»Gemeinsam mit den Korsaren?« wollte der junge Kapitän Jacare Jack bestürzt wissen. »Ich hasse Massaker!«
»Hör mal zu…!« erwiderte sein Stellvertreter und bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. »Wichtig ist lediglich, das richtige Schiff auszuwählen, das Kampfgetümmel auszunutzen, es von der Flotte wegzutreiben und blitzschnell zu entern. Dafür schickt man am besten Spione in die Abfahrtshäfen, um herauszufinden, welche Schiffe Gold geladen haben und welche nicht. Oft erweisen sich die spektakulärsten Schiffe als Nieten.«
»Hast du das schon früher gemacht?«
»Schon oft. Der Alte verwandte viel daran, ein unversehrtes Schaf zu reißen, während sich die Wölfe und Hunde gegenseitig in Klump schossen. Dann kamst du, und er tauschte die Schafe gegen Maultiere ein.«
»Und das stört dich?«
»Und ob! In den letzten Jahren hat die Jacare fast nur noch Warnschüsse abgegeben. Reines Feuerwerk, das ihrem Ruf nicht gerecht wird.«
»Einverstanden!« räumte der Junge ein. »Ich werde darüber nachdenken.«
»So schnell wie möglich, das rate ich dir, sonst erleben wir am Ende noch eine unliebsame Überraschung. Und mit diesem Mädchen an Bord gäbe das eine Tragödie.«
Sebastián Heredia sah sich die Gesichter der Männer an, die gerade auf Deck Wache standen, und kam zum bitteren Schluß, daß der treue Panamese wieder einmal recht hatte. Ein Piratenschiff war für ein junges Mädchen wirklich nicht angebracht. Auch ohne Argusaugen waren die Gesten und Blicke nicht zu übersehen, die sich die schäbige sabbernde Schar jedesmal zuwarf, wenn Celeste aus der Kajüte trat, um frische Luft zu schöpfen.
Nachdem der Schotte von Bord gegangen war, hatte sich die Jacare gewissermaßen in ein schwimmendes Pulverfaß verwandelt. Die reizvollen Brüste und der sinnliche, stets feuchte Mund eines Mädchens, das zum Teil die erotische Ausstrahlung der Mutter geerbt hatte, konnten sehr gut der Funke sein, der dieses Pulverfaß in die Luft gehen ließ.
Nach dem Abendessen setzte sich Sebastián mit Celeste und seinem Vater in der Kajüte, die er ihnen überlassen hatte, zusammen, und kam ohne Umschweife zur Sache.
»Ich denke, Lucas hat recht. Am besten, ihr geht in Jamaika von Bord. Dort könnt ihr ohne Furcht vor Repressalien leben, und ich kann euch häufig besuchen.«
»Und warum machst du es nicht genauso?« fragte Celeste. »Verkauf das Schiff, kauf dir eine gute Zuckerhazienda und leb fortan in Frieden.«
»Ich wurde nicht geboren, um Sklaven mit der Peitsche zum Zuckerrohrschneiden anzutreiben. Und ohne Sklaven ist keine Hazienda rentabel, nicht einmal auf Jamaika.«
»Willst du lieber weiter Schiffe überfallen?«
»Wenn sie der Casa gehören, ja. Und wenn du mich fragst, ob ich lieber Pirat als Sklavenhändler bin, dann heißt die Antwort ebenfalls ja.«
»Sklaven zu haben heißt nicht unbedingt, mit Sklaven zu handeln«, gab sein Vater zu bedenken.
»Keine Käufer, keine Händler«, entgegnete Sebastian unwirsch. »Daß alle Welt Sklaven hat, ist keine Entschuldigung, selbst welche zu halten. Wenn du sie gesehen hättest wie ich, in schmutzige Laderäume gepfercht, in denen sie kaum atmen konnten, würdest du meine Haltung verstehen. Sklavenhandel ist das unmenschlichste, bestialischste und würdeloseste Geschäft auf Erden. Ein Schiff zu entern und zu plündern ist dagegen ein Bubenstreich.«
»Heute denken die meisten Menschen nicht so.«
»Was die Mehrheit denkt, ist nicht wichtig«, beharrte sein Sohn mit rauher Stimme. »Wichtig ist nur, was ich denke. Pirat zu sein ist die gefährlichste Art, frei zu sein, und wer sein Leben für seine Freiheit aufs Spiel setzt, sollte seine Prinzipien nicht verraten und anderen die Freiheit rauben, wie schwarz ihre Haut auch sein mag.«
»So habe ich dich noch nie reden hören!« bemerkte Miguel Heredia.
