Noch ein Krachen, ein einzelnes nur, rollte von der dunstigen Küste herüber und verklang.
Bolitho zog seine neue Uhr hervor und starrte lange auf das Zifferblatt. Bei der geringen Fahrt, die sie jetzt machten, würden sie fast eine Stunde bis an Land brauchen. Aber das war nicht zu ändern.
«Kein Grund, Sir!»
«Weitergeben an Hauptmann Bellairs«, befahl Bolitho.»Ein komplettes Landungsdetachement! Und an Mr. Davy: Boote klar zum Aussetzen, sobald wir ankern. Er übernimmt das Kommando selbst!»
«Eine sichere Küste, nach allem, was ich gehört habe«, sagte Conway.»Die Ansiedlung und das Fort liegen am westlichen Abhang der Bucht.»
Herrick kam wieder nach achtern. Er faßte grüßend an den Hut und fragte mit einer gewissen Zurückhaltung:»Soll ich die Geschütze laden lassen, Sir?»
«Noch nicht, Mr. Herrick.»
Bolitho richtete sein Fernrohr über Backbord voraus. Die Ansiedlung, das Fort — er konnte sie nicht deutlich erkennen; vielleicht bildete er sich auch nur ein, etwas zu sehen. Eigentlich war alles nur ein verwischtes Grün, ohne Anzeichen von Besiedlung.
Er hörte das Befehlsgebrüll des Sergeanten der Marineinfanterie und das Getrampel der Seesoldaten, die für das Landungsdetachement in Gruppen eingeteilt wurden. Bellairs beaufsichtigte den Vorgang vom Steuerborddecksgang aus. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, aber seinen Augen entging nichts.
«Zwanzig Faden!«[15] sang der Mann unterm Bugspriet triumphierend aus.
Düster nickte Mudge.»Stimmt ungefähr. Hier sind es überall zwanzig Faden.»
Ein paar kleine Vögel flitzten kreuz und quer über die Wasserfläche und kreisten um die gebraßten Rahen. Bolitho sah ihnen zu und dachte an die Mauersegler, die um das graue Steinhaus in Falmouth flogen. Dort mußte es jetzt schön sein! Sonne, leuchtende Farben, Schafe und Rinder auf den Hügeln. Und in der Stadt selbst ein Gewimmel von Farmern und Seeleuten, die seit uralten Zeiten einer von des anderen Arbeit lebten.
Bolitho bemerkte Herrick in der Nähe und sagte leise:»Tut mir leid, daß ich vorhin grob geworden bin.»
Herrick lächelte.»Hat nichts zu sagen, Sir. Sie hatten ganz recht. Wir sind auf dieser Reise schon mal reingefallen, weil wir nicht aufgepaßt haben. Schwierigkeiten verschwinden nicht davon, daß man wegsieht.»
«Die Rosalind setzt wieder ihre Vorsegel, Sir!«Sie wandten sich um und sahen, daß die Brigg sich vor den Wind legte und mehr Fahrt zu machen begann.»Bei Gott«, knurrte Conway,»der Kerl will vor uns einlaufen! Der Teufel soll ihn holen!»
«Das ist sein gutes Recht, Sir. «Bolitho richtete sein Teleskop auf die Brigg, sah die geschäftigen Gestalten an Deck und in der Takelage, sah, wie der Wimpel mit großartigem Schwung im Wind schlug und das Wappen darauf im Sonnenlicht glänzte.»Bis die Übergabe offiziell vollzogen ist, bleibt es Territorium der Spanischen Handelskompanie.»
«Eine bloße Formalität«, erwiderte Conway wütend und starrte Bolitho ins Gesicht.»Geben Sie einen Warnschuß ab, Captain!»
«Befehl weitergeben zum Vorschiff, Mr. Herrick! Eine Kugel! Aber aufpassen, daß sie die Brigg nicht trifft!»
Der Mann an der Lotleine sang aus:»Achtzehn Faden!»
Die Lafette quietschte und knarrte, als das Geschütz ausgefahren wurde. Der Stückführer visierte am Rohr entlang, und als ein Sonnenstrahl ihn traf, sah Bolitho, daß seine eine Hand ein eiserner Haken war: Turpin.
«Klar zum Schuß, Sir!«meldete Herrick.
«Dann Feuer frei.»
Die Kanone krachte, und Sekunden später spritzte ein dünner Wasserstrahl hoch, weitab vom Bug der Brigg.
«Nun wissen sie wenigstens, daß wir kommen, Sir«, sagte Bolitho.
«Diese Wilden!«schimpfte Conway.»Ich werde es ihnen schon zeigen!»
Mit einem Seufzer der Erleichterung sah Bolitho, daß die Brigg einen Strich abfiel. Der Klüver wurde, als Reaktion auf das grobe Signal, bereits aufgegeit. Der Gedanke, daß eine unzureichend bewaffnete Brigg zwischen einen eventuellen Feind und seine eigenen Kanonen geriet, war ihm unerträglich. Und noch dazu, da sie an Bord der Rosalind war.
