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Immer und immer wieder zergrübelte sich Bolitho sein Gehirn, prüfte sein Verhalten und fragte sich, was er damals sonst noch hätte tun können. Er hatte seine Befehle ausgeführt. Lieber hätte er der Fregatte geholfen. Aber er hatte der Pflicht den Vorrang eingeräumt. Und so hatte er das beschädigte Schiff wie ein hilfloses Tier dem Tiger ausgeliefert.

In seinem Herzen wußte er, daß er keine andere Entscheidung hatte treffen können. Er wußte auch, daß er anders gehandelt hätte, wäre er sich nicht darüber im klaren gewesen, wie notwendig die beiden Transportschiffe gebraucht wurden. Als er dies dem Kapitän der Brigg eingestanden hatte, schüttelte der den Kopf.

«Dann läge jetzt auch Ihre Sparrow auf dem Grund des Meeres. Die Bonaventure ist allem außer einem Linienschiff gewachsen.»

Bolitho ging nur in dienstlichen Angelegenheiten, zu Besorgungen und Zahlungen an die Werftleute an Land. Er hielt es für unfair, von seinen Vorrechten Gebrauch zu machen, wenn seine Leute auf ihrem Schiff, dessen Größe jeden Tag zu schrumpfen schien, eingesperrt waren. Auch widerten ihn die Dinge, die er in New York zu sehen bekam, an. Es gab allerlei langweilige militärische Vorbereitungen dort. Artillerie wurde gedrillt. Zum Vergnügen von Tagdieben und schreienden Kindern rückten bespannte Geschütze vor. Fußsoldaten rannten und schwitzten in der brütenden Hitze, ja, verschiedentlich hatte er sogar Kavallerie gesehen.

Aber seine eigentliche Abneigung saß viel tiefer. Die Auswirkungen der immer schlechteren Nachrichten reichten nur bis zu einer bestimmten Grenze. In den großen Häusern verging kaum eine Nacht ohne Empfänge oder Bälle. Stabsoffiziere und reiche Kaufleute, Damen in großer Robe und blitzenden Juwelen — es war kaum zu glauben, daß in der Nähe so blutige Kampfhandlungen stattfanden. Bolitho wußte aber auch, daß ein Teil seines Abscheus auf seiner eigenen Ungeschicklichkeit, in solchen Kreisen aufzutreten, beruhte. In seiner Heimatstadt Falmouth war seine Familie stets geachtet worden, aber eher als Seefahrer denn als ansässige Einwohner. Schon mit zwölf Jahren war er in die Marine eingetreten, doch seine Erziehung hatte eher der Navigation gegolten und dem Umgang mit Tauwerk, Schäkel und Augbolzen als der Kunst, Konversation zu machen.

Es schien ihm unmöglich, sich unter die perückentragenden Dandies zu mischen, wie er sie nun bei seinen Landgängen in New York sah. Auch die Frauen waren ihm fremd, unerreichbar. Im Gegensatz zu den ausgesprochen ländlichen Frauen in Cornwall oder zu den Frauen und Töchtern seiner Offizierskameraden schienen sie eine eigenartige Macht auszustrahlen. In ihnen steckte eine gewisse Kühnheit und belustigte Geringschätzung, die ihn reizte und verwirrte, wann immer er mit ihrer parfümierten, privilegierten Welt zu tun hatte.

So oft wie möglich hatte er Tyrell erlaubt, an Land zu gehen, aber die Veränderung, die in seinem Leutnant vor sich ging, überraschte ihn. Er konnte an ihm weder Freude noch Erleichterung entdecken, obwohl er doch mit Landsleuten sprechen und Gegenden aufsuchen konnte, die er so oft mit dem Schoner seines Vaters angelaufen hatte. Er zog sich immer mehr zurück, ja, er vermied es augenscheinlich, von Bord zu gehen, wenn ihn sein Dienst nicht dazu zwang. Bolitho wußte, daß er über den Verbleib seiner Familie nachgeforscht hatte. Auch glaubte er, daß Tyrell ihm in einer guten Stunde erzählen würde, ob alles so stand, wie er gehofft hatte.

Und dann endlich, fast auf den Tag genau drei Monate nachdem sie zugesehen hatten, wie die französische Fregatte auf das Riff rannte, war die Sparrow wieder seeklar. Mit argwöhnischen Blicken beobachteten die Seeleute den letzten Werftarbeiter, ob er nicht mehr von Bord mitnahm, als er gebracht hatte, dann wurde er an Land gerudert. Nachdem die letzten Wasserleichter und Werftbarken von der Korvette abgelegt hatten, schrieb Bolitho seinen Bericht an den Admiral. Es kümmerte ihn wenig, wie seine nächsten Befehle lauten würden. Ob es sich wieder um einen besonderen Auftrag handelte, ob er Depeschen befördern oder einfach zu Colquhouns Flottille zurückkehren sollte, war ihm gleichgültig. Er wollte nur endlich wieder auf See sein, unabhängig von geschniegelten Flaggoffizieren und umständlichen Schreibereien.

Als Tyrell die Kapitänskajüte betrat und meldete, daß alle Werftarbeiter von Bord seien, fragte Bolitho:»Wollen Sie heute abend mit mir essen? Vielleicht werden wir in den nächsten Wochen keine Gelegenheit mehr dazu haben.»

