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Es klopfte, und Graves betrat die Kajüte. Er hielt ihm einen Leinenumschlag hin.»Das ist soeben vom Wachboot übergeben worden, Sir.»

Bolitho ging wieder zum Fenster und öffnete den Umschlag mit einem Messer. Er hoffte, daß Graves Tyrells elende Verfassung nicht bemerken würde, daß die kurze Zeit, die er zum Lesen brauchte, dem Leutnant genügte, sich wieder zu fassen.

Die Order war sehr kurz.

Bolitho sagte rasch:»Wir haben Befehl, morgen mit der ersten Morgendämmerung Anker zu lichten. Wir werden wichtige Depeschen für den Admiral in Antigua mit uns führen.»

In seinen Gedanken zogen all die vielen Seemeilen vorbei, die lange Reise nach English Harbour und zu Colquhoun zurück.

«Mir macht es nichts aus, Sir«, sagte Graves.»Diesmal können wir auf etwas stolz sein.»

Bolitho forschte in seinen Zügen. Was für ein phantasieloser Mensch er doch war.

«Eine Empfehlung an den Steuermann. Sagen Sie ihm, er soll sofort alle Vorbereitungen treffen.»

Als Graves gegangen war, fügte Bolitho hinzu:»Vielleicht wollen Sie das Abendessen mit mir doch lieber etwas aufschieben?»

Tyrell stand auf. Seine Finger berührten die Tischplatte, als ob er sein eigenes Gleichgewicht prüfen wollte.

«Nein, Sir, ich würde gerne kommen. «Er schaute sich in der Kajüte um.»Hier habe ich Jane zum letzten Mal gesehen. Es hilft mir jetzt ein bißchen.»

Bolitho sah ihn hinausgehen und hörte, wie eine Kabinentür zugeworfen wurde. Dann setzte er sich mit einem Seufzer an den Tisch und begann seine Eintragungen ins Logbuch zu machen.

Schon seit sieben sorglosen Tagen stampfte der Bugspriet der Sparrow südwärts. Die Korvette nützte alle Vorteile eines stetigen Windes, der sich in Richtung und Stärke kaum änderte, voll aus. Die Brise schien allen Überdruß und die brütende Hoffnungslosigkeit, unter der die meisten Männer der Besatzung in New York gelitten hatten, weggeweht zu haben. Die geblähten Segel unter wolkenlosem Himmel strahlten ein Gefühl neuer Freiheit aus. Sogar die Erinnerung an den letzten Kampf, an die Gesichter jener Kameraden, die gefallen waren oder nun als Krüppel auf die Heimreise warteten, war ein Teil der Vergangenheit geworden, wie alte Narben, die eine gewisse Zeit zum Verheilen brauchen.

Bolitho studierte seine Karten und überprüfte die täglichen Bestecksrechnungen. Er hatte allen Grund, mit den Eigenschaften seines Schiffes zufrieden zu sein. Die Sparrow hatte bereits über tausend Meilen zurückgelegt und schien wie ihr Kapitän von dem Wunsch getrieben zu sein, das Festland so weit als möglich hinter sich zu lassen. Bisher war auf der Reise noch kein einziges Segel gesichtet worden, und die letzten Möwen waren vor zwei Tagen davongeflogen. Die Routine an Bord eines so kleinen Kriegsschiffes war regelmäßig und sehr sorgfältig geplant, so daß die Umstände so erträglich wie möglich gehalten werden konnten. Wenn die Leute nicht hoch über Deck an den Segeln oder im Rigg arbeiteten, verbrachten sie viel Zeit beim Geschützdrill oder mit harmlosen Ringerwettkämpfen und Kämpfen mit Stöcken unter Stockdales kundigem Auge.

Auch auf dem Achterdeck gab es gewöhnlich einigen Zeitvertreib, um die Monotonie des leeren Horizonts zu unterbrechen, und Bolitho lernte seine Offiziere noch besser kennen. Fähnrich Heyward hatte sich als ausgezeichneter Degenfechter erwiesen und verbrachte manch eine Hundewache, indem er Bethune und die Steuermannsmaaten in der Fechtkunst unterwies. Die größte Überraschung allerdings lieferte Dalkeith. Eines Tages war der plumpe Schiffsarzt mit dem schönsten Paar Pistolen, das Bolitho je gesehen hatte, an Deck erschienen. Sie paßten wunderbar zusammen, waren von Dodson in London hergestellt worden und mußten ein kleines Vermögen gekostet haben. Während einer der Schiffsjungen Holzstückchen über Bord warf, wartete Dalkeith an der Reling, bis sie vorbeigetrieben waren. Dann knallte er sie ab, scheinbar ohne überhaupt zu zielen. Solche Zielsicherheit war unter Schiffsärzten höchst selten. Dies und der Wert der Pistolen ließ Bolitho mehr über Dalkeiths Vergangenheit nachdenken.

