Bolitho hob das Teleskop und musterte die vertrauten Mauern und Batterien von La Valetta.»Gerade noch so.»
Es war eine längere Überfahrt von Gibraltar geworden als erwartet. Für die zwölfhundert Meilen hatten sie mehr als acht Tage gebraucht. Das hatte Keen Zeit gelassen, dem Schiff seinen Stempel aufzuprägen. Bolitho aber hatte sie mit bösen Ahnungen wegen des bevorstehenden Treffens mit Herrick verbracht.
Er sagte langsam:»Nur drei Linienschiffe, Val. «Herricks Flaggschiff Benbow hatte er fast ebenso schnell wie der Ausguck im Mast erkannt. Es war einmal sein eigenes gewesen und steckte wie Hyperion voller Erinnerungen. Keen würde sich seiner aus ganz anderen Gründen entsinnen. Er hatte sich dort einem Untersuchungsausschuß stellen müssen, den Herrick leitete. Wenn Bolitho nicht eingegriffen hätte, wäre er jetzt ruiniert gewesen.
Alte Geschichten? Sehr unwahrscheinlich, daß er sie jemals vergessen würde.
Bolitho sagte:»Ich kann auch eine Fregatte ausmachen, sie ankert jenseits der Benbow.»
Die Fregatte hieß La Mouette und war eine Prise, die man den Franzosen vor Toulon abgenommen hatte. Nur ein kleines Schiff mit sechsundzwanzig Kanonen, aber Bettler durften eben nicht wählerisch sein. In diesem Stadium des Krieges war jede Fregatte willkommen. Bolitho hatte schon befürchtet, daß man sie anderswohin geschickt haben könnte.
Keen entgegnete:»Sie verstärkt unsere Kampfkraft auf acht Einheiten. Wir haben uns schon mit weit weniger beholfen.»
Jenour stand etwas abseits und überwachte die Signalfähnriche. Bolitho schritt zur anderen Seite und beobachtete, wie Thynnes Obdurate hinter ihnen Segel fortnahm.
Er sah Herrick auf Benbow vor sich, der vielleicht beobachtete, wie die fünf großen Schiffe des Bolitho-Geschwaders sich schwerfällig auf ihren Ankerplatz zubewegten. Es war sehr heiß, und Bolitho hatte Sonnenreflexe von vielen Teleskopen auf den hier versammelten Schiffen gesehen. Würde Herrick dieses Treffen scheuen? fragte er sich. Oder würde er daran denken, daß ihre Freundschaft schon bei einer Schlacht und einer Meuterei im Krieg gegen die amerikanischen Rebellen geprüft worden war?
«Gut denn, Mr. Jenour, lassen Sie signalisieren. «Er blickte Keen an.»Wir werden einfach acht Glasen anschlagen lassen, Val, und damit Mr. Penhaligons Ruf retten.»
Als das Signal mit einem Ruck niedergeholt wurde, drehten die Schiffe in die schwache Brise und ließen die Anker fallen.
Bolitho ging nach achtern, nicht ohne vorher sein Boot zu bestellen. Auf Keens Frage:»Sie warten nicht auf den Besuch des Konteradmirals, Sir Richard?«, hatte er nur den Kopf geschüttelt. Er wollte selbst hinüberfahren.
Keen ahnte, daß er die Benbow nur deshalb selbst aufsuchte, weil er vermeiden wollte, Herrick mit den üblichen Formalitäten zu empfangen. Bei ihrer letzten Begegnung hatten sie als Gegner einander am Gerichtstisch gegenübergesessen. Diesmal würde es im Interesse beider ein Mann-zu-Mann-Treffen sein.»Alte Freunde haben es nicht nötig, auf Etikette zu achten, Val.»
Bolitho hoffte, daß es überzeugter klang, als er empfand. Herrick mochte Neuigkeiten über den Feind haben, er war schon lange Zeit hier. Und Nachrichten waren alles. Ohne die vereinzelten Informationsfetzen, die Patrouillen und gelegentliche Scharmützel erbrachten, waren sie hilflos.
Er hörte, wie Allday seine Bootscrew forsch zusammenrief, hörte das Knarren der Taljen, als sein Boot und nach ihm andere über die Seite geschwungen wurden. Einige Kähne näherten sich schon den Schiffen, vollgepackt mit billigen Waren, mit denen die Seeleute um ihr bißchen Geld betrogen werden sollten. Wie in Portsmouth und anderen Seehäfen wurden so auch Frauen für die hungrigen Männer gebracht, wenn die Kommandanten sich blind stellten. Für den einfachen Matrosen mußte es hart sein, dachte Bolitho. Die Offiziere kamen und gingen, wie es ihr Dienst zuließ, aber nur zuverlässige Mannschaften und die Preßgangs durften den Fuß an Land setzen. Monat für Monat und Jahr für Jahr lebten sie so — ein Wunder, daß es nicht zu mehr Meutereien in der Flotte gekommen war.
Aus seiner Kajüte nahm er einige Briefe für Herrick mit, die man im letzten Augenblick auf die Firefly gebracht hatte, und lächelte grimmig. Versöhnungsgeschenke.
Ozzard tappte um ihn herum und hatte seine Augen überall, damit Bolitho nichts vergaß. Er sah Catherines Gesicht vor sich, als er ihr den von Ozzard gesäuberten Fächer zurückgeben wollte. Sie hatte gedankt.»Behalte ihn. Er ist alles, was ich dir geben kann. Wenn du ihn ansiehst, werde ich bei dir sein.»
Er seufzte und ging hinaus, vorbei am Posten Kajüte und an Keens offener Tür, wo frische weiße Farbe Havens zweiten Pistolenschuß überdeckte. Haven hatte Glück, daß Parris noch lebte. Wirklich? Seine Karriere war zerstört, und keiner wartete auf ihn, wenn er schließlich nach Hause kam.
Im glänzenden Sonnenschein standen die Seesoldaten bei der
Relingspforte angetreten. Die Bootsmannsmaaten hoben ihre Silberpfeifen an die Lippen. Keen und Jenour warteten auf den Beginn der Ehrenbezeugung. Major Adams hob den Degen und meldete:»Wache angetreten,
Sir!»
«Boot ist längsseits, Sir Richard!«Das war Keen.
Bolitho lüftete seinen Hut in Richtung des Achterdecks und sah halbnackte Seeleute auf der Bagienrah arbeiten und zu ihm herunterstarren. Ihre Füße baumelten in der Luft.
Ein glückliches Schiff, eine gute Besatzung.
Bolitho stieg ins Boot hinunter.
Konteradmiral Thomas Herrick hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und beobachtete die Schiffe beim Ankern. Der Pulverdampf des Saluts trieb träge zur Küste. Herrick versteifte sich, als er sah, daß man das grüne Admiralsboot der Hyperion beinahe so schnell aussetzte, wie man vorne den Union Jack hißte.
Kapitän Hector Gossage bemerkte:»Es scheint, daß der Vizeadmiral gleich zu uns kommt, Sir.»
Herrick brummte nur. Er hatte viele neue Gesichter in seinem Kommando, auch sein Flaggkapitän war erst wenige Monate bei ihm. Sein Vorgänger, Dewar, war krankheitshalber in die Heimat entlassen worden, und Herrick vermißte ihn sehr. Er sagte:»Machen Sie alles klar für großen Empfang. Sie wissen, was Sie zu tun haben.»
Er wollte alleingelassen werden und nachdenken. Seit er seine neuen Befehle von Sir Owen Godschale aus der Admiralität erhalten hatte, dachte er kaum an etwas anderes.
Zuletzt hatte er Bolitho hier im Mittelmeer getroffen, als seine Benbow unter schwerem Beschuß lag. Wiedervereint im Gefecht, Freunde im Kampf. Doch hinterher, als Bolitho nach England gesegelt war, hatte Herrick viel über den Untersuchungsausschuß nachgedacht. Wie Bolitho ihn verflucht hatte, als er von Inchs Tod erfuhr! Herrick glaubte noch immer, daß Bolithos Zorn und
Ärger sich gegen ihn persönlich richtete, nicht gegen den Ausschuß als Ganzes.
Den abgeänderten Befehlen hatte ein privater Brief Godschales beigelegen. Unter anderem enthielt er Andeutungen über die Liaison zwischen Bolitho und einer gewissen Catherine Pareja. Insgeheim hatte er, Herrick, sich ihr gegenüber immer befangen gefühlt. Kate war eine stolze, selbständige Frau, der es in seinen Augen an Bescheidenheit und Demut mangelte. Gerührt dachte er an seine liebe Dulcie in ihrem neuen Haus in Kent. Gar kein Vergleich mit ihr.
Wie tapfer Dulcie gewesen war, als sie erfuhr, daß sie ihm keine Kinder würde schenken können. Leise hatte sie erklärt:»Wenn wir uns nur früher kennengelernt hätten, Thomas. Vielleicht hätten wir dann einen hübschen Sohn gehabt, einen Nachfolger für dich in der Navy. «Er dachte auch an Bolithos Leben in Falmouth, an das alte graue Herrenhaus, in dem er aus- und eingegangen war, als Bolitho die Phalarope führte und er zum Ersten Leutnant aufgestiegen war. Das schien ein Jahrhundert zurückzuliegen.
Herrick war von untersetzter Statur und hatte sich gemütlich gerundet, seit er mit Dulcie verheiratet war. Gleichzeitig war er zu der für ihn immer noch unglaublichen Höhe eines Konteradmirals aufgestiegen. Er war schon so lange hier draußen, daß sein ehrliches rundes Gesicht wie Mahagoni aussah, eine Farbe, die seine strahlenden blauen Augen und die grauen Strähnen noch mehr hervorhob.