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Sebastián war nie ganz klar gewesen, wer der wahre Schuldige an dem Geschehenen war: der Mann, der mit seinem Geld und seiner Macht die Frau des anderen verführt hatte, oder die Frau, die sich von dieser Macht und diesem Geld hatte verführen lassen und darüber hinaus noch ein unschuldiges Wesen mit sich gerissen hatte, das noch nicht alt genug war, um selbst über sein Schicksal zu entscheiden.

Ein ums andere Mal rief er sich das Bild seines Vaters ins Gedächtnis, der wie ein Besessener Messer, Schwerter und Macheten schärfte, und er konnte nicht vergessen, wie er ins Leere blickte. Es jagte ihm Angst ein, wenn er sich vorstellte, was passieren würde, wenn dieses gequälte Wesen auf die Menschen traf, die auf so grausame und schändliche Weise seine friedliche Existenz vernichtet hatten.

Die Jacare war das schnellste Schiff, das in diesen Augenblicken auf den Meeren kreuzte, aber dennoch hatte der Junge den seltsamen Eindruck, als würde sie kaum von der Stelle kommen.

Er war an die karibische See gewohnt, auf der sich früher oder später eine ferne Küste abzeichnete oder Seevögel die Nähe des Landes ankündigten, doch die Unendlichkeit jenes dunklen und toten Ozeans mit seinen hohen Wellen und heulenden Winden setzte ihm zu. Nicht weil er Angst vor dem Meer hatte, sondern weil er sich Sorgen machte, vielleicht den Rückweg nicht mehr zu finden und für immer in einem Europa bleiben zu müssen, von dem er nur Schlimmes gehört hatte.

Hunger und Ungerechtigkeit hatten seine Großeltern dazu bewogen, in der Neuen Welt die Möglichkeiten zu suchen, die ihnen die alte Welt verweigerte. Und seit er denken konnte, hatte der Margariteno die fixe Idee, daß am anderen Ende des Ozeans nur ausgedörrte Länder lagen, deren Bewohner, gerissene Schelme, nur darauf aus waren, auf Kosten anderer zu leben.

Warum Kapitän Jack so sehr daran lag. in ein unbarmherziges Land zurückzukehren, aus dem er schon als Kind hatte fliehen müssen, um nicht Hungers zu sterben, konnte Sebastian niemals verstehen. Doch verspürte er auch nicht die geringste Neugier, den Grund dafür herauszufinden, und als an einem nebligen Morgen der Ausguck die Küste Englands ankündigte, kam er nicht einmal auf den Gedanken, einige Meilen näher heranzusegeln, um einen Blick darauf zu werfen.

»Die Segel reffen und beidrehen!« befahl er unwirsch. »Diese Nacht bringen wir den Kapitän an Land.«

Er aß mit ihm allein in der Achterkajüte. Der Schotte schien einen schweren inneren Kampf auszufechten. Natürlich hatte er den logischen Wunsch, als reicher Mann, der sich um seine Zukunft keine Sorgen zu machen brauchte, in seine Heimatstadt Aberdeen zurückzukehren, andererseits erfüllte es ihn mit tiefer Trauer, sein Schiff und seine Lebensweise aufgeben zu müssen, die ihm so viele glückliche Jahre beschert hatten.

»Das Schlimmste daran ist, daß ich mich trotz meines vielen Geldes nie wieder so frei fühlen werde wie in der Zeit, als ich ein einfacher Pirat war. Nun werde ich mich wieder zum Sklaven dieses Geldes machen, während ich mir früher den Luxus leisten konnte, es über Bord zu werfen.«

»Aber Ihr werdet ohne die dauernde Furcht leben, daß eine feindliche Flotte am Horizont auftaucht.«

»Wenn du lange Zeit auf der Jacare gesegelt bist, wirst du dich freuen, eine feindliche Flotte am Horizont zu erblicken«, lautete die gelassene Antwort. Er lächelte ein wenig, als lächelte er über seine intimsten Erinnerungen. »Du wirst Furcht verspüren, doch du wirst es auch genießen, wenn du merkst, daß du ihnen trotz ihrer Kanonen auf der Nase herumtanzen kannst, denn dieses verdammte Schiff ist wie eine Wespe, die tausend Mal ein störrisches Maultier sticht, während dieses nur blind auskeilen kann.« Er ließ sich in seinen Sitz zurückfallen, und sein Gesichtsausdruck war voller Stolz. »Einmal habe ich drei Galeonen vor San Juan versenkt, ohne daß man mir nur ein Segel zerrissen hätte.«

Der Junge nickte.

