Pünktlich auf die Minute kam Vizeadmiral Sir Robert Napier das Fallreep der Phalarope herauf und zog den Hut, um die Ehrenbezeigungen entgegenzunehmen. Als das Trillern der Pfeifen verklang und die Ehrenwache der Marinesoldaten präsentierte, schlug der kleine Trommler der Fregatte, begleitet von zwei Pfeifen, dünn aber flott einen Marsch, und nach einem letzten Blick über das Oberdeck trat Bolitho vor, um den Admiral zu begrüßen.
Sir Robert nickte den versammelten Offizieren knapp zu, und während die Seesoldaten ihre Gewehre auf das Deck stießen, inspizierte er, Rennie und Kapitän Cope von der Cassius in gehörigem Abstand hinter sich, kurz und genau die angetretene Wache.
Aus dem Profil des Admirals versuchte Bolitho die Stimmung seines Gastes zu erkennen und den wahren Grund für diesen Besuch zu entdecken, aber Sir Robert Napiers verkniffenes Gesicht blieb sphinxgleich und unbewegt, wenn er gelegentlich Fragen abfeuerte oder zu Rennie etwas über die Haltung der Marinesoldaten bemerkte. Am Ende der Doppelreihe blieb er stehen und musterte das Hauptdeck.»Sie halten Ihr Schiff in Ordnung, Bolitho. «Aus dem trockenen Ton ließ sich nichts heraushören, weder Lob noch Tadel.
«Danke, Sir. «Bolitho wäre lieber mit dem Admiral allein in der großen Heckkajüte des Flaggschiffs gewesen. Dort hätte er mit allem fertigwerden können, was Sir Robert vorbrachte. Unter den jetzigen Umständen mußte jede Bemerkung formell und abgewogen sein. Er sah sich unsicher und gereizt um. Nun, was der Admiral auch von der Phalarope dachte, er selber war mit ihrem Aussehen zufrieden. Lange bevor ein Kurier über die
Aktivität an Bord des Flaggschiffs berichtet hatte und die Offiziersbarkasse längsseits kam, hatte Bolitho das ganze Schiff inspiziert, um absolut sicher zu sein, daß Sir Robert zumindest am Äußeren nichts auszusetzen fand.
Die Besatzung war angetreten, jedes Auge richtete sich auf die kleine, goldbetreßte Gestalt im Heck der Barkasse. Und jetzt, während der Admiral schweigend und nachdenklich dastand, herrschte eine Atmosphäre nervöser Erwartung, die sogar die Pfeifen und die Trommel auf dem Achterdeck nicht verdecken konnten.
«Sie können die Männer wegtreten lassen, Bolitho.»
Auf das Signal hin spritzten die Leute vom Hauptdeck, und die Marinesoldaten machten kehrt und verschwanden ebenfalls.
«Ich habe Ihren Bericht gelesen, Bolitho. Er enthält eine Menge. «Seine kühlen Augen flogen über Bolithos Gesicht, in dem sich kein Muskel regte.»Besonders hat mich der Teil über den Kapitän der Andiron interessiert. «Er bemerkte, daß Bolitho sich versteifte, und fuhr gelassen fort:»Nun, ich wußte vorher, um wen es sich handelte, aber ich hielt es trotzdem für das Beste, daß Sie die Aufgabe übernahmen. «Er zog die Schultern hoch, was ihm unter der schweren Uniform nicht leicht fiel.»Natürlich wußte ich nicht, daß Sie bereits sein Gefangener waren.»
«Und wenn Sie es gewußt hätten, Sir?«Bolitho bemühte sich, keine Erregung mitklingen zu lassen.
«Ich bin mir nicht sicher. Ihr Erster Offizier ist anscheinend in vieler Hinsicht ein fähiger Mann, aber ich fürchte, er wird immer zu jenen gehören, die Befehle brauchen. Ein geborener Untergebener.»
Aus dem Augenwinkel sah Bolitho, wie seine Offiziere Kapitän Cope nach unten geleiteten, und er wartete darauf, daß der Admiral fortfuhr. Er brauchte nicht lange zu warten.
«Die Andiron ist ausgeschaltet. Schon allein ihre Existenz war eine Herausforderung und Beleidigung für die ganze Flotte. Ich habe meine Ansicht über die Angelegenheit dem Oberbefehlshaber übermittelt und zweifle nicht, daß Ihre Verdienste gebührende Anerkennung finden werden. «Er blickte Bolitho fest an.»Gleichviel, die Tatsache, daß Ihr Bruder sie einst kommandiert hat und anscheinend noch am Leben ist, mag hier und da als eine Art stillschweigender Übereinkunft angesehen werden. «Er trat an die Reling und blickte zur Cassius hinüber.»Ich selbst sehe es nicht so, Bolitho. Ich übertrug Ihnen die Aufgabe nicht trotz, sondern wegen des Kapitäns der Andiron. Sie und Ihr Schiff haben sich gut gehalten. Ich habe das auch Sir George Rodney gegenüber betont. «Dann ließ er langsam die Worte folgen:»Doch wenn Ihr Bruder umgekommen wäre, wäre es für alle Beteiligten besser gewesen.«»Ich glaube, ich verstehe, Sir.»
