«Ruder Nordnordwest!»
Ein Bootsmannsmaat beeilte sich,»Alle Mann an die Brassen «zu pfeifen.
Bolitho erläuterte Herrick, was er vorhatte:»Auf diese Weise bleibt die Insel zwischen uns und dem Schoner, und wir haben Raum in Luv. Setzen Sie Großsegel, aber lassen Sie die Oberbramsegel vorläufig noch angeschlagen.»
Herrick war sofort im Bilde.»Aye, Sir. Je weniger Leinwand wir zeigen, um so unwahrscheinlicher ist es, daß sie uns sichten.»
Bolitho warf einen Blick auf Mudge, der jetzt bei Fowlar am Ruder stand.»Sie selbst haben mir diese Idee in den Kopf gesetzt. Ich habe mir dauernd überlegt, wieso Muljadi immer so gut über unsere Bewegungen informiert ist. Ich glaube, wir werden bald wissen, wie er das macht. «Er schaute in den verwaschenen blauen Himmel hoch über den Masten, die in der heißen Luft verschwammen.»Wir wären direkt von Osten gekommen, wenn der Sturm nicht gewesen wäre. So haben wir wenigstens einen Vorteil von diesem Dreckwetter gehabt.»
«Und was ist mit den Instruktionen des Admirals?«fragte Herrick leise. Aber dann grinste er.»Ich kann Ihnen am Gesicht ansehen, daß Sie sich den passenden Moment selbst aussuchen wollen.»
Bolitho lächelte.»Bettler können sich gar nichts aussuchen. Das habe ich längst gelernt.»
Die Undine schwang mit krachenden, schauernden Segeln nach Backbord auf den neuen Kurs. Das kleine bucklige Inselchen schwamm in Luv vom Bugspriet weg, als habe es Anker gelichtet.
«Nordwest liegt an, Sir! Voll und bei!»
«Jetzt 'ran mit dem Großsegel!«befahl Bolitho und gab Davy das Handzeichen.»Mr. Mudge, wie lange noch, Ihrer Meinung nach?»
Mudge schob nachdenklich die Lippen vor.»Zwei Stunden,
Sir.»
«Gut. Dann können wir beide Wachen zum Essen schicken, sobald die Segel richtig ziehen.»
Eilig kletterten die Matrosen die Rahen entlang; andere standen unten an Deck bereit, um die mächtigen Großsegel von Haupt- und Fockmast dichtzuholen. Wohlgefällig nickte Herrick.»Die haben sich ein bißchen verändert seit damals, als sie an Bord kamen, Sir!»
«Das wird wohl für die meisten von uns zutreffen«, erwiderte Bolitho und merkte dabei plötzlich, daß er furchtbaren Hunger hatte. Er schritt zum Kajütniedergang. Bestimmt war das unbekannte Schiff harmlos, vielleicht ein schon längst aufgegebenes Wrack. Vielleicht wieder ein Trick, um ihn aufzuhalten und irrezuführen.
Noddall blickte ihm ängstlich entgegen.»Wieder Salzfleisch,
Sir.»
«Ausgezeichnet. «Er übersah die Verwunderung in Noddalls Nagetiergesicht.»Aber etwas Wein zum Anfeuchten!«Er lehnte sich über das Bord des Heckfensters und starrte auf das schäumende Kielwasser unter dem Steven. Zufall oder Glück, wie man es nun nennen mochte — nur darauf konnte er rechnen. Und er würde es zu nutzen wissen!
«Siebzehn Faden!«sang der Mann am Lot aus. Seine Stimme übertönte das Flappen der Leinwand. Die Großsegel waren jetzt wieder aufgegeit, und die Undine glitt stetig auf die kleine Insel zu. Eben tippte Shellabeer dem Mann auf die Schulter und ließ sich das Lot geben. Er befühlte das talggefüllte Bodenstück und meldete dann:»Felsiger Grund, Sir.»
Bolitho nickte. Das Inselchen war so, wie Mudge es beschrieben hatte: eine isoliert stehende Felsenklippe, kein eigentlicher Teil des Meeresgrundes.
«Klarmachen zum Ankern, Mr. Herrick!«Er ließ sich von Penn ein Fernglas geben und suchte sorgfältig die Felszacken der Insel ab. Sie lagen jetzt etwa fünf Kabellängen entfernt, aber es war nahe genug um zu sehen, daß der erste Eindruck falsch gewesen war. Die Insel sah jetzt keineswegs mehr wie ein glatter Walfischrücken aus. Die Felsen waren bläulichgrau wie die Schiefergebirge in Cornwall. Wind und Wetter hatten tiefe
Klüfte hineingegraben, so als hätte ein Riese versucht, die Insel in Stücke zu hacken. Abgesehen von ein paar Büschen Stechginster und sonstigen Steinpflanzen sah sie kahl und unwirtlich aus, aber in vielen kleinen Spalten hockten zahllose Seevögel, und andere kreisten hoch oben in der Luft, etwa dreihundert Fuß über dem Wasser, seiner Schätzung nach.
