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XIII Gefahr von innen

Die Pfeifen trillerten Salut, als Richard Bolitho durch die verzierte Schanzpforte auf das weite Deck der Formidable trat. Automatisch hob er den Hut gegen das Achterdeck, und während er den Gruß des wachhabenden Flaggschiffoffiziers erwiderte, flogen seine Blicke umher und registrierten die Geschäftigkeit, das scheinbar endlose Deck und die langen Reihen schimmernder Kanonen.

Ein weißbehandschuhter Fähnrich eilte in tadelloser Haltung heran und führte Bolitho unter den kritischen Augen des diensttuenden Offiziers nach achtern zu der großen Heckkajüte, in die jeder erreichbare Kapitän vor einer Stunde befohlen worden war.

Bolitho hatte bei seinem einsamen Frühstück herumgetrödelt und über die merkwürdige Dinnerparty und Sir Robert Napiers beharrliche Fragen nachgegrübelt, als Fähnrich Maynard die Meldung brachte. Während Bolitho hastig seine beste Uniform anlegte, fragte er sich, warum Sir Robert die Zusammenkunft beim Oberbefehlshaber gestern nicht erwähnt hatte. Er mußte doch schon davon gewußt haben. Und indem er blicklos in den Spiegel am Schott starrte, fragte er sich, ob Sir Robert nur wieder eine seiner privaten Prüfungen veranstaltete. Wahrscheinlich hielt er sein Glas auf die Phalarope gerichtet, seit die Formidable das Signal gesetzt hatte.

Er prallte beinahe auf den Fähnrich und sah, daß sie die große Kajüte erreicht hatten. Der Fähnrich meldete:»Kapitän Richard Bolitho von der Phalarope.«Doch nur die zunächststehenden Offiziere nahmen von seinem Eintritt Notiz. Bolitho war das nur recht. Er drängte sich zu einer Ecke der Kajüte durch, und während eine Messeordonnanz wortlos seinen Hut in Empfang nahm, reichte ihm eine andere ebenso stumm ein großes Glas Sherry.

Bolitho trank einen kleinen Schluck und musterte aufmerksam die anderen Offiziere. Etwa dreißig Kapitäne jeden Dienstalters, ältere und jüngere, große und kleine, dicke und dünne. Nach diesem ersten Überblick schien er der Jüngste zu sein. Doch er war kaum zu diesem Schluß gekommen, da stieß ihn jemand leicht an. Er drehte sich um und erblickte den hochgewachsenen Leutnant, der die kleine Brigg Witch of Looe kommandierte.

Der Leutnant hob das Glas.»Ihr Wohl, Sir! Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ich mich über Ihre Rückkehr freue.»

Bolitho lächelte.»Vielen Dank. Bitte entschuldigen Sie, aber Ihr Name ist mir entfallen.»

«Philip Dancer, Sir.»

«Von nun an werde ich ihn mir merken.»

Der Leutnant lockerte nervös seine Halsbinde. Kein Wunder, wenn er als Jüngerer in einer so illusteren Gesellschaft nervös wurde.

«Im Vergleich mit Ihrer kleinen Brigg kommt es Ihnen hier sicher ein bißchen luxuriös vor?»

Dancer schnitt eine Grimasse.»Nur ein bißchen.»

Sie blickten zu den großen Heckfenstern hin, vor denen eine breite Galerie lief, auf der der Amiral über dem Kielwasser seines Schiffes ungestört hin und her wandern konnte. Bolitho sah Pflanzen in langen Blumenkästen, Silber und Kristall schimmerten auf einer hübschen Anrichte unter einem Gemälde von Hampton Court Palace. Plötzlich verstummten alle Gespräche, und jeder wandte sich einer Seitentür zu, durch die der Oberbefehlshaber mit seinem Gefolge die Kajüte betrat.

Bolitho hatte Sir George Rodney das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen. Er erschrak über sein verändertes Aussehen. Trotz der strahlenden Uniform mit dem leuchtenden Band und den Auszeichnungen wirkte er gebeugt und zusammengesunken, und sein Mund, nunmehr ein schmaler Strich, verriet die Krankheit, die ihn seit vielen Monaten plagte. Nur schwer erkannte man in ihm den Mann wieder, der vor zwei Jahren einen machtvollen Feind überwunden und das belagerte Gibraltar entsetzt hatte, oder den, der St. Eustatius angegriffen, erstürmt und als Beute drei Millionen Pfund Sterling nach England zurückgebracht hatte. Doch die Augen waren dieselben: hart und fest, als hätten sie alle Energie an sich gezogen.