Gegen Ende des siebten Tages bemerkte Bolitho die ersten Anzeichen einer Wetterverschlechterung. Der Himmel, der bisher klar und blaßblau gestrahlt hatte, bezog sich mit verwischten Wolkenzungen, und das Schiff stampfte immer heftiger in einer hohen Dünung. Das Barometer schwankte unruhig, doch war es eher ein unbestimmtes Gefühl, das ihm verriet, daß ihnen ein rechter Sturm bevorstand. Der Wind hatte auf Nordwest zurückgedreht und wies alle Anzeichen weiterer Verschlechterung auf. Bolitho konnte seine Feuchtigkeit und seine zunehmende Kraft deutlich im Gesicht fühlen.

Buckle nickte.»Vielleicht wieder ein Hurrikan.»

«Kann sein. «Bolitho ging zum Kompaß.»Fallen Sie einen Strich ab. «Dann gesellte er sich zu Tyrell an der Achterdecksreling.»Die Ausläufer eines Sturmes, vielleicht. Jedenfalls werden wir vor Einbruch der Dunkelheit Segel reffen müssen. Möglicherweise auch schon früher.»

Tyrell nickte. Seine Augen beobachteten die bauchigen Segel.»Das Großbramsegel scheint gut zu ziehen. Die Leute haben in der Takelage gute Arbeit geleistet, während wir vor Anker lagen. «Er sah, wie der Stander im Masttopp sich drehte und dann immer deutlicher zum Backbordbug hin auswehte.»Verdammter Wind, sieht aus, als wolle er noch mehr zurückdrehen.»

Buckle grinste mürrisch.»Kurs Süd-Südost, Sir.»

Er fluchte, als das Deck sich stark überlegte und ein heftiger Gischtschauer über das Schanzkleid prasselte.

Bolitho überlegte, was als nächstes zu tun sei. Bis jetzt hatten sie eine schnelle Reise gehabt. Es gab keinen Grund, sich die Segel von den Rahen reißen zu lassen, nur um dem Wind zu trotzen. Er seufzte. Vielleicht würde der Wind bald wieder nachlassen.»Lassen Sie Bramsegel wegnehmen, Mr. Tyrell. Die Bö wird gleich einfallen.»

Er machte Tyrell Platz, der nach seinem Schalltrichter rannte.

Vom rollenden Schiff aus konnte er jetzt sehen, wie der sprichwörtliche Regenvorhang über die unregelmäßige Dünung heranzog und den Horizont mit einem engmaschigen, grauen Eisengespinst auslöschte.

Nach einer Stunde hatte der Wind weiter zurückgedreht und war zu Sturmstärke angewachsen. See und Himmel vereinigten sich in zerstiebenden Wogenkämmen und strömendem Regen. Es war sinnlos, dagegen ankämpfen zu wollen. Unter jagenden Wolkenwalzen drehte die Sparrow mit niedergepreßten Toppen ab und lenzte vor dem Sturm. Die Toppsgasten kämpften hart, um ein weiteres Reff in die durchnäßten Segel einzustecken. Von Regen und fliegendem Gischt halb geblendet, tasteten sie mit ihren Füßen nach sicherem Stand. Fluchend und brüllend setzten sie all ihre Kraft ein, um die störrischen Segel in ihre Gewalt zu bekommen.

Die Nacht brach vorzeitig herein, und unter dicht gerefften Marssegeln jagte die Korvette durch die Finsternis. Die kleine, begrenzte Welt des Schiffes war von riesigen Wogenkämmen umbrandet, das Leben der Männer war bei jedem Schritt von der See bedroht, die über die Reling hereinbrach und brodelnd wie ein hochgehender Fluß über die Decks rauschte. Selbst wenn die Freiwache zeitweise nach unten geschickt wurde, gab es für die Männer kaum eine Möglichkeit, sich zu erholen. Alles war tropfnaß oder feucht, und der Koch hatte schon lange jeden Gedanken, warmes Essen zu machen, aufgegeben.

Bolitho blieb an Deck. Der heulende, jammernde Wind preßte sein Ölzeug wie ein Leichentuch gegen seinen Körper. Wanten und Tauwerk schrien wie die Saiten der Instrumente in einem irrsinnigen Orchester, und hoch über dem Deck, in Dunkelheit verborgen, knatterten und knallten die Segel. Dann und wann schien der Sturm in kleinen Ruhepausen nachzulassen, doch er hielt nur den Atem an, um aufs neue über das kämpfende Schiff herzufallen. In diesen kurzen Augenblicken konnte Bolitho fühlen, wie die Salzkruste in seinem Gesicht warm wurde. Er hörte das Klanken der Pumpen, die gedämpften Schreie unter Deck und auf der Back, wo unsichtbare Seeleute Laschings festzurrten, beschädigte Taue erneuerten oder sich auch nur vergewissern wollten, ob die Kameraden noch lebten.

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