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Doch bei solchen Erinnerungen blieb es nicht, denn Sir Robert fragte plötzlich scharf:»Und Sie, Mr. Farquhar, wurden mit dem spanischen Gefangenen zurückgelassen?»

Farquhar sah ihn wachsam an, und einen Augenblick kehrte die Spannung an den eng besetzten Tisch zurück. Doch Farquhar verlor nicht den Kopf. Selbst die wohlbekannte Tatsache, daß Sir Robert gewöhnlich niemanden unter Leutnantsrang anredete, brachte ihn nicht aus der Fassung.

«Ja, Sir. Ich stieß zum Kapitän, und wir gerieten zusammen in Gefangenschaft.»

Der Admiral wandte sich Okes zu, der bisher beinahe stumm dagesessen hatte.»Ihr Teil bei diesem Unternehmen hat Sie offenbar sehr in Atem gehalten, Mr. Okes?»

Der Leutnant blickte bestürzt hoch.»Hm, ja, Sir. Ich tat, was ich tun mußte. Es gab keinen anderen Weg.»

Sir Robert nippte an seinem Wein und musterte ihn kühl.»Für einen so ruhmreichen Offizier sind Sie außerordentlich zurückhaltend, Mr. Okes. Ein bißchen Bescheidenheit ist immer willkommen, aber nicht, wenn sie wie Schuld wirkt. «Seine kalten Augen lagen noch ein paar Sekunden auf Okes' bleichem Gesicht, dann lachte er. Ein humorloses Lachen, doch es half, das plötzliche und unbehagliche Schweigen zu brechen.

«Und Sie, Mr. Herrick?«Der Admiral beugte sich vor und blickte an seinem Kapitän vorbei über den Tisch.»Ihre Heldentaten bei Nevis scheinen ein wenig vom Zufall begünstigt gewesen zu sein. Aber dennoch erreichten Sie ohne Zweifel Ihr Ziel.»

Herrick grinste breit.»Kapitän Bolitho hat mich bereits auf die Fallgruben des Glücks hingewiesen, Sir.»

«So, in der Tat?«Der Admiral zog leicht die Brauen hoch.»Bin erfreut, es zu hören.»

Und so ging es in der gleichen Art weiter. Der Admiral fragte und hörte zu. Und falls das zu nichts führte, provozierte er den unglücklichen Offizier offen zu einer erregten und unbedachten Antwort. Der Treuetrinkspruch wurde von dem jüngsten anwesenden Offizier ausgebracht. Fähnrich Neale, auf der einen Seite von Proby, auf der anderen von Ellice überragt, quiekte:»Gentlemen, auf den König!«Danach lief er rot an und verfiel wieder in Schweigen.

Bolitho bemerkte, daß sich die rechte Hand des Admirals wie eine Klaue um das Glas klammerte. Der Admiral sah seinen Blick und sagte verdrossen:»Verdammter Rheumatismus. Habe ihn seit Jahren.»

Plötzlich schätzte Bolitho den Mann an seiner Seite. Nicht den Admiral mit seinen kleinlichen Schwächen und dem ungerechten Gebrauch von Vorrecht und Rang, sondern einfach den Mann. Er war alt, wahrscheinlich in den Sechzigern, und soviel Bolitho wußte, hatte er in den letzten zehn Jahren den Fuß nicht länger als ein paar Tage an Land gesetzt. Er hatte seine Flagge auf vielen Schiffen wehen lassen und sich mit Problemen und Strategien beschäftigt, die Bolitho sich nur undeutlich vorstellen konnte.

Der Admiral sah ihn fest an.»Fragen Sie sich noch immer, warum ich gekommen bin, Bolitho?«Er wartete eine Antwort nicht ab.»Vor vielen Jahren habe ich selber eine Fregatte befehligt. Das war meine schönste Zeit, der Einsatz nicht so hoch. «Das Gesicht verschloß sich wieder.»Ich bin hergekommen, weil ich sehen wollte, was Sie aus diesem Schiff gemacht haben. «Er faßte sich ans Kinn, als suche er nach einem Weg, ein Kompliment zu umgehen.»Was ich sehe, mißfällt mir nicht gänzlich. «Er sprach so leise, daß die von neuem erwachte Unterhaltung seine Worte fast verschluckte.»Die Mehrzahl Ihrer Offiziere scheint Sie sehr zu achten. Ich weiß aus Erfahrung, wie schwer Achtung zu erringen ist.»

Bolitho lächelte dünn.»Danke, Sir.»