Herrick gab mit lauter Stimme seine Befehle; die Takelung knarrte und krachte, als die Undine in einer plötzlich aufkommenden Dünung rollte. Das Wasser sah tief aus, aber das war Täuschung. Am Fuße der nächstgelegenen Klippe gab es ein paar schmale, steinige Strände; vermutlich war der sicherste Ankerplatz auf der anderen Seite, dort wo sich das unbekannte Schiff versteckt hatte. Hier auf dieser Seite lief auch eine Brandung; steil und bösartig schäumte sie um die einzig sichtbare Stelle, wo eine Landung möglich schien.
«Ruder nach Lee!«Das Schiff glitt leicht in den Wind; er fing die Bewegung mit dem Glase ab und suchte nach irgendeinem Zeichen von Leben, einer geringfügigen Bewegung, die anzeigte, daß man sie gesehen hatte.
«Fallen Anker!»
Das Aufplatschen des Ankers klang ungebührlich laut; diese gottverlassenen Klippen schienen den Schall ärgerlich zurückzuwerfen.»Lebhaft, Jungens!«rief Herrick.»Boote klar zum Aussetzen, Mr. Davy!»
«Mr. Herrick«, warf Bolitho dazwischen,»der Mann am Lot soll jetzt genau aufpassen, ob der Anker hält. Wenn er auf dem felsigen Grund rutscht, müssen wir mehr Kette stecken.»
«Aye, Sir. «Und Herrick eilte davon. Er hatte alle Hände voll zu tun.
Trag schwojte und zerrte das Schiff an der Kette; es wurde jetzt ruhiger, einige Seevögel verließen ihre luftigen Plätze und zogen über den Masttopps ihre Kreise. Schwer atmend kam Herrick wieder.»Es scheint, wir liegen ziemlich sicher, Sir. Aber ich habe die Ankerwache angewiesen, scharf aufzupassen. «Er spähte mit zusammengekniffenen Augen zur Küste hinüber.»Das sieht ja wie ein Kirchhof aus.»
«Zwei Boote brauchen wir«, sagte Bolitho nachdenklich.»Gig und Kutter sind genug. Die müssen flott durch die Brandung. Steiler Strand, anscheinend. Teilen Sie also einen guten Bootsmann für den Kutter ein. «Er sah, daß Allday bereits durch Handzeichen das Anhieven und Aussetzen der Gig dirigierte, und fügte lächelnd hinzu:»Ich denke, me in Boot ist in guten Händen.»
Herrick fragte betroffen:»Wollen Sie denn mit an Land, Sir?»
«Nicht weil es mich nach Ruhm gelüstet, Thomas. «Er senkte die Stimme. Die eingeteilten Besatzungen traten jetzt bei den Waffenkisten zur Musterung an.»Aber ich muß zum mindesten wissen, womit wir es zu tun haben.»
Herrick war anscheinend nicht überzeugt.»Aber wenn das andere Schiff zu den Piraten gehört — was dann, Sir? Dann werden Sie doch sicher wenden wollen und den Kerl unter Feuer nehmen, wenn er versucht freizuschlippen.»
«Nein. «Er schüttelte bestimmt den Kopf.»Der liegt da hinten sicher vor Anker. Und dort ist das Wasser zu flach, als daß ich nahe genug herankönnte, um ihn unter Feuer zu nehmen. Wenn er erst mal auf hoher See ist, dann kann er uns zum Besten haben, wie er will — ich fürchte, wir sind unter diesen Umständen einfach nicht beweglich genug. Und außerdem«, fügte er hart hinzu,»will ich ihn entern.»
«Boote liegen längsseits, Sir!«meldete Davy. Ein krummer Entersäbel baumelte an seiner Seite. Bolitho faßte seinen eigenen Degen. Indessen betrachtete Hauptmann Bellairs die Boote, die ohne ihn fahren sollten, mit wachsendem Ärger.
«Hauptmann Bellairs«, rief Bolitho,»ich wäre Ihnen verbunden, wenn ich für jedes Boot drei Ihrer allerbesten Scharfschützen haben könnte. «Bellairs wurde zusehends heiterer und blaffte Sergeant Coaker an:»Äh — Beeilung, Sa'rnt! Eigentlich müßten sie ja allesamt erstklassige Scharfschützen sein, wie?»
Herrick grinste.»Sie denken auch an alles, Sir.»
Bolitho ließ das Glas aufs neue über die Insel gleiten, dort wo eben ein paar Seevögel elegant auf einer Klippe landeten. Das würden sie nie tun, wenn Menschen in der Nähe wären.»Kann ja sein, daß Seeleute besser klettern können, aber eine gutgezielte Kugel im richtigen Moment ist nun mal nicht zu schlagen.»
Er nickte Davy zu.»Mannschaften in die Boote!«Und dann zu Herrick, ganz beiläufig:»Wenn etwas schiefgeht, finden Sie die Befehle des Admirals in meiner Kajüte.»