Литмир - Электронная Библиотека

Bolitho nickte.»Gerne!«Er zog den Hut vom Kopf und fuhr mit den Fingern durch sein Haar.»Ich will jetzt gehen und die Befehle für Graves niederschreiben.»

«Wahrschau an Deck! Segel backbord querab!»

Sie sahen sich in die Augen. Dann sagte Bolitho leise.»Treiben Sie die Leute an. Ich möchte nicht, daß der Feind sieht, was wir vorhaben.»

Als er wegging, starrte ihm Tyrell nach und murmelte:»So sei's denn, Käptn!»

Er hörte ein plötzliches Geschrei und bemerkte, wie das Mädchen, das Bolitho so zornig gemacht hatte, mit Stoßen und Schlagen die Absperrkette der Seeleute zu durchbrechen suchte.

Ein Bootsmannsmaat brüllte:»Sie will nicht von Bord, Sir!«Das Mädchen hämmerte mit ihren Fäusten auf dem nackten Arm des Seemanns herum, doch er schien es gar nicht zu spüren.

«Lassen Sie mich bleiben, ich will hier sein«, rief sie Tyrell zu.

Er grinste auf sie herunter und deutete auf ein längsseits liegendes Boot. Strampelnd und protestierend wurde sie hochgehoben und zur Reling getragen, dann ohne jede Feierlichkeit wie ein gelbseidenes Paket ins Boot hinunterbefördert.

Der Himmel war bereits viel dunkler, als Bolitho das Deck wieder betrat. In der Hand trug er einen versiegelten Umschlag. Sein Boot wartete am Bug angehakt. Alle anderen Boote waren bereits an Deck gehievt, und das Schiff schien leer und still in der Dünung zu rollen. Er hob ein Teleskop und richtete es querab über die See. In etwa sechs Meilen Entfernung konnte er jetzt die Bonaventure sehen. Aber sie hatte bereits ihre Segel gerefft und wartete, wie er vermutet hatte, auf den nächsten Tag.

Tyrell tippte an seinen Hut.»Unsere Leute sind an Bord, Sir. «Er deutete auf das Hauptdeck, wo Fähnrich Heyward mit einem Unteroffizier sprach.»Ich habe sie selbst ausgesucht, aber Sie hätten noch viel mehr Freiwillige haben können.»

Bolitho übergab einem Seemann den Umschlag.»Geben Sie das an unser Beiboot weiter. «Dann sagte er langsam zu Tyrell:»Gehen Sie unter Deck und ruhen Sie sich ein bißchen aus. Ich muß mir inzwischen verschiedenes durch den Kopf gehen lassen.»

Wenig später hatte sich Tyrell in einer verlassenen Kabine niedergelegt. Auf dem Fußboden lagen aufgebrochene Kisten und herausgerissene Kleidungsstücke. Über sich hörte er die ruhelosen Schritte Bolithos auf den Decksplanken. Hin und her, auf und ab. Vielleicht lag es an diesem gleichmäßigen Pochen, daß ihm die Augenlider herabsanken. Er fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.

Bolitho stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck der Royal Anne. Soeben sah er zum ersten Mal an diesem Morgen seinen Schatten über das Schanzkleid fallen. Wie langsam war diese Nacht vergangen! Aber nun beim ersten Morgenschimmer schien alles gleichzeitig zu beginnen, wie bei einem schlecht einstudierten Drama. Backbord querab sah er die sich immer deutlicher abzeichnende Segelpyramide der Bonaventure, die sich zielbewußt vor dem Wind näherte. Sonderbarerweise war ihr Rumpf immer noch in Schatten gehüllt. Nur ein weißschimmernder Schaumstreifen vor dem Bug verriet ihre wachsende Geschwindigkeit. Sie war jetzt etwa drei Meilen entfernt. Er schwenkte sein Glas nach der anderen Seite zu einer kleinen Korvette hin. Die Sparrow lag viel näher, aber dennoch wirkte sie sehr viel kleiner als das Kaperschiff.

Tyrell trat an seine Seite.»Der Wind scheint ziemlich stetig zu sein, Sir. Nordwest zu Nord. «Er sprach mit verhaltener Stimme, als ob er fürchtete, die Schiffe in ihren bedächtigen Vorbereitungen zum Kampf zu stören. Bolitho nickte.»Wir werden Südost steuern. Genau das erwartet der Feind von uns.»

Er riß seine Augen von dem Kaperschiff los und blickte über das Deck des Indienfahrers hin. Das neue Focksegel zog gut, ebenso das Besansegel und der Klüver. Der Rest war wenig besser als Lappen, und der Versuch, den Kurs mehr als einen Strich zu ändern, wäre reine Zeitvergeudung.

Tyrell seufzte.»Ich habe die Kanonen selbst nachgesehen, Sir. Sie sind geladen, wie befohlen. «Er kratzte sich den Bauch.»Einige sind so alt, daß sie zerspringen würden, wenn wir sie doppelt laden.»