Neben ihm, als scharfer Kontrast, der zweite im Kommando: Sir Samuel Hood wirkte gelassen, während seine Blicke über die versammelten Offiziere glitten. Eine große arrogante Nase und eine hohe Stirn beherrschten das Gesicht. Neben seinen beiden Vorgesetzten sah Sir Robert Napier beinahe unbedeutend aus.

Sir George Rodney ließ sich in einen Sessel sinken und faltete die Hände im Schoß. Dann sagte er kurz:»Ich habe Sie hergebeten, um Ihnen mitzuteilen, daß nach allen Informationen die Franzosen und ihre Verbündeten versuchen wollen, die englischen Verbände im hiesigen Gebiet endgültig auszuschalten. «Er hustete und betupfte sich den Mund mit einem Taschentuch.»Graf de Grasse hat eine große Zahl Linienschiffe zusammengezogen, die stärksten Schiffe, die sich jemals unter einer Flagge versammelten. Wäre ich in seiner glücklichen Lage, würde ich nicht zögern, mich auf die Schlacht vorzubereiten. »

Er hustete wieder, und leichte Unruhe ergriff die Offiziere. Die Überbeanspruchung während all der Jahre des Planens und Kämpfern wühlte in Sir Rodney wie eine Messerklinge. Als er nach England segelte, glaubte jeder Offizier der westindischen Flotte, daß es seine letzte Reise würde. Alle erwarteten, daß ein anderer zurückkehren und seinen Platz einnehmen würde. Aber in diesem ermatteten Körper lebte eine Seele aus Stahl. Rodney wollte keinen anderen die Früchte seiner harten, aufopferungsvollen Arbeit in Westindien ernten lassen, und ebensowenig sollte ein anderer die Schmach und Schande möglicher Niederlage erleiden.

«Nach unseren Nachrichten will de Grasse mehr als einen bloßen Sieg auf See erreichen«, erklärte Sir Samuel Hood unbewegt.»Er hat nicht nur französische Truppen zusammengezogen, sondern auch die amerikanischen Kolonialisten mit Waffen versorgt. Er ist ein gewiegter und umsichtiger Stratege, und zweifellos gedenkt er, die bereits erzielten Erfolge auszubauen. «Er blickte über die ihm Zunächststehenden hinweg und richtet seine tiefliegenden Augen auf Bolitho.»Der Kapitän der Fregatte Phalarope hat zu diesen Informationen in nicht geringem Maße beigetragen, meine Herren.»

Einige Sekunden lang drehten sich alle nach Bolitho um, den die unerwartete Beachtung leicht verwirrte. Undeutlich nahm er die unterschiedlichen Reaktionen der anderen Offiziere wahr. Einige nickten anerkennend, während ihn andere mit kaum verhohlenem Neid musterten. Wieder andere studierten sein Gesicht, als versuchten sie, die tiefere Bedeutung der Bemerkung des Admirals zu ergründen. Ein kleines Lob von Hood — also vom großen Rodney gebilligt — kennzeichnete Bolitho als ernstzunehmenden Rivalen bei Beförderung und Auszeichnung.

Hood fügte trocken hinzu:»Jetzt, da Sie einander kennen, wollen wir fortfahren. Von heute an muß unsere Wachsamkeit erhöht werden. Unsere Patrouillen müssen jeden feindlichen Hafen beobachten und dürfen keine Mühe scheuen, mir ständig Meldung zu erstatten. Wenn de Grasse ausläuft, wird das schnell geschehen. Können wir seiner Herausforderung nicht mit den entsprechenden Mitteln begegnen und ihn zur Schlacht stellen, ist es aus mit uns, darüber muß sich jeder klar sein.»

Die tiefe Stimme dröhnte so durch die Kajüte, daß Bolitho das Gewicht der Worte fast körperlich fühlte. Unermüdlich und methodisch erläuterte der Admiral die bekannten Standorte von Versorgungsschiffen und feindlichen Einheiten. Man merkte ihm weder Anstrengung noch Ungeduld an, und nichts in seinem Verhalten verriet, daß er erst unlängst nach Antigua zurückgekehrt war, nachdem er St. Kitts lange gegen die gesamte militärische Kraft der Franzosen und der alliierten Flotte gehalten hatte.

«Ich wünsche, daß sich jeder von Ihnen gründlich mit meinem Signalcode vertraut macht«, schaltete sich Sir George Rodney ein. Er blickte scharf von einem zum anderen.»Ich werde nicht dulden, daß irgendein Offizier meine Signale mißversteht, und ebensowenig werde ich Entschuldigungen bei

Nichtbefolgung gelten lassen.»

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