Als die ersten Männer hinunterkletterten, trat Mudge zu Bolitho ans Fallreep.»Ich müßte eigentlich mit an Land, Sir. Aber ich habe Fowlar, meinem besten Maat, die Lage der Wasserstelle beschrieben, und er ist ein tüchtiger Mann, Sir, wirklich.»
Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm das Degengehänge umschnallen konnte.»Na, was macht Ihnen dann Sorgen, Mr. Mudge?»
Der Alte zog die Brauen zusammen.»Es gab 'ne Zeit, da konnte ich 'ne halbe Meile schwimmen und danach eine Meile mit vollem Gepäck marschieren… »
Herrick grinste.»Und hatten dann noch genug Atem für 'ne Nummer mit einer hübschen Deern, wie?»
Mudge blitzte ihn wütend an.»Ihre Zeit kommt auch noch, Mr. Herrick. Altwerden ist kein Spaß!»
Bolitho lächelte.»Hier an Bord gelten Sie immer noch eine ganze Menge. «Und zu Herrick gewandt:»Riggen Sie Enternetze auf, solange wir weg sind. Mit nur einer Ankerwache und den paar Seesoldaten könnten Sie in Schwierigkeiten kommen, wenn jemand einen Überraschungsangriff versucht. «Er legte ihm die Hand auf den Arm.»Ich weiß, ich bin übervorsichtig. Ich sehe Ihnen am Gesicht an, was Sie denken. Aber besser zu vorsichtig als tot. «Er warf einen kurzen Blick auf die Küste.»Besonders hier.»
Auf dem Weg zur Schanzpforte fügte er noch hinzu:»Die Boote kommen jeweils zu zweien zurück. Wechseln Sie nach Möglichkeit die Leute aus. Sie werden schnell ermüden bei dieser Hitze.»
Er sah noch, wie Puigserver ihm vom Decksgang her zunickte und daß Raymond vom Achterschiff, neben dem kleinen Sonnendach seiner Frau, herüber spähte. Die Abteilung für die Ehrenbezeugung stand angetreten; er faßte grüßend an seinen Hut und kletterte rasch in die Gig, wo Allday schon an der Ruderpinne saß.
«Ablegen!»
Ein Boot nach dem anderen kam gemächlich aus dem Schatten der Fregatte heraus und nahm mit gleichmäßigem Riemenschlag Kurs auf das Land. Bolitho blieb in der Gig stehen, um die kleine Flottille zu mustern: voran Leutnant Soames in der Barkasse, dem größten Boot der Undine, und um ihn jeder Kubikzoll Raum vollgepackt mit Männern und Fässern, während im Bug ein Geschützführer an der geladenen
Drehbasse hockte. Dann kam Davy im ebenfalls tiefbeladenen Kutter: schlank neben Mr. Pryke, dem rundlichen Schiffszimmermann der Undine, wie es sich gehörte, ging Pryke mit an Land, in der Hoffnung, passendes Holz für die ständigen Reparaturen am Schiff zu finden. Midshipman Keen, von dem kleinen Penn begleitet, hatte die Pinasse; die beiden zappelten buchstäblich vor Aufregung in dem ruhig durchs Wasser gleitenden Boot. Bolitho blickte über das Heck seiner Gig zum Schiff zurück. Die Gestalten an Deck wirkten bereits klein und unpersönlich. Jemand war in der Kajüte, Mrs. Raymond wahrscheinlich. Vielleicht sah sie den Booten nach, vielleicht wollte sie ihrem Mann aus dem Weg gehen, vielleicht hatte sie auch ganz andere Gründe. Dann blickte er auf die Männer in der Gig hinab, auf die Waffen zwischen ihren gespreizten Beinen, die verlegen abgewandten Gesichter. Vorn hockte ein Mann und schwenkte den Lauf der Standmuskete hin und her, um das Gestell von verkrustetem Salz zu befreien. Das war Turpin, der damals in Spithead so verzweifelt versucht hatte, Davy zu täuschen. Er spürte Bolithos Blick und hob den Arm; ein Haken aus glänzendem Stahl saß statt der Hand daran.»Der Stückmeister hat's mir machen lassen, Sir!«rief er grinsend.»Besser als die richtige Hand!»
Bolitho lächelte zurück. Der wenigstens war guter Laune. Er beobachtete die langsam dahinziehenden Boote: insgesamt achtzig Mann mit Offizieren, und noch mehr würden übersetzen, sobald er die Boote für ihren Transport entbehren konnte. Er setzte sich und zog den Hut tiefer über die Augen. Dabei rührte er an die Stirnnarbe und erinnerte sich an jenes andere Wasserbeschaffungsunternehmen, an dem er vor so langer Zeit beteiligt gewesen war… Der plötzliche Angriff damals, Schreie von überallher, der riesige Wilde, der das Entermesser schwang, das er soeben einem sterbenden Matrosen entrissen hatte. Bolitho hatte es noch aufblitzen sehen, dann war er mit blutüberströmten Gesicht besinnungslos zu Boden gestürzt. Sein Bootsmann hatte sich dazwischen-geworfen, sonst wäre es aus mit ihm gewesen.