Tyrell blickte ihn düster an.»Mit Vergnügen, Sir. «Seine Stimme klang matt und erschöpft.

Bolitho starrte durch die geöffneten Heckfenster auf die vor Anker liegenden Schiffe und die fahlen Häuser im Hintergrund.»Sie können Ihre Sorgen mit mir teilen, wenn Sie wollen, Mr. Tyrell. «Er hatte mehr gesagt, als er beabsichtigte, aber die Verzweiflung in den Augen des Leutnants hatte ihn alle Vorsicht vergessen lassen.

Tyrell beobachtete ihn vom Fenster aus. Seine Augen lagen im Schatten.»Ich habe Nachrichten erhalten. Mein Vater hat seine Schoner verloren, aber das war zu erwarten. Die eine oder die andere Seite hat sie beschlagnahmt. Es ist gleichgültig. Außerdem besaß mein Vater eine kleine Farm. Er sagte immer, sie sähe seinem Hof in England sehr ähnlich.»

Bolitho wandte sich langsam ab.»Ist auch die Farm verloren?«Tyrell zuckte die Achseln.»Der Krieg hat vor einigen Monaten dieses Gebiet erreicht. «Seine Stimme klang tonlos wie aus weiter Ferne.»Wir hatten einen Nachbarn, Luke Mason. Er und ich, wir wuchsen zusammen auf. Wie Brüder. Als der Aufstand anfing, war Luke im Norden und verkaufte Rinder. Und ich war auf See. Luke war immer ein bißchen ungezügelt, und ich glaube, daß ihn all das Durcheinander mitgerissen hat. Jedenfalls, er meldete sich, um gegen die Briten zu kämpfen. Aber für seine Kompanie ging die Sache schlecht aus. Sie wurde im Kampf aufgerieben. Luke entschloß sich, nach Hause zu gehen. Ich glaube, er hatte genug vom Krieg.»

Bolitho biß sich die Lippen.»Er ging zu Ihrem Vater?»

«Aye. Das Unglück war, daß mein Vater offensichtlich die englischen Soldaten mit Remonten und Futter versorgte. Aber er mochte Luke sehr gern. Er gehörte fast zu unsrer Familie. «Der Leutnant seufzte.»Der Oberst des Standorts hörte davon durch irgendeinen verdammten Spitzel. Er ließ meinen Vater an einen Baum hängen und das Haus vollständig niederbrennen.»

Bolitho konnte sich nicht zurückhalten.»Mein Gott, das tut mir sehr leid.»

Tyrell schien nicht zu hören.»Dann griffen die Amerikaner an, und die Rotröcke zogen sich zurück. «Er schaute zu den Decksbalken hinauf und fügte hitzig hinzu:»Aber Luke war in Sicherheit. Er konnte aus dem brennenden Haus entkommen. Und wissen Sie, was? Der amerikanische Oberst hängte Luke als Deserteur auf!«Er sank auf einen Stuhl und stützte sich gegen den Tisch.»Wo, zur Hölle, wo nur ist der gottverdammte Sinn in all dem?»

«Und Ihre Mutter?»

Er beobachtete Tyrells gesenkten Kopf. Die Qual schien ihn zu zerbrechen.

«Sie ist vor zwei Jahren gestorben, so ist ihr all das erspart geblieben. Jetzt bin nur ich noch übrig — und meine Schwester Jane. «Er blickte auf. Seine Augen warfen das Sonnenlicht wie Funken zurück.»Nachdem Käptn Ransome genug von ihr hatte, ist sie verschwunden — Gott allein weiß, wo sie jetzt ist.»

In dem plötzlichen Schweigen überlegte Bolitho, wie ihm wohl zumute wäre, wenn er so furchtbare Nachrichten erhalten hätte wie Tyrell. Soweit seine Erinnerung zurückreichte, war ihm gelehrt worden, mit der ständigen Möglichkeit des Todes zu rechnen und ihr nicht aus dem Wege zu gehen. Fast alle seine Vorfahren waren auf irgendeine Weise auf See umgekommen. Das Seemannsdasein war gefährlich. Wenn man von dem brutalen Ende im Kanonenfeuer und einem Degenstoß des Feindes absah, gab es immer noch zahllose Fallen für den Unachtsamen. Wie oft starben Seefahrer durch einen Sturz aus der Takelage, durch Ertrinken oder am Fieber. Sein Bruder Hugh war Leutnant in der Kanalflotte gewesen, als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Vielleicht kommandierte er jetzt ein Schiff gegen die Franzosen, vielleicht lag er aber auch schon mit seinen Männern viele Faden tief auf dem Grund des Meeres. Aber die Wurzeln würden weiterleben. Das Haus in Falmouth, sein Vater, seine verheirateten Schwestern. Wie verzweifelt wäre er, wenn er wie Tyrell wüßte, daß all das zerbrochen und ausgemerzt wäre, wenn seine Familie ausgelöscht wäre in einem Land, wo Bruder gegen Bruder kämpfte und die Männer sich beim Kämpfen und Sterben in der gleichen Sprache verfluchten. Nun war für Tyrell und für viele andere Amerikaner nichts mehr geblieben. Nicht einmal ein Vaterland.

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