Musketenläufe richteten sich ziellos aufs Gebüsch, und ein paar Männer griffen nach ihren Entermessern.
«Nur einer von unseren Spähern!«rief Soames und trat auf die schattenhafte Gestalt zu.»Bei Gott, Hodges, du hast dich beeilt!»
Der Mann kam auf die kleine Lichtung und blickte Bolitho an.»Ich habe das Schiff gefunden, Sir. Es liegt 'ne knappe halbe
Meile entfernt. «Er zeigte in die Richtung.»Wenn wir etwas abdrehen, sollten wir in 'ner knappen Stunde dort sein.«»Was noch?»
Hodges hob die Schultern. Er war ein mageres Kerlchen, und Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie er als Wildhüter in den Marschen von Norfolk herumgestreift war.
«Ich bin nicht zu nahe 'rangegangen, Sir«, sagte er.»Aber sie liegen ziemlich dicht unter Land. Einige Leute waren an Land, auf einer Lichtung. Ich habe… «Er zögerte.»Ich habe so eine Art Stöhnen gehört. «Er schüttelte sich.»Lief mir richtig kalt über den Rücken, kann ich Ihnen sagen, Sir.»
«Wie ich dachte«, sagte Soames wütend.»Sklavenjäger, verfluchte! Sie haben wahrscheinlich ihr Lager an Land, fangen die armen Teufel ein und teilen sie in Gruppen. Mädchen in der einen, Männer in der anderen. Dann werden die Kräftigsten ausgesucht.»
Fowlar spuckte ins Laub und nickte grimmig.»Den übrigen schneiden sie die Hälse durch, um Pulver und Blei zu sparen, und lassen sie liegen.»
Bolitho blickte den Späher an; Fowlars brutalen Kommentar wollte er nicht hören. Daß diese Dinge geschahen, war allgemein bekannt, aber anscheinend wußte niemand, was dagegen zu tun war. Besonders da viele einflußreiche Persönlichkeiten Profite aus dem Sklavenhandel zogen.»Haben sie Wachen aufgestellt?«fragte er.»Zwei hab' ich gesehen, Sir. Aber sie fühlen sich anscheinend ganz sicher. Das Schiff hat zwei Kanonen ausgefahren.»
«Natürlich«, knurrte Soames.»Wenn einer versucht, die armen Teufel zu befreien, kriegt er den Bauch voll Schrapnell.»
Der spanische Leutnant trat zu ihnen. Trotz des Gewaltmarsches brachte er es irgendwie fertig, in seinem gefältelten Hemd mit den weiten Ärmeln elegant auszusehen.»Vielleicht sollten wir umkehren, Capitan.«Vielsagend hob er die Schultern.»Hat keinen Sinn, dieses Schiff zu alarmieren, wenn es bloß ein Sklavenhändler ist, oder?»
Soames wandte sich wortlos ab. Sicher war er, ebenso wie der Großteil der Matrosen, empört darüber, daß Rojart die Sklaverei für eine ganz normale Einrichtung hielt.
«Wir gehen weiter vor, Teniente. Unsere Boote treffen sowieso nicht vor morgen früh ein. Mr. Soames, übernehmen Sie das Kommando hier. Ich will mir das selbst ansehen. «Bolitho winkte Midshipman Keen.»Sie kommen mit. «Und während er auf den Wald zuging, sagte er noch:»Die anderen machen sich bereit, mir zu folgen. Kein Wort; und haltet Tuchfühlung, damit ihr nicht getrennt werdet. Wer einen Schuß abfeuert, mit Absicht oder aus Versehen, kann sich auf was gefaßt machen!»
Hodges setzte sich an die Spitze.»Mein Kamerad, Billy Norris«, sagte er,»ist dort geblieben und beobachtet weiter, Sir. Bleiben Sie dicht hinter mir. Ich hab' den Weg markiert. «Und Bolitho glaubte ihm aufs Wort, obwohl er nirgends ein Zeichen sehen konnte.
Erstaunlich, wie nahe sie waren. Schon nach kurzer Zeit tippte Hodges ihn auf den Arm und bedeutete ihm, unter einem scharfblättrigen Busch Deckung zu suchen. Und da lag auch schon, wie auf offener Bühne, der Meeresarm vor ihnen. Hier war es viel lichter als im Wald; die letzten Sonnenstrahlen spielten noch im Laub und malten schillernde Reflexe auf die träge Dünung. Langsam schob sich Bolitho vorwärts und versuchte, die schmerzhaften Stiche in Brust und Händen zu ignorieren. Dann erstarrte er und vergaß alle Unbequemlichkeiten, denn jetzt konnte er das Schiff deutlich sehen. Hinter sich hörte er, wie Allday seine eigenen Gedanken aussprach:»Bei Gott, Captain, es ist der Schuft, der die Dons auf das Riff gelockt hat!»