»Wahrscheinlich deshalb, weil du mir früher nur selten zugehört hast«, erinnerte ihn der Margariteno. »Vielleicht aber auch, weil du dieses Schiff nicht gesehen hast.«
Celeste tätschelte liebevoll die Wange ihres Bruders:
»Es gefällt mir, wie du denkst. Wäre ich ein Mann, würde ich auch so denken und wie du zum Piraten werden, aber ich verstehe natürlich, daß meine Anwesenheit an Bord die Dinge verkompliziert.« Sie blinzelte ihn schelmisch an. »Diese armen Jungs scheinen es ja wirklich sehr nötig zu haben.«
Die kriminelle Besatzung der Jacare »arme Jungs« zu nennen, war wieder typisch für Celeste Heredia, die offensichtlich das Leben als riesigen Spaß betrachtete, auch wenn dieser Spaß noch vor kurzer Zeit ein Alptraum gewesen war.
Jetzt, wo sie weit weg von Don Hernando Pedrárias und ihrer Mutter war, schien ihr jegliches Problem bedeutungslos zu sein. Sie schien sich als das glücklichste Geschöpf auf Erden zu fühlen, das ohne Ziel die warme Karibische See befuhr, und das auf einem Schiff, dessen fünfzig Mann Besatzung das letzte Hemd dafür hergeben würde, sie zu vergewaltigen.
»Wir suchen uns ein schönes Haus auf Jamaika«, fuhr sie etwas später mit ihrem üblichen Enthusiasmus fort. »Papa und ich werden Hühner züchten und Englisch lernen, und du kommst uns besuchen, wenn du nicht zu sehr damit beschäftigt bist, Schiffe zu entern und Festungen zu überfallen.«
»Wie kannst du das alles so leichtnehmen?« empörte sich Miguel Heredia. »Du redest von Seeräuberei!«
»Nach allem, was ich gehört habe«, erwiderte seine Tochter mit verblüffender Gelassenheit, »sind fast alle Einwohner Jamaikas Piraten oder Korsaren, von den Huren, Sklaven und Sklavenhändlern einmal abgesehen. Glaubst du, daß wir dort aus dem Rahmen fallen?«
»Du bist unmöglich!«
»Nein, Papa, ich bin nicht unmöglich. Ich bin nur ein Kind meiner Zeit. Seit ich denken kann, habe ich nur von Gewalt, Plünderungen, Überfällen oder versenkten Flotten gehört, und schon als kleines Kind habe ich gesehen, wie du aufs Meer hinausfuhrst, um in haiverseuchten Gewässern nach Perlen zu tauchen, die sie dir zu lächerlichen Preisen abkauften. War das vielleicht ein vernünftigerer Beruf, als Pirat zu sein?«
»Jedenfalls war er ehrenwerter.«
»Und wer entscheidet, was ehrenwert ist und was nicht?« erboste sich Celeste. »Hernando wollte ehrenwert sein, dabei preßte er die Armen aus und handelte mit Sklaven. Mein Gott! Warum wurde ich nicht als Mann geboren? Wir würden ein großartiges Gespann abgeben.« Sie wandte sich ihrem Bruder zu. »Hat es denn niemals weibliche Piraten gegeben?«
»Einige«, gab er zu. »Lucas will eine kennen, die zwei Jahre in Männerkleidung herumgelaufen ist, bis man entdeckt hat, daß sie eine Frau und schwanger war. Sie wollte ihren Liebhaber nicht verraten, weil die Gesetze der Bruderschaft der Küste denjenigen mit dem Tod bestrafen, der eine als Mann verkleidete Frau an Bord nimmt. Deshalb hat man sie auf einer einsamen Insel ausgesetzt.«
»Eine schöne Liebesgeschichte«, murmelte das Mädchen. »Zwei Jahre wie ein Pirat zu leben und sich dann auf einer einsamen Insel aussetzen zu lassen, um dem Geliebten das Leben zu retten: Das gefällt mir. Was ist aus ihr geworden?«
»Sie hat wohl ihr Kind auf der Insel zur Welt gebracht, aber da sie fast verhungerte, hat sie es aufgegessen.«
»Das glaubst du doch selber nicht!«
»Natürlich nicht!« lachte ihr Bruder. »Keiner weiß, auf welcher Insel sie geblieben ist. Vielleicht ist sie noch immer dort.« Nacheinander sah er seinen Vater und seine Schwester an. »Na gut! Also Kurs Jamaika?«
»Was bleibt uns anderes übrig?« versetzte Miguel Heredia. »Also geht’s jetzt von der Perlen- auf die Ruminsel.«
Sein Sohn öffnete die Tür und rief dem Algerier am Steuerrad zu:
»Mubarrak! Achtung an Deck! Kurs Westnordwest.«
»Westnordwest Kapitän?« wiederholte der Steuermann sichtlich erfreut. »Geht es vielleicht nach Jamaika?«
»Direkt nach Port-Royal…«
Wenige Augenblicke später schäumte die ganze Jacare vor Begeisterung.
»Port-Royal! Hurra! Nächster Halt, die Huren von Port-Royal!«