Scharf wandte er sich ab; er ärgerte sich über sich selbst, weil er seine Gedanken wieder einmal ihre eigenen Wege gehen ließ. Gerade jetzt mußte er völlig klaren Kopf behalten.
«Mr. Mudge, was wissen Sie noch von dieser Gegend, außer dem, was Sie mir schon erzählt haben?»
Der Steuermann zuckte die Schultern.»Kaum jemand kennt das Hinterland, Sir: Kopfjäger und viele Stammesfehden, wie ich gehört habe. Die Eingeborenen sind zum Teil Seefahrer, Piraten aus Nordborneo. Seedajaks nennt man sie. Manches gute Schiff, das nichtsahnend hier vor Anker lag, ist von diesen Teufeln überfallen worden. «Er schüttelte so heftig den Kopf, daß seine Backen schwappten.»Dann hauen sie mit diesen langen Messern zu, und es ist aus und vorbei.»
In diesem Moment deutete ein Matrose, der neben einem Sechspfünder stand, nach oben, wo der Wimpel im Topp auf einmal energisch zu flattern begann. Wie ein langer, träger Vorhang hob sich der Dunst und zerstob. Endlose Strande, dichter Dschungel und schließlich weit hinten die sich überschneidenden Berge wurden sichtbar. Herrick ließ das Teleskop sinken.
«Und das soll der Stützpunkt sein, Sir?»
Bolitho behielt sein Glas vorm Auge; er wagte nicht, Conway ins Gesicht zu sehen. Was er zuerst für einen Haufen gefällter und aufeinandergeschichteter Baumstämme gehalten hatte, wurde nun zu langen, spitzen Palisaden, in unregelmäßigen Zwischenräumen von niedrigen Blockhäusern verstärkt. Als sich der Dunst vollends verflüchtigt hatte, konnte er die Gouverneursresidenz ausmachen. Das mußte sie sein, das größte Gebäude, das zu sehen war. Es war ebenfalls aus Baumstämmen erbaut, mit einem oberen und einem unteren Wehrgang und einem spinnenbeinigen Wachtturm in der Mitte, an dem die spanische Flagge sich manchmal in der schwachen Brise träge hob.
«Um Gottes willen«, sagte Conway gepreßt — kaum wollten ihm die Worte aus der Kehle.
Angestrengt spähte Bolitho hinüber, ob sich nicht außer der Flagge etwas regte — irgendein Zeichen menschlichen Lebens. Der Bau sah primitiv aus, war aber günstig gelegen und leicht zu verteidigen. Überall auf der Welt mußte es solche Stützpunkte geben. Aber wie hatte es hier vorher ausgesehen? Irgendwer mußte als erster aus einem Boot gestiegen und an Land gewatet sein, um eine Fahne zu hissen und damit das Gebiet für sein Vaterland in Besitz zu nehmen. Bolitho hatte von Inseln im Pazifik gehört, die abwechselnd von einem halben Dutzend Nationen als ihr Eigentum beansprucht wurden. Manchmal lag der echte Wunsch nach Kolonisierung vor; manchmal aber war nur ein Schiff eingelaufen, das nichts weiter wollte, als Wasser und Brennholz zu übernehmen.
«Zehn Faden!«sang der Mann am Lot aus.
«Wir ankern bei acht Faden«, sagte Bolitho zu Herrick. Allday machte sich bereits an der festgelaschten Gig zu schaffen.»Und dann die Boote zu Wasser, so schnell es geht!»
Er betrachtete aufmerksam die kabbligen kleinen Wellen, welche die auffrischende Brise vor sich hertrieb: eine große, gutgeschützte Bucht. Wie es heißt, hatte die Königlich Spanische Handelsgesellschaft sie vor einigen Jahren beinahe zufällig in Besitz genommen. Eigentlich hatte sie ihren Stützpunkt weiter nördlich errichten wollen, um Zugang zum Handel mit den Philippinen zu gewinnen. Aber da war Fieber ausgebrochen, es hatte Verluste an Schiffen und Vorräten gegeben, und so hatten sie sich schließlich hier festgesetzt. Es war leicht zu verstehen, warum die Spanier den Mut verloren hatten, und noch leichter war einzusehen, wieviel wichtiger das Gebiet für die Briten sein würde. Beide Indien waren von hier aus erreichbar und desgleichen die weiträumigen, bisher kaum erforschten Reserven des Chinesischen Meeres. So konnte der Stützpunkt Teluk Pendang ein lebenswichtiges Bindeglied sein, vorausgesetzt, er bekam Zeit, sich zu entwickeln, und wurde geschickt regiert. Jetzt, da die Spanier und Franzosen sich aus dieser Gegend zurückgezogen hatten, gab es nur noch die Konkurrenz des holländischen Ostindienhandels.