, aber jetzt jedem vierzehnjährigen Kinde bekannt ist. Betrachten Sie die französische Konstitution von 48 und ze gen Sie mir nur einen neuen Gedanken, eine originelle Entwickelung, einen wirklichen Fortschritt; nehmen Sie die Sitzungen der Konstituante. – Außerhalb ihrer vier Wände die dringendsten Fragen, die zerstörendsten Zweifel, die schrecklichsten Lösungen – innerhalb derselben das ew<i>ge eintönige Wiederkäuen der fadesten und ausgehöhltesten konstitutionellen Theorien von dem Gleichgewicht der Gewalten, von den Befugnissen des Präsidenten, von der unfruchtbaren Gesetzgebung, die sich auf den abgeschmackten Code Napoleon stützt. Sie werden mir vielleicht Proudhon, Pierre Leroux, Considerant anführen… aber die sind ja selbst Fremdlinge, welche sich in diese boötische Versammlung verirrt haben, und ihre Worte werden jedesmal mit einem Schrei der Indignation von den Gesetzgebern bedeckt. «Ja, aber doch die Montagne!» Aber was wollte die Montagne des Herrn Ledru Rollin denn? Die Freiheit! Aber was ist die Freiheit? Und wie kann ein Mensch in einer Gesellschaft frei sein, die wie die französische organisiert ist, welche Garantien bieten die Montagnards für die persönliche Freiheit gegen den Staat und seine Gewalt, wie wollen sie die Unverträglichkeit aller französischen Institutionen mit der individuellen Freiheit aufheben, ohne jene selbst zu zerstören? Sie können nichts antworten; ein unbestimmtes Gefühl, eine sehr edle Sympathie für die Freiheit läßt sie handeln, sie sehen sehr gut ein, daß diese Republik abscheulich ist – aber sie kennen nicht das geringste Heilmittel. Sie sagen, daß ihre Republik noch nicht verwirklicht ist. Das ist allerdings richtig, hat seinen Grund aber darin, daß sie nicht verwirklicht werden kann. Mögen sie immerhin die wahre Freiheit wünschen, und die ersten sein, welche das salus populi suprema lex proklamieren, mögen sie immerhin die Gleichheit wollen, so wagen sie es doch nicht, an die Exploitation der duldenden und armen Majorität durch eine reiche und unterdrückende Minorität zu rühren. Nein, wir dürfen uns nicht täuschen. Die Zeit der liberalen Politiker ist vorbei, sie haben nichts zu tun oder zu sagen. Der Sozialismus hatte nach dem 24. Februar das volle Recht, sein Banner aufzupflanzen. Ich will hier gar nicht einmal von der befremdenden Anmaßung reden, welche dem menschlichen Gedanken dasselbe vorschreiben will, was Hamlet seinem Herzen sagte: «Warte, warte, schlage noch nicht, ich möchte erst wissen, was Horatio dazu sagt»; als wenn der Gedanke keine Tatsache wäre, wie alle übrigen, eine reelle, völlig autonomische Tatsache, welche ihre geschichtliche Rechtfertigung und Zeitrechnung hat. Glauben Sie vielleicht, daß das Pariser Volk sich für das Bankett des zwölften Arrondissements auf den Straßen geschlagen hätte, oder vielleicht dafür, daß es sich eine verabscheuungswürdige Republik statt einer verabscheuungswürdigen Monarchie erkämpfte? Das Volk ging geraden Schrittes auf eine soziale Republik los; aber als es sich noch einmal verraten sah, versuchte es am 15. Mai die Versammlung aufzulösen, und als ihm das nicht glückte, lieferte es seine große Junischlacht. Das Volk begriff endlich sein unbestreitbares Recht, seine meineidigen Deputierten zum Teufel zu jagen, und schloß mit dieser Erkenntnis das Zeitalter der repräsentativen Fiktion, welche Napoleon nach dem Frieden von Campo Formio der Welt ankündigte. Das Volk wollte nichts von dieser Bastard-Republik wissen, durch deren heuchlerische Züge schon die Deportationen, die hohen Gerichtshöfe, der Belagerungszustand, Cavaignac, Bonaparte und alle Leiden hervorbrachen, welche uns diese stupide und lächerliche Wirtschaft zeigt. – Das Volk ist besiegt worden! – Aber wer hat denn triumphiert? Vielleicht die Republik? Nein, sie geht alle Tage mehr rückwärts, man bedauert sie selbst nicht, die Erhaltung einer solchen Republik hat für das Volk kein Interesse mehr. Das Volk, welches seine Repräsentanten am 24. Juni vergeblich auf den Barrikaden suchte, hat sich ermüdet und ekelnd von dem politischen Schauplatz zurückgezogen, und die Montagne rief es vor einigen Tagen vergebens, es stieg diesmal nicht auf die Straßen herab, um Politik zu machen.

Jetzt, nachdem der Sozialismus besiegt und die Republik faktisch untergegangen ist, wird sie auch bald dem Namen nach zugrunde gehen. Was haben die politischen Republikaner denn eigentlich aus ihrem Siege gemacht, als sie Meister waren und alles in Händen hatten, was zu einem starken Gouvernement nötig war, von den drei, vier Polizeien an bis zu dem Henker? Sie hatten nur den tapfern Meuchelmördern par métier zu befehlen, welche im Namen der Ehre ihrer Fahne Schwestern und Eltern mordeten, sie hatten eine ungeheure Majorität von Bourgeois-Repräsentanten und von Richtern, welche verurteilten, und mit alledem kamen sie, – risum teneatis! – bei einem Louis Napoleon an. Was tat denn dieser brave, tüchtige Mann, bei dem sie anlangten, mit seinen 6 000 000 Stimmen, mit allen Schwachköpfen aus den Zeiten des Kaiserreichs, mit allen begeisterten Knechten des Onkels, die sich nicht darüber trösten konnten, während e nes Zeitraums von fünfunddreiß<i>g Jahren den Schimpf einer Soldatenwirtschaft verloren zu haben? Der Zustand Frankreichs verschlimmert sich von Tag zu Tage, eine schwierige Lage ist durch eine noch schwierigere ersetzt. Die Maschine geht nicht, das Vertrauen kehrt nicht zurück, die Arbeit nimmt ab, der Handel lebt nicht wieder auf, die Armut vergrößert sich, und in der Ferne sieht man die drohende Wolke eines allgemeinen Bankerotts aufsteigen. Die Regierung eines Bonaparte stützt sich auf eine legitimistische Kammer, und diese beiden Gewalten halten sich, wie zwei Betrunkene, welche nicht fallen, weil sie einander stoßen. Alle Aufmerksamkeit des Gouvernements läuft in dem einzigen Bestreben aus, sich zu halten, seine Stellung auszubeuten, nicht um etwas zu tun, sondern um auf seinem Platze zu bleiben. Die äußere Politik ist diesem edlen Ziele untergeordnet, die innere Politik ist in einem solchen Zustande der Zerrüttung, daß man von den Präfekten nur eine ministerielle Propaganda, die Vernichtung alles dessen, was republikanisch, und Polizeispionsdienste verlangt. Bei den Gerichten verurteilt man nur die politischen Ansichten der Angeklagten, welcher Art auch die Anschuldigung sei, man berücksichtigt nicht die Beweisstücke, sondern nur die von Herrn Carlier eingesandten Polizeiakten und die moralische Jury spricht ihr Verdikt nach dem Wunsche des Prokurators aus.

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