»Lucas Castano hat mir davon erzählt.«

»Er hat mutig gekämpft, und an diesem Tag habe ich ihn zu meinem Adjutanten gemacht.« Wohlwollend klopfte er ihm auf die Hand. »Vertrau ihm! Er ist der einzige an Bord, vor dem du immer sicher sein wirst.«

»Ich weiß.«

»Als ich zum ersten Mal meine Flagge hißte, war ich nicht so gut dran. Damals konnte ich noch keinem vertrauen. Und was die Fahne betrifft«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kopf auf das Tuch, das säuberlich gefaltet auf einer breiten Kommode aus Mahagoni lag. »Hier hast du sie! Paß gut darauf auf!«

»Das werde ich. Jetzt ist sie meine.«

»Dann achte darauf, daß du sie niemals neben einem Korsaren flattern läßt«, murmelte der Schotte fast unhörbar. »Das wollen Patrioten sein, doch in Wirklichkeit sind es nur dreckige Mörder, denen es mehr Spaß macht, ein Schiff brennen und die Besatzung absaufen zu sehen, als es zu plündern, und wer so was tut, ist verrückt.« Er schnalzte mit der Zunge, als wollte er deutlich machen, wie sehr ihm das mißfiel. »Danach werden sie ausgewählt: Verrückte und Mörder, und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, verleiht man ihnen noch Adelstitel, während man uns, die wir uns bemühen, die Leute zu schonen, aufhängen läßt.« Ein ums andere Mal schüttelte er den Kopf, als könnte er es einfach nicht fassen: »Traurige Zeiten sind das, in denen die Dinge, die du raubst, mehr zählen als die Menschen, die du umbringst. Ich versteh’s einfach nicht!«

Am Abend war die Küste nur noch einen Steinwurf entfernt, und als es schon fast stockfinster war, ließ man eine kleine Schaluppe zu Wasser.

Der Schotte verabschiedete sich nach und nach von allen Männern, und als er vor Lucas Castano angelangt war, kam es zu einer rührenden Umarmung. Schließlich baute er sich vor Sebastian auf und grüßte ihn fast militärisch:

»Viel Glück, Kapitän! Das Kommando gehört Euch!«

»Viel Glück!«

Dann kletterte er die kurze Leiter hinunter, ergriff die Ruder und löste sich vom Schiff, bis die Dunkelheit der Nacht ihn einhüllte und man nur noch das rhythmische Klatschen des Wassers hörte.

Dann aber schallte aus der Ferne ein Ruf aus zitternder Kehle herüber, so laut, als käme er aus dem Totenreich.

»Adios…!! Und gute Jagd…!!!«

»Adios, Kapitän…« schallte es im Chor zurück.

Als nur noch Stille und Dunkelheit herrschten, gab Sebastián Heredia Matamoros, der frischgebackene Kapitän Jacare Jack, seinen ersten Befehl, der keinen Widerspruch duldete.

»Die Segel hoch! Kurs Südsüdwest…!«

Vor dem Golf von Biscaya und Kap Finisterre wühlten heulende Stürme das Meer auf. Für die Mannschaft, die an ein anderes Klima gewöhnt war, waren diese tobenden Unwetter eine schauerliche Erfahrung, noch mehr aber für das Schiff, das für ganz andere Breiten konstruiert worden war.

Um Mitternacht brachen die Eisenklammern, die den »falschen« Besanmast am Topp mit dem echten verbanden. Ein Marsgast fiel über Bord und verschwand. Er hatte die Taue des ins Wasser gefallenen Segels kappen wollen. Dieses hatte einen riesigen Sack gebildet, der das Schiff in Schieflage brachte. Bei jedem schweren Brecher von der anderen Seite drohte das Schiff zu kentern.

In diesen bangen Augenblicken mußte Sebastián seinen ganzen Mut zusammennehmen, um nicht die Nerven zu verlieren. Lucas Castano erwies sich wieder einmal als ein mit allen Wassern gewaschener Seemann, der mit allen Situationen fertigwurde, ohne die Ruhe zu verlieren.

Zwei Kanonen, die sich aus ihrer Verankerung gerissen hatten und drohten, ein Leck in den Rumpf zu schlagen, mußten sie ins Wasser werfen. Als sie schließlich die portugiesische Küste erreichten und das Unwetter sich legte, hatten ihnen Sturm und Wellen so übel mitgespielt, daß sie das Ruderboot eines Fischers hätten entern können.

»Jetzt ist mir klar, warum das hier die Küste des Todes heißt«, murmelte Zafiro Burman und blickte auf die hohen Wellen, die sie hinter sich gelassen hatten, als wären sie ein Gespenst, das sie immer noch einholen könnte. »Das hier ist kein Meer. Das ist eine verdammte Sauerei!«

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