Eine Tür führte in eine Würfelbude, die nächste in eine Schenke oder in ein Bordell. Schwere Kaleschen, von Pferden mit kostbarem Geschirr gezogen, fuhren die einzige Hauptstraße dieser chaotischen Stadt auf und ab, während schöne Frauen jeglicher Herkunft und allen Alters schamlos ihre Reize zur Schau stellten und sich von jedem potentiellen Klienten begrapschen ließen, der seine appetitliche »Ware« prüfen wollte, bevor er sie kaufte.
Von den weiten Baikonen forderten halbnackte Mädchen zischelnd die Passanten auf, über kurze Treppen zu ihnen hinaufzusteigen, und an den Türen der Spielhöllen priesen schwarze Sklaven mit riesigen Körben und schallenden Stimmen die besten Würfelpartien der gesamten Insel an.
Auf halber Höhe der Straße stieß Sebastián auf das riesige Schild, das die weltberühmte Schenke der»Tausend Jakobiner« ankündigte. Neugierig beschloß er, einen Blick auf den später nie mehr benutzten Tisch zu werfen, auf dem die Würfel gerollt worden waren, die in einer einzigen Nacht den unglücklichen Vent en Panne steinreich und bettelarm gemacht hatten.
Da stand er, stattlich und robust, auf einem kleinen Podest aus dunklem Mahagoni: ein absurdes und sehr eigenwilliges Denkmal, das die Seeräuberei in ihrer reinsten Form zu verkörpern schien. Dieses kleine Möbelstück symbolisierte alle Niedertracht und Größe in den Herzen der Menschen, die sich dem gefährlichsten und verrufensten Handwerk auf Erden verschrieben hatten.
Mehr als jede Kanone, jeder Säbel oder jede schwarze Totenkopfflagge machte dieser historische Tisch deutlich, was es hieß, ein Pirat zu sein: genügend Mumm zu haben, um alles bis auf den letzten Maravedi oder den letzten Tropfen Blut in einem schlichten Spiel zu riskieren.
Mit dem Vermögen, das der Pechvogel Vent de Panne in einer einzigen Nacht gewonnen und verloren hatte, hätten zwanzig Männer hundert Jahre lang in Luxus leben können. Augenzeugen erzählten jedoch, daß der gleichmütige Franzose, nachdem er schließlich auch noch seinen Stock mit Goldknauf, sein besticktes Hemd und seine Uniformjacke verspielt hatte, lediglich mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen gemurmelt hatte:
»Was für eine beschissene Nacht!«
Zweifellos war das der Grund, warum die Männer von Port-Royal nicht den gerissenen Francis Drake, den tapferen Sir Walter Raleigh, den brutalen L’Olonnois, den galanten Chevalier de Grammont oder den unbesiegbaren Henry Morgan als größten ihrer Helden in den Himmel hoben, sondern den glücklosen Vent en Panne. Er stand für alles, was sie in ihrem Leben hatten sein wollen.
Sebastian streckte die Hand nach dem Tisch aus, als ihn eine Rothaarige, die sich den Ausschnitt von einem sehr erregten Freier küssen ließ, geradezu hysterisch warnte:
»Rühr ihn nicht an! Rühr ihn nicht an, wenn du nicht willst, daß dich das Pech bis zum Galgen verfolgt.«
»Gott bewahre mich davor!« entgegnete er und zog hastig die Hand zurück. »Ist das wahr?«
»Und ob!« erwiderte die attraktive Hure. »Aber wenn du willst, daß dir das Glück treu bleibt, gieß einige Tropfen vom besten Rum darauf und schenk dem Großen Spieler einen freundlichen Gedanken.«
Sebastian bestellte einen Krug vom besten Rum und ließ einige Tropfen auf den Tisch fallen. Anschließend nahm er in der entlegensten Ecke des großen Saals Platz und beobachtete das Kommen und Gehen der Huren und Betrunkenen, die das Vergnügen, das man hier kaufen und mieten konnte, voll auskosten wollten, als wären die meisten von ihnen überzeugt, daß dies vielleicht die letzte Nacht ihres Lebens sein könnte.
Bei der Gelegenheit entdeckte er ein dickes Seil mit Galgenschlinge, das in dieser Ecke der Schenke von einem Stützbalken hing. Daher nahm er das fleißige Mädchen, das mit Krügen an ihm vorbeilief, am Handgelenk:
»Was soll das bedeuten?«
»Laß den Rum lieber heute in Strömen durch die Kehle fließen, denn schon morgen kann dir eine Schlinge wie diese die Gurgel endgültig abschnüren.«
»Etwas makaber, findest du nicht?«
Das Mädchen deutete auf den mürrisch dreinblickenden Wirt, der hinter der Theke Gläser spülte.
