Geld bekommen. Zügig drückten die Riemen die lange Barkasse durch das kabbelige Wasser.
Schweigend und in seinen Mantel gehüllt saß Bolitho da und ließ die ferne Fregatte nicht aus den Augen. Sie war schön, in mancher Hinsicht schöner als die Phalarope, wenn das überhaupt möglich war. Sie war erst vier Jahre alt und kam von einer Werft in Frindsbury am Medway-Fluß. Herrick war in dieser Gegend zu Hause. Ihre Länge über Deck betrug 130 Fuß;[5] aus guter englischer Eiche gebaut, war sie ein Meisterstück. Kein Wunder, daß die Admiralität sie nicht wie so viele andere Schiffe ihrer Klasse bei Kriegsende einfach auflegen wollte. Sie hatte fast vierzehntausend Pfund gekostet, wie man Bolitho des öfteren versichert hatte. Nicht daß man es ihm noch extra klarzumachen brauchte — er wußte auch so, daß er von Glück sagen konnte, so ein Schiff zu bekommen. Ein schmaler Riß klaffte in den dahinfliegenden Wolken und ließ einen Strahl wässerigen Lichts über die Stückpforten der Undine und den sauberen Kupferbeschlag des Unterwasserschiffs spielen, der beim unruhigen Rollen hin und wieder sichtbar wurde. Ein solides Schiff, mit dem man alles machen konnte. Aber dabei fiel Bolitho ein, was ihm Stewart, der vorige Kapitän, anvertraut hatte. In einem wütenden Scharmützel vor Ushant[6] war sie von den schweren Geschützen eines Vierundsiebzigers beschossen worden und hatte vier Treffer direkt unter der Wasserlinie abbekommen. Nur mit Glück hatte sie England noch erreicht. Fregatten waren schnelle Schiffe für überfallartige Aktionen und nicht dazu bestimmt, sich mit schweren Linienschiffen in Feuergefechte einzulassen. Bolitho wußte aus eigener bitterer Erfahrung, welchen Schaden ein Treffer an einem so grazilen Schiffskörper anrichten konnte. Stewart hatte noch gesagt, er sei trotz sorgfältiger Überprüfung nicht sicher, ob der Rumpf nach der Reparatur wieder völlig stabil sei. War nämlich der Kupferbelag erst wieder aufgenietet, so genügte eine Inspektion von der Innenseite nicht, um festzustellen, ob die Werft wirklich einwandfrei gearbeitet hatte. Kupfer schützte den Rumpf vor Algenbewuchs, der die Geschwindigkeit erheblich mindern konnte. Aber hinter dem Kupfer mochte der schlimmste Feind jedes Kapitäns lauern: die Fäule, die einen erstklassigen Schiffsrumpf in eine tödliche Falle für den Unvorsichtigen verwandeln konnte. Vor zwei Jahren war in Portsmouth das
Flaggschiff des Admirals Kempenfeit, die Royal George, gekentert und gesunken, was mehrere hundert Menschen das Leben gekostet hatte. Es hieß, das Unterwasserschiff sei angefault gewesen und glatt herausgefallen. Wenn das einem stolzen Flaggschiff vor Anker passieren konnte, dann war bei einer Fregatte noch viel Schlimmeres zu befürchten.
Bolitho fuhr aus seinen Gedanken hoch: über dem Sausen des Windes vernahm er die schrillen Pfiffe des Bootsmanns und die stampfenden Schritte der Seesoldaten, die zur Ehrenbezeigung antraten. Er starrte zu den turmhohen Masten empor und sah die Matrosen in den Wanten. Seit einem Monat waren sie daran gewöhnt, ihn an Bord zu sehen, mit Ausnahme der Neuen, die auch er noch nicht kannte. Die würden sich jetzt Gedanken über ihn machen — wie er wohl wäre, zu hart oder zu nachlässig. Für die Mannschaft bedeutete der Kapitän, sobald erst einmal der Anker gelichtet war, einfach alles, ob er nun gut oder böse, ein schlechter oder ein tüchtiger Seemann war. Nur sein Ohr hörte auf ihre Klagen, nur seine Stimme sprach Belohnung oder Strafe aus.
«Riemen ein!«Allday erhob sich halb, die Ruderpinne in der Hand.»Auf Riemen!»
Das Boot lief aus, und der Bootsmann erwischte mit seinem Haken das Wasserstag beim ersten Versuch. Wahrscheinlich, mutmaßte Bolitho, hatte Allday während seiner Abwesenheit fleißig mit der Bootsmannschaft geübt. Er stand auf, um den richtigen Moment zu erwischen — er wußte genau, Allday paßte auf wie eine Katze vorm Mauseloch, damit er nicht zwischen Boot und Bordwand rutschte, oder, schlimmer noch, rückwärts stolperte und mit Armen und Beinen strampelnd zwischen die Männer fiel. Dergleichen kam vor; Bolitho hatte es selbst gesehen und erinnerte sich an seine grausame Schadenfreude beim Anblick des neuen Kapitäns, der triefend wie ein Scheuerlappen an Bord kam. Aber der Gischt hatte kaum Zeit, seine Hosenbeine anzufeuchten, da war er auch schon oben an Bord, und in seine Ohren gellte das Schrillen der Pfeifen und das Knallen der präsentierten Musketen der Marineinfanteristen. Er lüftete den Hut zum Achterdeck hin und nickte den Offizieren grüßend zu.»Schön, wieder an Bord zu sein, Mr. Herrick. «Sein Ton war kurz und dienstlich.
«Willkommen an Bord, Sir. «Auch Herrick sprach in offiziellem Ton. Aber in den Augen beider Männer stand ein
Glanz, der etwas mehr verriet als bloße Bordroutine. Etwas, das keiner der anderen sah oder gar teilte.
Bolitho zog seinen Mantel aus, reichte ihn Midshipman Penn und wandte sich um. Das schwindende Licht spielte über die weißen Aufschläge seines Galarocks. Nun wußten alle, daß er da war. Er sah die wenigen Matrosen, die oben in der Takelage noch etwas zu spleißen hatten, und andere, die sich auf den Decksgängen und zwischen den Doppelreihen der schweren Zwölfpfünder drängten. Er kam sich ein bißchen pompös vor, und dieses Gefühl nötigte ihm ein amüsiertes Lächeln ab.
«Ich gehe jetzt unter Deck.»
«Die Segelorder liegt in Ihrer Kajüte, Sir. «Herrick barst vor Neugier; das merkte man ihm trotz seines dienstlich formellen Tonfalls deutlich an, denn seine blauen Augen, die manchmal so verletzt dreinblicken konnten, straften seine dienstliche Haltung Lügen.
«Schön. Ich lasse Sie in Kürze rufen.»
Bolitho wollte nach achtern gehen; da bemerkte er eine Gruppe trüber Gestalten in Zivil, die sich an der Achterdeckreling zusammendrängten. Leutnant Davy war eben dabei, sie nach einer Liste namentlich aufzurufen.
«Neue Leute, Mr. Davy?«fragte er.
«Wir sind immer noch dreißig Mann unter Sollstärke, Sir«, warf Herrick leise ein.
«Aye, Sir. «Davy blickte mit zusammengekniffenen Augen von der Liste auf und durch den Sprühregen seinem Kapitän entgegen. Auf seinen hübschen Zügen lag ein zutrauliches Lächeln.»Ich bin gerade dabei, sie die Musterrolle unterzeichnen zu lassen.»
Bolitho ging zur Leiter und kletterte rasch zum Geschützdeck hinunter. Mein Gott, was für Elendsgestalten! Halbverhungert, zerlumpt, verprügelt. Das harte Leben an Bord konnte kaum schlimmer sein als das Leben, das sie bisher geführt hatten und das sie zu dem gemacht hatte, was sie jetzt waren.
Davy hatte die Musterrolle auf einen der Zwölfpfünder gelegt. Was der für elegante, gepflegte Hände hatte!» Kommt jetzt«, befahl er,»und macht eure Kreuze!»
Halb selbstbewußt, halb schüchtern schoben sie sich heran — bis vor ihren neuen Kapitän.
Bolithos Blick blieb an dem letzten in der Reihe haften: ein untersetzter, muskulöser Mann, unter dessen abgetragenem Hut ein geteerter Zopf hervorsah. Wenigstens ein erfahrener Seemann!
Der Mann merkte, daß Bolitho ihn ansah, und drängte sich vor.
«He, du da! Bleib gefälligst in der Reihe!«schimpfte Davy.»Dein Name?«fragte Bolitho.
«Turpin, Sir«, erwiderte der Mann zögernd. Davy wurde wütend.»Steh gefälligst stramm und nimm den Hut vor dem Captain ab, sonst hol' der Teufel deine Augen! Zumindest solltest du wissen, wem du Respekt zu erweisen hast!»
Der Mann nahm Haltung an; sein Gesicht drückte Scham und Verzweiflung aus. Bolitho hob den alten Mantel an, den Turpin über dem rechten Unterarm trug.
«Wo hast du die rechte Hand verloren, Turpin?«fragte er freundlich.
Der Mann schlug die Augen nieder.»Auf der Barfleur, Sir. Das war anno 81 bei der Schlacht in der Chesapeake Bay. «Er blickte auf, und ein stolzer Glanz trat in seine Augen, aber nur einen Moment.