Bolitho stimmte zu.»Vor einer Woche… Nehmen wir noch ein paar Tage dazu, bis das Fischerboot den Ort erreicht hatte, an dem es von der Lucifer gesichtet wurde. «Er öffnete seinen Stechzirkel und beugte sich über die Seekarte.»Ungefähr dreißig Seemeilen von unserer jetzigen Position entfernt. Wir könnten bis morgen mittag vor der Insel sein, wenn sich der Wind hält.»
Odell sagte träge:»Soviel ich weiß, wünscht Kapitän Colquhoun, daß Sie den Franzosen aufscheuchen und sonst nichts, Sir. «Er lächelte.»Oder habe ich die Wünsche des guten Kapitäns falsch verstanden?»
Bolitho setzte sich und öffnete die Depeschen noch einmal. »Bacchante nähert sich durch den Nordwest-Providence-Kanal, während wir im Norden bleiben und den Franzosen verfolgen, wenn er zu fliehen versucht.»
Odell nickte zufrieden.»Die Bacchante kann jetzt nur noch knapp zwanzig Meilen von ihrer Angriffsposition entfernt sein, Sir. Ich muß sie wiederfinden und berichten, daß ich Sie getroffen habe und daß Sie Ihre Instruktionen verstehen.»
Bolitho blickte ihn kurz an.»Danke. Ich habe sie verstanden.»
Der Leutnant stand auf und griff nach seinem Hut.»Ich werde jetzt zu meinem Schiff zurückkehren. In diesen Gewässern möchte ich nicht nach Einbruch der Dunkelheit erwischt werden.»
Zusammen beobachteten sie, wie der Leutnant zum Schoner zurückgerudert wurde.
Dann sagte Tyrell bitter:»Ziemlich klar, daß Kapitän Colquhoun es sich in den Kopf gesetzt hat, den Franzosen als Prise zu nehmen, nur für sich allein. Wir dürfen gerade noch als Treiber mitspielen.»
«Etwas anderes macht mir viel mehr Sorgen. «Bolitho rieb sich das Kinn.»Das Fischerboot war klein, wie in den Depeschen steht. Viel zu zerbrechlich, um draußen im tiefen Wasser zu operieren, wo es erwarten konnte, auf Bacchante oder eine andere Fregatte zu stoßen. Es war nur ein Zufall, daß es die Lucifer traf, denn wir beide wissen, Jethro, daß Schoner im Dienste des Königs hier selten sind.»
Tyrells Augen blitzten im verblassenden Sonnenlicht.»Sie meinen, daß die Fischer nach einem anderen Schiff Ausschau hielten?»
Bolitho sah ihm in die Augen.»Aye.»
«Aber es gibt nur uns und die Fawn zwischen hier und dem Küstengeschwader, und dessen nächste Patrouille muß ungefähr vierhundert Meilen weit weg sein.»
«Genau. «Bolitho blickte achteraus zu der anderen Korvette, deren Marssegel schon von den länger werdenden Schatten gezeichnet waren.»Und wer wüßte dies besser als die Fischer von den Inseln?»
Tyrell atmete langsam aus.»Teufel, soll das heißen, daß wir diese Information bekommen sollten? Aber als sie Colquhoun in die Finger gerieten, wollten sie damit ihre eigene Haut retten.»
«Ich weiß nicht. «Bolitho schritt zu den Wanten und zurück zum Kompaß, ohne eines von beiden zu sehen.»Der Kommandant der Fawn hat mir vor einiger Zeit etwas gesagt. Nämlich daß unsere Fischzüge sehr bekannt werden, was mit anderen Worten heißen soll, daß sie dem Feind weh tun.»
Tyrell nickte.»Eine Falle. Ist das wahrscheinlich?«Er deutete über die See.»Wir sind denen doch sicherlich nicht so wichtig.»
«Das hängt davon ab, was der Feind vorhat. «Bolitho wandte sich um, er fühlte, wie ihm ein Schauer den Rücken hinunterlief. Dies war ein neues, ein unheimliches Gefühl. Allein der Gedanke, daß jemand über ihn diskutierte, sozusagen einen Verfolgungsplan wie für einen gesuchten Verbrecher aufstellte!
Aber es schien so zu sein, und er mußte sich darauf einstellen. Flotten und wertvolle Geleitzüge blieben östlich oder westlich der Bahamas, also war es viel wahrscheinlicher, daß es der Feind auf eine ganz bestimmte Prise abgesehen hatte.
Er sagte:»Wir werden heute nacht für die Fawn eine Hecklaterne setzen. Bei Tagesanbruch teile ich Commander Maulby mit, was ich davon halte. «Er grinste, plötzlich amüsiert von seiner ungewöhnlichen Vorsicht.»Oder vielleicht habe ich bis dahin auch die Geister vertrieben.»
Tyrell beobachtete ihn zweifelnd.»Für unsere Feinde, und besonders für die Franzosen, sind Sie ein Dorn im Fleisch. «Er runzelte die Stirn.»Und es gibt nur eine Art, mit Dornen fertig zu werden, und das ist, sie herausziehen und darauf herumtrampeln!»
Bolitho nickte.»Wir werden auf unserem neuen Kurs bleiben, aber darauf vorbereitet sein, jedes Ereignis als Trick oder Hinterhalt zu betrachten, bis sich das Gegenteil herausgestellt hat.»
Er schaute zwar nach der Lucifer aus, aber sie war nicht mehr als ein kleiner Punkt in der Abenddämmerung. Er verfluchte Colquhoun, weil der nicht mehr Informationen über das Fischerboot geliefert hatte. Dennoch tat er ihm fast leid. Er war offensichtlich ängstlich auf seine eigene Zukunft bedacht, und jetzt, da sich ihm die Chance bot, eine reiche Prise aufzubringen, wahrscheinlich auch noch militärische Informationen, konnte er an nichts anderes denken.
Er ging hinunter in seine Kajüte und betrachtete im Licht der sanft schwingenden Laterne die Seekarte. Unter seinen Händen lagen die Inseln, die unzähligen Riffe und Untiefen, wie die Öffnung eines gigantischen Beutels, um den die Flotte Colquhouns, zufällig oder nicht, immer engere Kreise zog, um sich mit der Endgültigkeit einer Schlinge zu schließen.
Bolitho seufzte und lehnte sich aus einem der Fenster. Im abgeschirmten Strahl der Hecklaterne leuchteten die kleinen Schaumkronen wie blaue Wolle, und dahinter war der Horizont blaß geworden und verschwamm im Licht der ersten fahlen Sterne.
Dann berührte er die Narbe unter der Haarlocke und bemerkte, daß sie schmerzte, mit dem Herzschlag pulsierte. Er wußte, daß er unruhig war, vielleicht um so mehr, als er keinen konkreten Grund dafür finden konnte.
Oben hörte er Graves murmeln, als er die Wache übernahm, und Tyrells hinkenden Schritt, als er zum Mannschaftsniedergang ging. Normale, gewohnte Geräusche, die ihm sonst ein Gefühl der Freude vermittelten. Jetzt hatte er plötzlich Angst. Vielleicht lag es daran, daß sie von Menschen kamen, die er kennengelernt hatte, und nicht nur die Ausdehnung der Möglichkeiten des Schiffes bedeuteten. Er fürchtete sich nicht vor dem Feind oder vor dem allgegenwärtigen Tod, sondern vor seiner Verantwortung, die ihr Vertrauen ihm gegeben hatte.
Ränkespiel und Bosheit
Bolitho befestigte gerade hastig sein Halstuch, als Tyrell den Kopf durch das Kajütenskylight steckte und rief:»Die Bacchante hat signalisiert, Sir! Bitten Kapitäne an Bord!«»Ich komme sofort hinauf.»
Er warf sich den Rock über und blickte sich in der Kajüte um. Er sah Colquhoun nicht sehr oft, hatte aber gelernt, daß es am besten war, nichts zu vergessen.
An Deck wurde die Gig bereits über Bord gelassen, und als er zur Fawn hinüberblickte, sah er, daß deren Boot bereits im Wasser war und Maulby sich beeilte, hineinzukommen.
Es war früher Nachmittag, und Bolitho spürte das brennendheiße Deck durch seine Schuhe hindurch. Die ganze Nacht waren sie, die Fawn so nahe wie es die Sicherheit eben noch zuließ, gen Süden gefahren und hatten die Sandbänke und Untiefen zehn Meilen backbords liegen lassen. Es hatte aber länger gedauert als gehofft, die Bacchante zu finden; sobald der Ausguck ihre Marssegel gesichtet hatte, flaute der Wind bis auf eine müde Brise ab, und die Sonne brannte mit sengender Glut.
Während Bolitho darauf wartete, daß die Mannschaft die Gig fertig machte, wandte er sich um und schaute zu dem formlosen, blauen und purpurroten Klumpen hinüber, von dem er wußte, daß es das westliche Ende der großen Bahamainsel war. Colquhoun ging kein Risiko ein. Er war weit genug vom Land entfernt, um entweder selbst reichlich Aktionsraum zu haben oder den Feind daran zu hindern, seine Absichten zu erkennen.
«Gig ist klar, Sir.»
Schnell ging er zur Schanzkleidpforte und sagte zu Tyrell:»Achten Sie besonders auf Kundschafter. Schicken Sie einen Kutter aus, wenn sie näher kommen. Warten Sie meine Befehle nicht ab.»