«Maulby dachte das wahrscheinlich auch. «Bolitho hatte bereits die Hand auf die Klinke gelegt. Colquhoun stieß sich vom Fenster ab und kam durch die Kajüte geschlurft.»Sie haben also schließlich doch gewonnen, wie?«Seine Stimme brach.»Sie und Ihre verdammte Sparrow!»
Bolitho erkannte die Qual des Mannes und antwortete:»Als ich vor drei Jahren das Kommando über die Sparrow erhielt, dachte ich, das sei alles, was ein Mann sich wünschen konnte. Damals hätte ich mich wohl Ihren Entscheidungen gebeugt, unabhängig davon, was sie nach sich gezogen hätten. Jetzt weiß ich es besser, vielleicht sogar dank Ihnen. Ein Kommando ist eine Sache. Aber die Verantwortung, die Pflicht gegenüber denjenigen, die von einem abhängig sind, ist die größere Bürde. Wir müssen uns die Schuld an Maulbys Tod teilen. «Er sah, wie Colquhoun ihn ungläubig anstarrte, dann fuhr er fort:»Ihre Gier machte Sie blind für alles außer späterer Beförderung. Mein Verbrechen war Stolz. Der Stolz, der den Feind dazu brachte, mir einen Hinterhalt zu legen, und zwar einen, in den die Männer der Fawn gingen. «Er öffnete die Tür.»Ich hoffe, ich werde es nie vergessen. Und Sie auch nicht.»
Er ging rasch zum Achterdeck und hörte, wie die Tür hinter ihm zugeschlagen wurde, das Klicken der Muskete, als der Posten eine entspanntere Haltung annahm.
Am Schanzkleid erwartete ihn der Erste Leutnant.
Über der bewegten See, deren Wellentäler schon von Schatten durchzogen waren, sah er die Sparrow unruhig vor den ersten blassen Sternen schwojen. Eine Laterne leuchtete an ihrer Heckreling, und er glaubte, das Aufspritzen der Riemen an der Stelle zu sehen, wo Stockdale die Gig bereithielt. Er hätte auch vergeblich warten können. Colquhoun hätte sich die letzte Geste leisten können, ihn für seinen Ausbruch in Arrest zu legen. Daß er das nicht getan hatte, war ein Beweis seiner Schuld. Mehr noch: ein Beweis, daß Colquhoun sehr wohl wußte, was er getan hatte.
Bolitho sagte:»Wir sollen zur Admiralität in New York stoßen.»
Der Leutnant beobachtete, wie die Gig an die Bordwand schlug, und antwortete traurig:»Es wird mir nicht leid tun, diesen Ort zu verlassen.»
Bolitho seufzte.»Aye. Eine Niederlage ist eine böse Sache.
Aber ein Sieg kann oft größeres Leid verursachen.»
Der Leutnant beobachtete ihn, wie er in die Gig kletterte und ablegte.
So jung und schon so viel Verantwortung. Aber nicht für mich. Schon als der Gedanke ihm durch den Kopf fuhr, wußte er, daß es ein Irrtum war; als er über das dunkler werdende Deck blickte, fragte er sich, ob ihn Colquhouns Fehler wohl näher an seine Beförderung gebracht hatte.
Ein bitteres Ende
Fast unmittelbar, nachdem sie in Sandy Hook vor Anker gegangen waren, wurde der Sparrow und ihrer Mannschaft eine kurze und wohlverdiente Pause zum Überholen des Schiffes gegönnt. Unter dem wachsamen Auge eines älteren Dockoffiziers ließ man sie trockenfallen, der dichte Bewuchs wurde abgekratzt und entfernt. Bolitho konnte Lock an Land senden, wo dieser durch sorgfältig verteilte Trinkgelder neuen Proviant und Ersatz für einige faulig gewordene Fässer mit Fleisch ergattern konnte.
Trotz dieser regen Tätigkeit, die von der Morgendämmerung bis zum Dunkelwerden dauerte, bekam er gelegentlich Besuch von einem wißbegierigen Leutnant aus dem Stab des Flottenchefs. Er schrieb Stellungnahmen von Bolitho und Tyrell auf und verglich sie sowohl mit den Eintragungen im Logbuch der Fawn als auch mit den Befehlen, die zu dem Angriff führten.
Buckle mußte jeden Teil der benutzten Karten ausbreiten und erklären und wurde bei dem fachmännischen Verhör des Leutnants recht verwirrt. Als aber ein Tag auf den anderen folgte und die Sparrow wieder ihr ursprüngliches schmuckes Aussehen zurückgewann, wurden die bitteren Erinnerungen an den Verlust der Fawn und an seinen Wutausbruch in der Kajüte Colquhouns schwächer, wenn nicht sogar aus Bolithos Gedanken verdrängt.