«Natürlich verstehen Sie. «Die alte Gereiztheit des Admirals brach durch.»Tot sein, heißt vergessen sein. Fangen wir ihn, wird ihn nichts retten. Wir werden ihn öffentlich vor Gericht stellen und aufknüpfen. Und ich denke, Ihnen ist klar, daß solche Schande auf die ganze Familie fällt.»
«Ja, Sir.»
«Nun, genug davon. Sie haben Ihre Befehle ausgeführt, so gut Sie konnten. Das muß für den Augenblick genügen. Darüber hinaus haben Sie die Absichten des Feindes erkundet. Wenn die Meldung darüber zutrifft, wird das sehr zu Ihren Gunsten sprechen. «Er blickte zu der schwach schlagenden Flagge hinauf und murmelte:»Im Augenblick könnten wir ein bißchen Glück gut gebrauchen.»
Sir Robert schwieg, während Bolitho ihn in die Kapitänskajüte führte, wo die zehn Offiziere bereits versammelt waren. Sie saßen so dicht gedrängt um den in ganzer Länge ausgezogenen Tisch, daß keine Stecknadel zu Boden fallen konnte, und Bolitho fragte sich wieder, warum der Admiral sich herbemüht und dem vergleichsweisen Luxus seines eigenen Quartiers zeitweilig den Rücken gekehrt hatte. Die Offiziere erhoben sich und sanken erwartungsvoll auf ihre Stühle zurück, nachdem der Admiral und Bolitho sich zum Kopf des Tisches durchgezwängt hatten.
Zum ersten Mal, daß ich mit allen meinen Offizieren esse, ging es Bolitho durch den Sinn. Während Atwell und zwei eiligst abkommandierte Messeordonnanzen aufzutragen begann, sah er von einem zum anderen. Die vertrauten Gesichter wirkten verändert. Alle sahen irgendwie fremd und verlegen aus. Neben seinen Leutnants und Hauptmann Rennie waren auch die drei Fähnriche anwesend. Die Unteroffiziere waren durch Steuermann Proby und den Arzt Tobias Ellice vertreten, die beide, den Blick auf ihre Teller gerichtet, steif und unbehaglich dasaßen.
Der Admiral verhielt sich noch immer formell. Man aß in fast völligem Schweigen. Doch mit den Speisen kam der Wein, ausgeschenkt vom persönlichen Steward des Admirals, einem großen, hochmütigen Mann in scharlachfarbenem Rock. Zu diesem Zeitpunkt fing Bolitho an, die Absicht des Admirals zu begreifen. Denn zusammen mit der Spannung und der ungewohnt reichhaltigen und ausgezeichneten Mahlzeit tat der Wein bald seine Wirkung. Und als Bolitho bemerkte, daß der Admiral kaum etwas aß und an seinem Wein nur nippte, war ihm alles klar.
Die Stimmen wurden lauter, und indes Sir Robert stumm an Bolithos Seite saß, fingen die Offiziere an, freier zu reden. Bolitho war sich nicht klar darüber, was er stärker empfand, Ärger oder Bewunderung. Dem Admiral reichte der nackte Bericht, wie präzise auch immer, nicht aus. Er wollte mit eigenen Ohren hören, was sich abgespielt hatte, und zwar von den Leuten, die ihm bis dahin nur durch Bolithos Feder bekannt gewesen waren. Bolitho spürte, daß seine Anspannung etwas nachließ. Denn ob nun gut oder böse, gegen die verschlagenen Methoden des Admirals konnte er jetzt nichts mehr ausrichten.
Langsam entfaltete sich die Geschichte. Jede Phase kam zur Sprache und wurde von einem anderen Offizier beleuchtet. Die Attacke auf die Insel Mola und die Einnahme der Batterie. Die zungenfertigen Offiziere sprachen über den Plan in seiner Gesamtheit, die weniger beredten gaben sich damit zufrieden, die Einzelheiten des Bildes auszumalen. In einigen Beiträgen kam auch der Humor zu seinem Recht, etwa in der Geschichte des Steuermannsmaats Parker, der bei dem Angriff auf die Andiron die Jolle befehligt hatte. Die hochgehende See hatte ihn von den anderen Booten getrennt. Nicht nur, daß er zur Phalarope zurückkehren mußte, nein, um sein Mißbehagen noch zu steigern, wurde er vom Schiff durch Gewehrfeuer wachsamer Seesoldaten begrüßt. Und Humor lag auch in der Geschichte, wie Hauptmann Rennie den Rückzug von der Insel leitete, den Degen in der einen, eine halbe Geflügelpastete in der anderen Hand.