»Erzähl das dem Hinkebein! Aber ich warne dich, den letzten, der sich beschwert hat, hat er bis zum Morgen an einem Bein aufgehängt.«
Sie eilte weiter, und Sebastian beließ es dabei, schweigend weiterzutrinken, bis die ausgelassene Rothaarige, die der wenig einträglichen Zuwendungen ihres begeisterten Bewunderers offensichtlich müde war, ihm gegenüber Platz nahm.
»Hallo!« begrüßte sie ihn mit einem Lächeln. »Ich heiße Astrid, und du?«
»Sebastián.«
»Ich bin eine Hure. Und du?«
»Navigator.«
»Navigator?« wiederholte das Mädchen und beugte sich vor, vielleicht um ihre schönen Brüste besser zur Geltung zu bringen, vielleicht weil sie diese Mitteilung wirklich interessierte. »Tatsächlich ein Navigator?«
»Tatsächlich.«
»Spanier?«
»Zur Hälfte Spanier.« Der Margariteno lächelte und senkte seine Stimme, als wolle er ein Geheimnis verraten. »Aber auf diese Hälfte habe ich schon vor Jahren verzichtet.«
»Bist du in die Navigatorenschule der Casa gegangen?«
»Nein.«
»Schade!« bedauerte die Dirne. »Wenn du in der Schule der Casa studiert hättest, dann hätte ich dir die beste Arbeit der Welt anbieten können.«
»Die habe ich schon.«
Die rothaarige Astrid lehnte sich zurück und sah ihm direkt in die Augen, während sie überzeugt mit dem Kopf schüttelte.
»So eine nicht! Ich kenne einen Kapitän, der einem abtrünnigen Navigator fünftausend Pfund Heuer und ein Fünftel der Beute bietet.«
Jacare Jack ließ einen Pfiff der Bewunderung hören.
»Verdammt! Das ist wirklich sehr viel Geld. Aber ich sag dir was: Kein Kapitän auf der ganzen Welt gibt seinem Navigator ein Fünftel seiner Beute ab, nicht einmal einem abtrünnigen Spanier.«
»Dieser schon.«
»Wahrscheinlich, weil er nichts zu verteilen hat. Und ein Fünftel von nichts ist nichts.«
Von neuem beugte sich die Rothaarige vor, und das Schauspiel, das sie bot, ließ einen Mann nicht gleichgültig, der seit Monaten nichts Vergleichbares genossen hatte.
»Dieser hat eine Menge zu verteilen«, säuselte sie. »Mehr als nichts, und wenn du wirklich ein guter Navigator bist, solltest du darüber nachdenken…« Wieder sah sie ihm direkt in die Augen. »Wollen wir darüber im Bett weiterdiskutieren?«
»Warum nicht?«
Die rothaarige Astrid wohnte in einer einladenden Hütte fast unmittelbar hinter der Schenke der »Tausend Jakobiner« und direkt am Meer. Manchmal umspülten die sanften Wellen, die über das Riff schwappten, sogar die Pfähle der Hütte.
Da Astrid eine wunderbare »Professionelle« war, reinlich, erfahren und sehr amüsant, verbrachte der Margariteno bei ihr eine überaus beneidenswerte Nacht. Dann servierte sie ihm ein großzügiges Glas Rum und fragte ihn weiter aus:
»Bist du wirklich ein guter Navigator?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich halte mich wirklich für einen guten Navigator, aber ich habe nicht das geringste Interesse, das Schiff zu wechseln. Man bezahlt mich sehr gut.«
Sie blickte ihm fest in die Augen, fuhr sich über die Nase, und schließlich murmelte sie etwas spröde:
»Ich weiß nicht, aber ich habe den Eindruck, daß du wirklich gut bist.« Sie blinzelte ihm zu. »Wenn auch nicht besser als im Bett, und wenn du mit dem Kapitän redest, bin ich sicher, daß er deine Heuer vielleicht sogar verdoppelt.«
»Hör mal zu, Kleine!« sagte Sebastian, während er mit der Zungenspitze über ihre rosigen Brustwarzen fuhr. »Ich gehe davon aus, daß du in guter Absicht handelst, doch ich kenne das Gewerbe und weiß, daß kein Kapitän so verrückt ist, einem einfachen Navigator zehntausend Pfund Heuer und ein Fünftel der Beute anzubieten. Da will dich einer betrügen.«
Astrid nahm ihn am Kinn, hob sein Gesicht und näherte sich ihm, bis ihre Lippen fast seine Nase streiften und schüttelte ein ums andere Mal den Kopf, während sie flüsterte: