«Gehen Sie einen Strich höher. Kurs Nordwest. «Bolitho nahm ein Fernrohr von Bethune und spähte durch die Wanten.
Der Ausguck rief:»Eine Brigantine, Sir.»
Bolitho blickte Tyrell an.»Wahrscheinlich eine der unseren.»
Es war das erste Segel, das sie sichteten, seit sie mit knapper Not einem Gefecht mit der französischen Fregatte entkommen waren. Es war immer gut, ein befreundetes Schiff zu treffen; Bolitho konnte einige seiner Neuigkeiten weitergeben, für den Fall, daß das Schiff nach Norden fuhr und sonst zu nahe an die feindliche Schwadron in Newport herankäme.
Bei dem starken Wind dauerte es nicht lange, bis sich die beiden Schiffe einander genähert hatten.
«Sie haben vor, in Lee vorbeizusegeln. «Bolitho hob sein Fernglas wieder.
Brigantinen waren unordentlich aussehende Schiffe. Mit Rahsegeln am Vormast und Schonertakelung am Hauptmast, boten sie ein fehlkonstruiertes Bild, es war jedoch bekannt, daß sie unter guten Bedingungen sogar eine Fregatte ausstechen konnten.
«Signalisieren Sie, daß sie beidrehen soll. Ich möchte mit ihrem Kommandanten sprechen.»
Tyrell sagte:»Aufjeden Fall ist es ein englisches Schiff.»
Flaggen wurden an den Rahen des Neuankömmlings gehißt und flatterten im Wind.
Bethune schrie:»Es ist die Five Sisters, Sir!«Er suchte in seinem Buch herum, während Fowler etwas abseits stand, den Mund geringschätzig verzogen.»Sie wird hier als dem Gouverneur von New York unterstellt geführt.»
«Dacht' ich's mir doch!«Tyrell runzelte die Stirn.»Nur ihren eigenen Gesetzen unterworfen und von einer Rotte Schurken bemannt, das kann ich euch sagen. «Er seufzte.»Doch mit einem solchen Gönner können sie nicht gepreßt werden und riskieren nicht ihr kostbares Leben.»
Die Brigantine hatte den Weg der Sparrow gekreuzt und segelte stetig auf Steuerbord. Bolitho konnte die rotgoldene Flagge auf ihrem Vorschiff erkennen; alles hatte den Anschein der schmucken Ordnung, die man gewöhnlich auf den von der Regierung geförderten Schiffen fand. Sie kam näher heran, bald würde sie in weniger als einer Kabellänge Entfernung vorbeifahren.
Bolitho sah Majendie und Dalkeith auf den Wanten stehen. Der erstere zeichnete in großer Eile, während ihm der Arzt mit sichtlichem Interesse über die Schulter schaute.
«Sie dreht bei, Sir.»
Die Brigantine schoß in den Wind, die Segel stellten sich back, und das Großsegel, das die Seeleute einholten, wurde immer kleiner.
Bolitho nickte anerkennend. Gut gemacht.
«Anluven, Mr. Tyrell. Ich werde sie anrufen, wenn sie in Lee vorbeikommt.»
Das Knattern und Ächzen der Leinwand machte jede Unterhaltung schwierig; als die Sparrow mehr in den Wind drehte und nur noch vorwärtszukriechen schien, ging Bolithos Stimme fast im Lärm unter. Er nahm das Sprachrohr in beide Hände und brüllte:»Wohin des Weges?»
Über die kurzen Wellenkämme kam die Antwort:
«Montego Bay! Jamaica!»
Tyrell bemerkte:»Da ist sie aber etwas vom Kurs abgekommen.»
Die Stimme drang erneut herüber:»Wir wurden gestern von einer spanischen Fregatte gejagt und sind ihr während der Nacht entwischt, aber Sie können für mich Meldung erstatten.»
Die Brigantine fiel etwas ab, und ihre unruhig sich bewegenden Rahen machten deutlich, daß ihr Kommandant darauf brannte, seinen Weg fortzusetzen.
Bolitho ließ das Sprachrohr sinken. Es gab keinen Grund, sie noch länger aufzuhalten. Und die Behörden in New York würden ihm eine solche Handlungsweise wahrhaftig nicht danken. Es war merkwürdig, sich klarzumachen, daß sie wahrscheinlich im Auftrag von Leuten wie Blundell fuhr, der nichts von der See verstand und sich wenig darum kümmerte.
Er hörte Dalkeiths Gemurmel:»Bei Gott, das Gesicht des Kapitäns! Ich habe noch nie so, grausame Verbrennungen gesehen. Daß ein Mensch so was überhaupt überleben kann!»
Bolitho sagte scharf:»Geben Sie mir das Glas!«Er nahm es dem erstaunten Schiffsarzt weg und richtete es auf das Vorschiff des anderen.