«Ich schätze es, die Männer zu kennen, die unter meinem Kommando stehen. Sehe ich ein Segel am Horizont, interessiert mich nicht die Zahl der Kanonen und der Zustand des Anstrichs. Mir liegt daran, den Geist des Mannes zu kennen, der das Schiff kommandiert, verstehen Sie?«Er starrte über die Köpfe der Offiziere hinweg.»England kämpft um sein Leben. Zur Zeit führen wir einen Verteidigungskrieg. Der Angriff kommt später, vielleicht erst nach Jahren, wenn ich tot und begraben bin. Doch bis dahin ist England auf seine Schiffe angewiesen, vielleicht nur auf ein paar hundert Schiffe, die voll einsatzfähig sind. «Er klopfte auf den Tisch, so daß die anderen verstummten und sich ihm zuwandten, um zuzuhören.»Und diese Schiffe hängen von ihren Kapitänen ab.»

Bolitho wollte etwas einwerfen, doch der Admiral sagte gereizt:»Lassen Sie mich ausreden. Ich kenne jetzt Ihren Ruf. Sie sind in vieler Hinsicht ein Idealist. Sie hoffen auf bessere Bedingungen für Ihre Leute, so daß Sie auf See eine ehrenhafte Karriere machen können. «Er unterstrich seine Worte durch den erhobenen Zeigefinger.»Als ich jünger war, hatte ich auch solche Illusionen, und mehr noch. Aber der ist ein guter Kapitän, der die Schwierigkeiten nimmt, wie sie kommen, und dennoch ein tüchtiges Schiff führt, ein Schiff, das Ehre und Lob verdient. «Seine Augen wanderten von einem zum anderen.»Nun, meine Herren, bin ich verstanden worden?»

Bolitho folgte dem Blick des Admirals: Vibart, rot angelaufen, ohne jedes Lächeln. Herrick, vom voraufgegangenen Sarkasmus des Admirals unberührt, grinste noch immer. Rennie, steif aufgerichtet, aber mit völlig glasigen Augen, die nichts mehr wahrnahmen. Old Daniel Proby, verlegen, in solcher illustren Gesellschaft zu sein, doch plötzlich mit einem Ausdruck von Stolz auf dem Gesicht, als hätte er eine tiefere Bedeutung aus den Worten des Admirals herausgehört. Und Ellice, der Arzt, der seit Beginn der Mahlzeit unaufhörlich getrunken hatte. Bolitho bemitleidete Ellice. Schlecht bezahlt wie alle Schiffsärzte. Kein Wunder, wenn er eher Schlächter denn Arzt war. Ein Wettlauf, doch wer würde gewinnen, der Alkohol oder ein tödlicher Irrtum? Es war lediglich eine Frage der Zeit. Okes litt noch immer unter der scharfen Einschätzung des halbvergessenen Angriffs auf die Insel. Bolitho bemerkte, daß Okes immer wieder verstohlen und verzweifelt zu Farquhar hinübersah, der im Vergleich zu ihm ruhig und teilnahmslos wirkte und in Gedanken vielleicht weit weg war. Möglicherweise wieder unter der in die Luft gejagten Brücke, wo ihn der Mann, der ihn jetzt immer wieder ansah, zurückgelassen und damit dem Tod ausgesetzt hatte. Die Tatsache, daß Farquhar darüber keine Bemerkung gemacht hatte, mußte Okes mehr als alles andere mit Sorge erfüllen.

Und die beiden anderen Fähnriche, Maynard und Neale? Sie waren erregt, ohne aber das mitzubekommen, was hinter den Gesprächen und Gedanken lag. Bolitho sah plötzlich sehr klar, welche Verantwortung er für sie alle trug.

Der Admiral stand auf und hob sein Glas.»Ein Trinkspruch!«Seine blassen Augen blitzten.»Tod den Franzosen!»

Alle hoben ihr Glas, und die Stimmen ratterten die Antwort heraus:»Und Verderben unseren Feinden!»

«Zeit aufzubrechen, Cope«, sagte der Admiral zu seinem Kapitän.

Bolitho folgte ihm zum Oberdeck. Er hörte nur halb auf die hastenden Füße und das Knarren der Riemen längsseits. Bolitho wußte, daß das Schlimmste vorbei war. Die Phalarope war endlich frei von Schande.

Er lüftete den Hut, als der Admiral zum Fallreep schritt, und wartete, bis er in der Barkasse verschwunden war. Dann setzte er den Hut mit einem Ruck wieder auf und begann, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf dem verlassenen Achterdeck auf und ab zu gehen.

Der Admiral hatte außerdem auf seine Weise klargestellt, daß es die Aufgabe des Kapitäns war, das Schiff weiterhin frei von Schande zu halten. Er blickte zu den Ankerlaternen, deren Schein auf dem Wasser tanzten, und lauschte dem klagenden Kratzen einer Violine und dem wehmütigen Klang eines alten Shantys. Solange die Männer noch singen, dachte er, ist Hoffnung für uns alle.

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