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Port-Royal lag auf der heißen fruchtbaren Insel Jamaika, auf einer Landzunge, die im Süden die riesige Bucht von Kingston abschloß. In jenen Zeiten galt es als sicherster Hafen, der die schönsten Huren und den besten Rum des Kontinents hatte. Jedes Schiff, so bestimmte es eine alte Tradition, das die Riffbarriere mit gehißter weißer Flagge und geschlossenen Kanonenluken passierte, durfte unbehelligt in den Gewässern von Port-Royal verweilen, solange es wollte, ohne daß jemand nach Herkunft, Grund des Aufenthalts oder Ziel gefragt hätte.

Die Besatzungen mußten allerdings Feuerwaffen und Macheten an Bord lassen. Lediglich die Degen durften am Gürtel blitzen, denn ein anständiges Duell unter nicht allzu betrunkenen Gegnern galt stets als dankbares Schauspiel.

Die größte Schenke von Port-Royal, »Die Tausend Jakobiner«, verdankte ihren seltsamen Namen der weltberühmten Würfelpartie, die man hier ausgetragen hatte. Allenfalls die Partie, in der ein Offizier namens Francisco Pizarro, genannt der Gelassene, in einer einzigen Nacht die märchenhafte, zwei Meter große Goldsonne verlor, die er für seinen Heldenmut bei der Eroberung Perus erhalten hatte, war ähnlich spektakulär verlaufen.

Kontrahenten der besagten Würfelpartie in Port-Royal waren ein verrückter Pirat namens Vent en Panne und ein steinreicher Großgrundbesitzer jüdischer Herkunft namens Stern.

Der Pirat hatte wohl unter dem Oberbefehl des gebrechlichen Kapitäns Mansfield am wenig einträglichen Angriff auf die Insel Santa Catalina teilgenommen und lediglich hundert Dublonen Anteil an der lächerlichen Beute erhalten.

Er setzte sie aufs Spiel, und obwohl ansonsten das Pech an seinen Hacken klebte, gewann er über zehntausend Dublonen.

Daraufhin fand er, daß es Zeit war, ins heimatliche Frankreich zurückzukehren, buchte eine Überfahrt, kehrte jedoch einige Stunden vor Abfahrt des Schiffs in die damals noch »Zum Hinkebein« genannte Schenke zurück, um ein letztes Glas zu leeren.

Um die Zeit totzuschlagen, beschloß man, »ein paar Knochen zu werfen«, und in kurzer Zeit hatte Vent en Panne 15000 Silbertaler gewonnen. Darauf setzte der Jude eine Ladung Zucker im Wert von hunderttausend Pfund und verlor auch die.

Inzwischen hatte Vent en Panne sein Schiff verpaßt, dessen Kapitän das Warten satt und mit dem Gepäck des Piraten in See gestochen war.

Als es Abend wurde, erschien der verzweifelte Stern, der binnen weniger Stunden seinen gesamten Besitz verspielt hatte, mit dem einzigen, was ihm auf dieser Welt geblieben war: einem riesigen Ballen goldbestickter Seide aus China, den die Experten auf die fabelhafte Summe von »Tausend Jacobinern« schätzten.

Vent en Panne akzeptierte den Einsatz und ließ die Würfel rollen, während alle Gäste, die sich in der geräumigen Schenke drängten, den Atem anhielten.

Er warf eine Neun.

Zitternd nahm der Jude die Würfel aus Bein in die Hand, schloß die Augen und warf.

Er hatte eine Elf, und die nächsten acht Male ebenfalls.

Bei Tagesanbruch hatte Vent en Panne alles verloren, sogar das Hemd, das er am Leibe trug.

Am gleichen Tag heuerte er auf dem Schiff des sadistischen L’Olonnois an, um am Angriff auf Maracaibo teilzunehmen.

Mit einer beträchtlichen Beute kehrte er zurück, ging schnurstracks zur alten Schenke, die inzwischen ihm zu Ehren ihren Namen geändert hatte und ließ nach dem Juden Stern schicken.

Wer allerdings kam, war der Gouverneur der Insel, der alles konfiszierte, was er bei sich hatte, und ihm dafür einen Kreditbrief ausstellte, der nur in einer Bank in Frankreich einzulösen war, brachte ihn an Bord des ersten Schiffs, das nach Europa segelte, und verabschiedete ihn mit diesen weisen Worten:

»Was die Flut bringt, nimmt die Ebbe mit, doch in deinem Fall, mein Sohn, ist mir das zuviel.«

Vent en Panne kam Jahre später ums Leben, als ein spanisches Kriegsschiff mit einem Schmugglerschiff aneinandergeriet, auf dem der Pirat nach Jamaika zurückkehren wollte. Dort wollte er ein riesiges Vermögen aufs Spiel setzen, das er als Importeur von Zucker und Rum angehäuft hatte. In Europa hatte er offensichtlich keinen Gegenspieler gefunden, der es mit dem Juden Stern hätte aufnehmen können.