Durch die schwarze Takelage und die killenden Segel sah er ihn. Trotz der Hitze war sein Mantelkragen bis an die Ohren hochgeschlagen und sein Hut bis fast in die Augen gezogen. Es wurde Bolitho klar, daß der Kapitän der Brigantine nicht nur die eine Hälfte seines Gesichts verloren hatte, sondern auch ein Auge, und daß er den Kopf in ganz unnatürlich steifem Winkel hielt, um mit dem verbleibenden Auge die Korvette zu betrachten.
Die Brigantine hatte also wirklich mit Blundell zu tun. Bolitho konnte sich noch gut vorstellen, wie sie in der Bibliothek geflüstert hatten, das entstellte Gesicht halb im Schatten verborgen.
Buckle rief besorgt:»Erlauben Sie, daß wir das Schiff klar zur Weiterfahrt machen, Sir? Wir sind etwas zu nahe.»
«Na gut.»
Bolitho winkte den Männern an Bord der Brigantine zu und drehte sich wieder zu Majendie um. Der zeichnete und schattierte, verbesserte hier und fügte dort noch ein Detail hinzu, sogar als die Five Sisters schon wieder Segel gesetzt hatte und langsam wegzusegeln begann.
Dalkeith grinste.»Nicht schlecht, Rupert! Ich glaube sicher, daß einige unserer Männer dir gern bei Einzelheiten der Takelage helfen werden.»
Tyrell hinkte zu ihm hinüber und spähte ihm über die schmale Schulter. Er ergriff den Block und rief:»Großer Gott, wenn ich nicht ganz genau wüßte…»
Bolitho ging hinüber. Es war das Bild des Vorschiffs der Brigantine, die Offiziere und Seeleute waren in natürlichen Haltungen dargestellt, wenn auch, wie Dalkeith angedeutet hatte, die Details der Takelage nicht ganz perfekt waren.
Es lief ihm kalt über den Rücken, als er Majendies Zeichnung vom Kapitän des Schiffes sah. Entfernung und Maßstab ließ die schrecklichen Wunden zurücktreten, so daß er jetzt wie eine Figur aus Bolithos Vergangenheit dastand. Bolitho blickte Tyrell an, der ihm immer noch ins Gesicht schaute.
Tyrell fragte ruhig:»Erinnern Sie sich, Sir? Sie waren zu beschäftigt zu kämpfen und mich vor Schaden zu bewahren. «Er drehte sich um und starrte auf das andere Schiff.»Aber nachdem ich die Kugel in den Schenkel bekam, hatte ich wirklich genug Zeit, mir diesen Dreckskerl anzusehen.»
Bolitho schluckte trocken. Klar stand ihm wieder die Wildheit und der Haß der Schlacht vor Augen, als ob es gestern gewesen wäre. Die Männer der Sparrow, die niedergestochen und von den Decks der Bonaventure vertrieben wurden. Und der Kapitän des Freibeuters, der wie ein unbeteiligter Zuschauer dabeistand und ihn aufforderte, sich zu ergeben.
Er sagte scharf:»Ruder steuerbords! Toppsgasten auf entern und Bramsegel setzen!«Zu Majendie gewandt, setzte er hinzu:»Ich glaube, daß wir dank Ihnen heute ein Geheimnis lüften werden.»
In dem Augenblick, als die Sparrow ihre Absicht zeigte, und sogar schon, als die Royalsegel sich erst füllten, setzte auch die Brigantine mehr Segel und machte sich davon.
«Klar zum Gefecht, Sir?»
«Nein.»
Bolitho beobachtete, wie sein Klüverbaum herumschwang, bis er genau auf die Back der Brigantine zeigte. Sie hatte zwei Kabellängen Vorsprung, und es sah nicht so aus, als ob sie diesen Vorsprung freiwillig aufgeben wollte.
«Es muß schnell gehen. Wir gehen längsseits und entern. Sagen Sie Mr. Graves, er soll einen Schuß aus dem Backbordbuggeschütz abgeben. Vorwärts jetzt!»
Buckle sagte grimmig:»Wir überholen sie, Sir.»
Bolitho nickte. Tyrell verstand, was vorging, aber bis jetzt hatte niemand sonst auch nur Überraschung über seine Handlungsweise gezeigt. Allem Anschein nach jagte er ein Regierungsschiff, mit dem er noch Minuten vorher geplaudert hatte.
Bang. Die schwarze Mündung des Buggeschützes zuckte in die Bordwand zurück, und Bolitho sah die Wasserfontäne eine Bootslänge neben der Brigantine aufspritzen.
«Jetzt hat sie Segel gerefft!«Buckle schien zufrieden.
«Bitten Sie Mr. Graves, daß er eine Entermannschaft zusammenstellt!«Bolitho beobachtete, wie das andere Schiff in den Wellentälern zu gieren begann.»Mr. Heyward, übernehmen Sie das Geschützdeck! Mr. Bethune, begleiten Sie den Zweiten Leutnant!»