Bolitho schaute wieder zurück und beobachtete die anderen Schiffe. Langsam führte er sein Fernglas über das Deck der Sparrow, sah die Leute hinter dem Schanzkleid und einen einzelnen Seemann auf der Großmastsaling. Dann, als ein verspielter Windstoß das Unterliek des Großsegels wie eine Müllerschürze anhob, entdeckte er Graves. Er stand neben dem Ruderrad, hatte die Arme verschränkt und glich in jedem Zoll einem Kapitän. Bolitho atmete langsam aus. So viel hing von Graves ab. Wenn er den Kopf verlor oder seine sorgfältig abgefaßten Anweisungen falsch auslegte, dann könnte der Feind immer noch mit einem Schlag zwei Fliegen fangen. Aber Graves hatte den ersten Teil der Befehle richtig erfaßt. Er trug Bolithos neue Uniform. Die Goldlitzen waren trotz des schwachen Lichtes deutlich zu sehen. Sicher würde der feindliche Kapitän vorsichtig und wachsam sein. Nichts durfte jetzt falsch anlaufen. Gott allein wußte, wie die vielen Passagiere unter Deck außer Sicht zusammengepfercht worden waren. Das Schiff mußte ihnen wie ein verriegeltes Grab vorkommen. Für die Frauen und Kinder mußte es ein Alptraum sein, sobald das Geschützfeuer einsetzte.

Fähnrich Heyward kam aufs Achterdeck und meldete:»Unsere Entermannschaft ist bereit, Sir.»

Wie Bolitho und Tyrell hatte auch er seine Uniform abgelegt und wirkte nun in Kniehosen und offenem Hemd noch jugendlicher.

«Danke. «Bolitho bemerkte, daß er statt des kurzen Säbels eines Fähnrichs einen seiner kostbaren Degen trug.

Ein Schuß krachte dumpf, und er sah, wie ein Geschoß von den eilig ziehenden Wellenkämmen abprallte und dann eine weiße Gischtfahne zwischen ihm und dem Bug der Sparrow hochwarf. Ein Probeschuß, eine Absichtserklärung? — Wahrscheinlich beides, dachte er grimmig. Trotz des Flatterns zerrissenen Segeltuchs klang von der Sparrow her das Wirbeln der Trommeln über das Wasser. Bolitho stellte sich vor, wie dort nun die Leute auf ihre Gefechtsstationen rannten. Die zweite Phase! Er sah den scharlachroten Fleck der Flagge, die übermütig an der Gaffel hochsauste, und fühlte ein Würgen in seiner Kehle, als die Geschützpforten sich öffneten und die Reihen der Kanonen enthüllten.

Graves hatte weniger als die Hälfte der Besatzung zur Verfügung. Er mußte einige Leute des Indienfahrers zum Dienst gepreßt haben, da er die Geschütze so sauber ausrennen konnte. Aber es mußte alles vollkommen echt aussehen, so als ob sich die Korvette zum Widerstand vorbereitete und versuchen wollte, ihren schwerfälligen Genossen zu verteidigen.

Wieder ein Schuß! Die Kugel pflügte etwa eine Kabellänge vor der Sparrow durch die See.

Bolitho biß die Zähne aufeinander. Jetzt konnte es Graves gerade noch schaffen. Sollte der Wind in diesem Augenblick schralen, wäre es ihm nicht mehr möglich, rechtzeitig zu wenden. Er läge dann unter dem Geschoßhagel des Feindes, wenn er versuchte, abzufallen und das Manöver noch einmal einzuleiten.

«Jetzt!«zischte Tyrell heiser.

Die Rahen der Korvette schwangen herum. Ihre Leereling tauchte schwer in die Dünung ein, und sie begann mit dichtgeholten Segeln auf den Backbordbug zu wenden. Jetzt passierte sie das Heck der Royal Anne wie ein kleiner Wachhund. Signalflaggen sausten an der Rah hoch, und Bolitho stellte sich vor, wie Bethune seinen Leuten zurief, sich zu beeilen und das sinnlose Signal aufzuhissen. Der Feind mußte glauben, daß sich die Sparrow auf ihren Todeskampf vorbereitete und dem Kompanieschiff befahl, Reißaus zu nehmen.

Geschützfeuer blitzte entlang der vordersten Batterie derBona-venture auf, und die Einschläge tasteten sich immer näher an die stark überliegende Sparrow heran. Graves ließ jetzt die hinderlichen Segel über den Geschützen aufgeien, obwohl er kaum den vierten Teil der Kanonen bemannt haben konnte.

Zwischen zusammengebissenen Zähnen preßte Tyrell die Worte heraus:»Hector, das ist jetzt nahe genug! Um Himmels willen, laß dich nicht auffressen!»

45
{"b":"113049","o":1}