Herrick paßte es vermutlich nicht, daß Bolitho die Landetruppe selbst befehligte. Das war normalerweise Sache des Ersten Leutnants. Aber die Erinnerung an den Kampf damals mahnte ihn daran, daß jederzeit unvermutet etwas schiefgehen konnte.
«Noch eine Kabellänge, Captain«, sagte Allday und ließ die Gig etwas abfallen. Bolitho fuhr auf; er mußte geträumt haben. Die Undine war jetzt weit weg und sah wie ein zierliches Spielzeug aus, während vor ihrem Bug das Land seine riesigen grünen Arme nach ihnen ausstreckte.
Wieder einmal erwies es sich, daß man auf Mudges Gedächtnis bauen konnte. Zwei Stunden, nachdem die Boote auf den Strand gezogen und die Arbeitskommandos eingeteilt waren, meldete Fowlar, der Steuermannsmaat, er habe einen Bach mit wunderbar frischem Wasser gefunden.
Sofort gingen sie an die Arbeit. Bewaffnete Wachen wurden an sorgfältig ausgewählten Punkten mit guter Sicht postiert und Späher auf die kleine Anhöhe geschickt, unter der Mudges Bach durch den dichten Dschungel rann. Nach den ersten unsicheren Schritten auf dem festen Land, das ihre Seebeine nicht mehr gewohnt waren, machten sich die Matrosen eifrig ans Werk. Pryke, der Schiffszimmermann, baute mit seinen Helfern rasch ein paar kräftige Schlitten, auf welchen die vollen Wasserfässer hinunter zu den Booten gezogen werden sollten; und während der Küfer wachsam am Bach wartete, hieben die anderen unter Fowlars Aufsicht mit Äxten einen Pfad durch den Wald.
Bolitho hielt Verbindung zwischen Bach und Strand. Mehrmals ging er hin und her, um sich zu vergewissern, daß alles gut lief, und Midshipman Penn trabte treulich mit ihm, um im Bedarfsfall als Befehlsüberbringer zu fungieren. Am Strand hatte Leutnant Soames das Kommando; er sollte auch den Nachschub einteilen, der später vom Schiff herüberkommen würde. Davy war für den Betrieb an der Wasserstelle zuständig, und Keen tauchte ab und zu an der Spitze einiger Bewaffneter auf, mit denen er die arbeitende Abteilung gegen unwillkommene Besucher sichern sollte. Fast sofort hatte Fowlar zwei Feuerstellen von Eingeborenen entdeckt; aber sie waren schon verrottet und auseinandergeweht und wohl seit Monaten nicht mehr benützt worden. Trotzdem spürte Bolitho eine Bedrohung im Nacken, wenn er stehenblieb, um zu kontrollieren, wie weit die einzelnen Abteilungen waren: eine schwer zu definierende Feindseligkeit.
Einmal mußte er auf dem Weg landeinwärts beiseitetreten, als ein plumper Schlitten, von zwei Dutzend lästerlich fluchenden Matrosen geschoben, an ihm vorbeidonnerte und dabei das Unterholz wegdrückte. Da flogen unter mißtönendem Gekreisch mehrere große Vögel auf. Bolitho sah ihnen nach und trat dann in die breite Schleifspur zurück. Wenigstens gab es hier doch etwas Lebendiges, dachte er. Unter den Bäumen, die den Himmel verdeckten, war die Luft schwer und stank nach faulenden Pflanzen. Hier und da raschelte und knackte etwas, oder ein Auge blitzte wie ein kleiner schwarzer Knopf kurz in der Sonne auf und verschwand ebenso schnell.
«Das könnten Schlangen sein«, keuchte Penn. Sein Atem ging schwer, das Hemd klebte ihm am Körper, denn er mußte sich mächtig anstrengen, um Bolithos Tempo durchzuhalten.
Davy stand unter einem Felsüberhang und machte einen Strich in seiner Liste, denn eben hämmerte Duff wieder ein Wasserfaß sorgfältig zu, damit auf dem holprigen Weg kein Tropfen verlorenging- Er richtete sich auf, nahm Haltung an und meldete:»Alles klar, Sir.»
«Gut. «Bolitho bückte sich, schöpfte mit den hohlen Händen Wasser aus dem Fluß und trank. Es schmeckte erfrischend wie Wein, trotz der schwärzlich-fauligen Wurzeln, die von beiden Ufern ins Wasser wuchsen.»Kurz bevor es dunkel wird, machen wir Schluß«, sagte er und blickte hoch zu einem Fleck blauen Himmels, als die Bäume leise zu rauschen begannen. Am Boden, unter den verfilzten Zweigen, war die Luft unbeweglich, aber oben wehte ein stetiger Landwind.