Er war ständig mit den Angelegenheiten des Schiffes beschäftigt, da er nie wußte, wann seine nächsten Befehle eintreffen würden, und er verbrachte jede freie Minute damit, den Fortgang des Krieges auf dem Festland zu studieren. Als er die Vorladung vors Kriegsgericht erhielt, war es so etwas wie ein Schock für ihn.
Drei Wochen waren vergangen, seitdem er Colquhoun in der Kajüte der Bacchante gegenübergestanden hatte, und fast jeder Tag war ausgefüllt gewesen.
Nur bestimmte Einzelheiten standen ihm noch mit aller Klarheit vor Augen: das Bild der Gewalt und Verzweiflung auf dem zerschossenen Deck der Fawn. Maulbys Gesicht, die Fliegen, die über seine schmerzverzerrten Züge krochen. Der sichtliche Stolz des jungen Heyward, als er die Aufgabe bekam, die Kapitulation des Feindes entgegenzunehmen. Der einzige überlebende Fawn-Offizier, der das Kommando über den Feind übernommen hatte, bis die Marinesoldaten kamen. Maulbys Leutnant sah aus wie ein Mann, der aus dem Schatten des Todes entkommen war. Seine Bewegungen waren schwerfällig, sein Gesicht gezeichnet von den Anblicken und Geräuschen, die er hatte ertragen müssen.
Am Morgen der Gerichtsverhandlung stand Bolitho mit Tyrell und Buckle auf dem Achterdeck der Sparrow. Er war sich der vielen Augen bewußt, die ihn beobachteten, an Bord und auf den in der Nähe ankernden Schiffen. Tyrell trat unruhig von einem Bein aufs andere.»Ich mag nur als Zeuge vernommen werden, aber ich fühle mich weiß Gott mitschuldig!«murmelte er.
Bolitho beobachtete die Gig, die auf die Schanzkleidpforte zuhielt, und bemerkte, daß Stockdale und seine Rudergänger ihre besten Kleider angelegt hatten. Wahrscheinlich waren auch sie sich des Augenblicks bewußt.
Und sie hatten Grund dazu, dachte er grimmig. Zwar war Colquhoun angeklagt, aber es war auch bekannt, daß ein Ertrinkender oft noch andere mit sich in die Tiefe zog.
Sein Blick schweifte hinüber zu dem Schiff, das ungefähr drei Kabellängen entfernt vor Anker lag: die Parthian, auf der er Befehl erhalten hatte, die Soldaten und die Goldbarren General Blundells am Delaware zu retten. Wie lange das schon her zu sein schien. Eine Ewigkeit.
Die Gig wurde festgemacht, und Tyrell sagte abrupt:»Der Bastard verdient, gehängt zu werden!»
Bolitho folgte den anderen zur Schanzkleidpforte und versuchte wieder einmal, sich über seine wahren Gefühle klar zu werden. Es war schwierig, Colquhoun weiterhin zu hassen. Seine Schwäche war vielleicht allzu menschlich gewesen, was es nach dem ersten Ärger nicht leichter machte, ihn zu verdammen.
Als es acht Uhr war und die Glocken von jedem ankernden Kriegsschiff erklangen, krachte ein einzelner Kanonenschuß von der Parthian, gleichzeitig wurde die Kriegsgerichtsflagge an ihrer Gaffel gehißt. Es war Zeit.
Graves stand mit ausdruckslosem Gesicht bei den anderen, als sie in die Gig kletterten. Er war nicht betroffen, und Bolitho fragte sich, ob er vielleicht beim Anblick der Kriegsgerichtsflagge an Chancen für seine Beförderung dachte.
Sobald er die vergoldete Schanzkleidpforte der Parthian durchschritten hatte und an der Wache und der versammelten Menschenmenge vorbeigegangen war, spürte Bolitho ein Gefühl des Ekels in sich aufsteigen. Das Achterdeck des Zweideckers war mit Besuchern vollgestopft. Höhere Offiziere, einige von ihnen Militärs, verschiedene wohlhabend aussehende Zivilisten und ein einzelner Maler erweckten den Eindruck eines sorglosen Ausfluges und nicht den eines Gerichts. Der Maler, ein bärtiger, geschäftiger kleiner Mann, hielt Skizzen aus jedem Blickwinkel fest, betonte jedes Detail der Uniform und des Ranges, gönnte sich kaum eine Pause.
Er sah Bolitho und drängte sich durch die schwatzende Menge, den Skizzenblock schon gezückt.
«Kapitän Bolitho?«Der Bleistift verhielt und senkte sich dann.»Freut mich, Sie endlich zu sehen. Ich habe so viel von Ihren Heldentaten gehört. «Er hielt ein und lächelte scheu.»Ich wünschte, ich hätte an Bord Ihres Schiffes sein können, um Zeichnungen zu machen. Die Leute zu Hause müssen darüber unterrichtet werden.»