Bolitho nickte. In dem engen Meeresarm wirkte die Brigantine größer, aber sie war nicht zu verkennen. Er hätte sie, das wußte er genau, auf Jahre hinaus nicht vergessen. Dann hörte er auch das klägliche Stöhnen, von dem Hodges berichtet hatte; ein scharfer, metallischer Klang drang vom anderen Ufer der Bucht herüber.
«Sie legen den armen Teufeln Handschellen an«, flüsterte Allday. Bolitho zwängte sich noch etwas vor und erkannte die Ankerkette der Brigantine, ein längsseits liegendes Boot und ein glimmendes Licht an der Kampanje. Keine Flagge, ebenso wie damals. Aber zweifellos war die Mannschaft auf der Hut. Zwei Geschütze waren schußbereit ausgefahren, die Mündungen gesenkt, um etwaige Angreifer mit einer Salve zu empfangen.
Langsam glitt ein Boot vom Ufer zum Schiff hinüber, und Bolitho fuhr zusammen, als er den Aufschrei einer Frau hörte. Schrill, nervenzerreißend hallte der Ton von den Bäumen wider.
«Sie schaffen die Sklaven an Bord«, knirschte Allday.»Werden bald ablegen, schätze ich.»
Bolitho nickte und befahl Keen:»Holen Sie die anderen. Aber sie sollen leise sein. «Er sah sich nach dem zweiten Späher um, der dumpf im Busch hockte.»Du gehst mit!«Und zu Allday:»Wenn wir sie schnappen, werden wir endlich erfahren, wer hinter der Sache mit der Nervion steckt.»
Allday hatte beide Hände an seinem Entersäbel.»Bin sehr dafür, Captain!»
Dumpfe Laute drangen von der Brigantine herüber, dann folgte ein schriller Aufschrei, der in ein langgezogenes Kreischen überging, das aber plötzlich wie abgeschnitten verstummte. Wie weit mochte es wohl bis zur offenen See sein? Der Sklavenfänger mußte so unauffällig, wie er hereingekommen war, auch wieder hinaus und sich alle Mühe geben, jedes Aufsehen zu vermeiden, bis sein Schiff klar von der Küste war.
Bolitho konnte kaum glauben, daß er hier saß und ausgerechnet dieses Schiff beobachtete. Während die Undine lange nach den Überlebenden der Nervion gesucht und dann noch weite Umwege gemacht hatte, um das Land und andere Schiffe zu meiden, war dieser Sklavenfänger in aller Ruhe seinen Geschäften nachgegangen, als sei nichts geschehen. Er mußte eiserne Nerven besitzen.
Jetzt waren wieder Schreie zu hören, wie von Tieren im Schlachthaus. Slavenhändler hatten keine Empfindungen. Und schon gar kein Mitleid.
Bolitho hörte ein schwaches Geräusch hinter sich und dann Soames' leise, unbewegte Stimme:»Der junge Keen hat recht. Es ist tatsächlich dasselbe Schiff. «Prüfend blickte er über die Brigantine hinweg zu den Baumwipfeln empor.»Nicht mehr viel Zeit, Sir. In einer Stunde ist es stockfinster, vielleicht schon früher.»
«Glaube ich auch. «In der Lichtung wurden jetzt die Sklaven zusammengetrieben. Ein paar Rauchfetzen stiegen von einem Feuer auf; vielleicht hatte daran ein Schmied an den Handfesseln gearbeitet. Dort war der schwächste Punkt.»Nehmen Sie zwanzig Mann und umgehen Sie das Lager. Beim ersten Alarmzeichen feuern Sie mit allem, was Sie haben. Das sollte wenigstens eine Panik verursachen.»
«Aye. So wird's gehen.»
Bolithos Kopf war eiskalt vor Erregung. Bei solchen Gelegenheiten überkam ihn stets eine Art Besessenheit.»Ich brauche zehn Mann, die schwimmen können. Wenn wir es schaffen, an Bord zu kommen, solange sie noch verladen, müßten wir das Achterdeck halten können, bis Sie die Boote gestürmt haben und uns zu Hilfe kommen.»
Er hörte, wie Soames sich das stoppelige Kinn rieb.»Ein tollkühner Plan, Sir — aber jetzt oder nie!»
«Also dann… Sagen Sie Rojart, er soll mit ein paar Mann als Flankenschutz den Platz hier halten. Denn wenn alles schiefgeht, müssen wir wieder hierher zurück.»
Soames kroch zurück und gab flüsternd die Befehle weiter. Weitere Gestalten krochen raschelnd heran, und Keen meldete:»Unsere Abteilung ist klar, Sir.»
«Unsere Abteilung?»
Keens weiße Zähne blitzten in dem schwindenden Licht.»Ich schwimme ausgezeichnet, Sir.»
Besorgt murmelte Allday:»Hoffentlich gibt es hier keine von diesen verdammten Wasserschlangen!»