In diese verrückte Welt des Spiels, der Frauen, des Alkohols und der Verschwendung, in der die bestialischsten und ungebildetsten Piraten in Luxuskaleschen herumfuhren, Seidenhemden trugen und sich mit Perlen und Smaragden behängten, hielt eines heißen Mittags die Jacare ihren Einzug. Nachdem sie die gefährlichen Riffe geschickt umsegelt hatte, glitt sie mit weißer Flagge und verdeckten Kanonen in die Bucht hinein, um ihre Anker zu werfen, nur einen Steinwurf entfernt von einer riesigen Galeone, die fast dreimal soviel Takelage und Tonnage aufwies.

Niemand schien sich auch nur einen Deut um ihre Anwesenheit zu scheren.

Zu dieser brüllendheißen Stunde, in der nicht die leiseste Brise wehte und die hohe Luftfeuchtigkeit den Schweiß in Strömen fließen ließ, schliefen die Besatzungen der zwei Dutzend Schiffe, deren Masten in der Bucht schaukelten, wie fast die gesamte Bevölkerung von Port-Royal eine friedliche und wohlverdiente Siesta, um für die näherrückende lange Nacht der Orgien wieder Kraft zu schöpfen.

In Port-Royal war es strengstens verboten, etwas zu tun, was die Schläfer während ihrer so notwendigen Siesta stören konnte. Eines unglücklichen Tages nämlich war Kapitän John Davis mit übler Laune aufgewacht, hatte einen Kanonenschacht geöffnet, sorgfältig gezielt und ein Haus, das gerade am Strand errichtet wurde, mitsamt sieben lärmenden Zimmerleuten in die Luft gejagt.

Jamaika war geradezu par excellence der Ort, wo sich Piraten und Korsaren entspannen und zerstreuen konnten. Es lebte von deren Beute und wuchs mit deren Plünderungen. Die Spanier hatten die Insel nicht überfallen, da sie nur zu gut wußten, daß sie auf keine Flotte zählen konnten, die auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, es mit den vereinten Kräften der Engländer, Piraten und Korsaren aufzunehmen.

Kein Wunder, daß dieses Zentrum fabelhafter Reichtümer und Zerstreuungen Abenteurer, Prostituierte, Glücksritter und Vagabunden aus aller Herren Länder anzog wie Honig die Fliegen, denn an keinem anderen Ort konnte ein Hungerleider binnen Stunden zum schwerreichen Mann werden und umgekehrt.

Einige Meilen von Rocky Point entfernt hatte sich ein gutes Jahrhundert lang ein Barockpalast mit weißen Marmorsäulen erhoben, den ein verrückt gewordener Wucherer zwei wunderschönen türkischen Zwillingen geschenkt hatte, kaum hatten die beiden ihre zarten Füße in das beste Bordell der Stadt gesetzt. Einzige Bedingung war, daß kein anderer Mann die Mädchen jemals mehr zu Gesicht bekommen sollte.

Man erzählte sich, daß die Zwillinge, die sich in sexueller Hinsicht am liebsten miteinander vergnügten, das Angebot nur zu gerne annahmen und den Rest ihres langen Lebens in dem prunkvollen Herrenhaus verbrachten. Ihre einzige Verpflichtung bestand darin, jedes Wochenende den lüsternen Wucherer mit ihren erotischen Spielen zu unterhalten.

Nachdem Sebastián Heredia lange Zeit durch das Achterfenster seiner Kajüte die ruhige Bucht beobachtet hatte, über der zur Mittagszeit nicht mal die Reiher flogen, vielleicht aus Furcht, einen Kanonenschuß abzubekommen, schaute er zunächst Celeste an, die in ihrer Koje lag und sich vor Spannung sprühend Luft zufächelte, dann wandte er sich seinem Vater zu, der in einen alten Sessel versunken war und sich nur mit Mühe wachhielt.

»Ihr müßt euch hier einige Zeit einschließen«, gab er ihnen schließlich mit Bedauern zu verstehen. »Ihr solltet den ganzen Tag über nicht an Deck erscheinen, damit man euch nicht von den Nachbarschiffen aus sehen kann, denn wenn man euch später an Land wiedererkennt, sind wir in Gefahr.«

»Wie lange?« wollte seine Schwester wissen.

»Bis ich ein Haus gefunden habe, abgelegen, komfortabel und diskret. Wichtig ist, daß niemand euch mit der Jacare in Verbindung bringt.«

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