Yule, der Feuerwerker, brummte:»Dieser verdammte Ochse sollte selbst niedergeschossen werden, verfluchter Bastard!«Der Seesoldat schoß nicht mehr, sondern rannte zum Ende seiner kleinen Plattform, um den Schwimmer zu beobachten wie ein Raubvogel, der seiner Beute fürs erste genug gegeben hat. Oder so sah es wenigstens aus. Als dann ein Wachboot um das Heck eines anderen Zweideckers herumkam, wußte Bolitho, warum er sich nicht die Mühe gemacht hatte zu schießen.
Das Langboot bewegte sich vorsichtig, die Riemen trieben es durch das glitzernde Wasser wie einen blauen Fisch. Im Heck sah er verschiedene Seesoldaten, auch einen Fähnrich mit Fernglas.
Yule bemerkte ernst:»Jetzt kann er nicht mehr entkommen. «Tyrell sagte:»Wir haben es nicht mehr in der Hand.»
«Aye.»
Bolitho fühlte sich plötzlich elend, die Freude des Briefes war durch die Verzweiflung des Mannes verdorben worden. Niemand, der von einem Schiff des Königs desertierte, konnte auf Gnade hoffen. Es war zu hoffen, daß er gehängt würde, besser als durch die ganze Flotte ausgepeitscht zu werden. Es überlief ihn kalt.
Wenn er gehängt wurde… Er starrte verzweifelt zum Großmast der Sparrow hinauf. Es gab keinen Zweifel darüber, wo die Hinrichtung stattfinden würde. Sogar Christie mußte darauf bestehen. Eine Warnung, die alle an Bord und auf den nächstliegenden Schiffen verstehen würden. Bolitho versuchte, nicht auf das Wachboot zu blicken, wie es auf den kleinen, vorwärtsstrebenden Kopf zufuhr.
Lockharts eigene Freunde, die treuen Seeleute der Sparrow, würden gezwungen werden, dabei zu sein, wenn ihm die Schlinge um den Hals gelegt wurde, ehe sie, und sie allein, den Befehl erhielten, ihn zur Rah hinaufzuziehen. Nach allem, was sie zusammen ausgehalten hatten, konnte diese übelkeiterregende Handlung einen Keil zwischen Offiziere und Mannschaft treiben und zerstören, was sie erreicht hatten.
Tyrell sagte atemlos:»Sehen Sie, Sir!»
Bolitho ergriff ein Fernglas und richtete es auf das Wachboot.
Er konnte gerade noch sehen, wie Lockhart Wasser trat und sich umdrehte, entweder um das Boot oder vielleicht die Sparrow anzusehen. Dann, als die Riemen das Boot zum Stillstand brachten und ein Soldat über den Vordersteven schon nach dem Haar des Mannes griff, stieß er seine Hände weg und verschwand unter der Oberfläche.
Niemand sprach, und Bolitho bemerkte, daß er den Atem anhielt, vielleicht genauso wie der Mann, der plötzlich verschwunden war.
Im allgemeinen waren Seeleute schlechte Schwimmer. Vielleicht hatte Lockhart einen Krampf bekommen. Jeden Augenblick würde er in der Nähe auftauchen, und die Mannschaft des Wachboots würde ihn an Bord hieven.
Sekunden, Minuten verstrichen, und dann nahm das Wachboot auf ein Kommando hin wieder seine langsame Patrouille zwischen den verankerten Schiffen auf.
Bolitho sagte ruhig:»Dafür danke ich Gott. Wenn er schon sterben mußte, bin ich froh, daß es ohne Gewalt abging.»
Tyrell sah ihn trübe an.»Das stimmt. «Er drehte sich mit plötzlichem Ärger zu dem Feuerwerker um.»Mr. Yule! Schaffen Sie diese Gaffer von der Reling weg, oder ich finde eine harte Arbeit für sie!»
Er war ungewöhnlich verstört, und Bolitho fragte sich, ob er sein eigenes Schicksal mit dem des ertrunkenen Seemannes verglich. Er sagte:»Machen Sie einen Eintrag ins Logbuch, Mr. Tyrell.»
«Sir?«Tyrell sah ihn grimmig an.»Als Deserteur?»
Bolitho sah an ihm vorbei auf die Seeleute, die wieder zum Geschützdeck gingen.
«Wir wissen nicht sicher, daß er desertieren wollte. Tragen Sie ihn als tot ein. «Er ging zum Niedergang.»Seine Verwandten müssen schon genug ertragen ohne die zusätzliche Schande.»
Tyrell sah ihn weggehen, sein Atem wurde langsam wieder normal. Es würde Lockhart nichts nützen. Er war außerhalb jeder Reichweite. Aber Bolithos Befehl würde gewährleisten, daß sein Name nicht befleckt war, sein Verlust würde eingetragen werden bei denen, die in der Schlacht gefallen waren, in Kämpfen, an denen er selbst auch ohne Klage teilgenommen hatte. Es war nur ein kleiner Unterschied. Aber trotzdem wußte er, daß nur Bolitho daran gedacht hätte.
Als Bolitho aus seiner Gig kletterte, war er erstaunt, eine hübsch bemalte Kutsche vorzufinden, die an der Pier auf ihn wartete. Ein livrierter Neger nahm seinen Dreispitz ab und verbeugte sich tief.
«Guten Abend, Sir. «Er öffnete die Kutschentüre mit einer einladenden Bewegung, während Stockdale und die Mannschaft der Gig in schweigender Bewunderung zusahen.
Bolitho hielt inne.»Warte nicht, Stockdale. Ich werde mit einem Mietboot zum Schiff zurückkommen.»
Er war in gehobener Stimmung und sich sehr wohl der beobachtenden Leute auf der Straße oberhalb der Pier bewußt, eines neidischen Blickes von einem vorübergehenden Major der Seesoldaten. Stockdale faßte an seinen Hut.»Wenn Sie es sagen, Sir. Ich könnte mit Ihnen kommen…»
«Nein. Ich werde euch morgen voll brauchen. «Er kam sich plötzlich rücksichtslos vor und zog eine Münze aus der Tasche.»Hier, kauf etwas Grog für die Mannschaft der Gig. Aber nicht zuviel — aus Gründen der Sicherheit!»
Er kletterte in die Kutsche und sank in die blauen Kissen zurück, als die Pferde mit einem Ruck zu ziehen begannen.
Mit dem Hut auf den Knien sah er die vorüberhuschenden Häuser und Menschen an, Stockdale und das Schiff waren für den Augenblick vergessen. Einmal, als der Kutscher in die Zügel griff, um einen schweren Wagen vorbeizulassen, hörte er das weit entfernte Geräusch von Kanonendonner. Trotzdem war es schwierig, das ferne Geschützfeuer mit den hellerleuchteten Häusern, den Liedfetzen aus den Tavernen in Verbindung zu bringen. Vielleicht probierte eine Abteilung der Armee ihre Geschütze aus. Aber viel wahrscheinlicher war ein nervöses Duell zwischen zwei Vorposten.
Es dauerte nicht lange, bis sie das Haus erreichten, und als Bolitho aus der Kutsche stieg, bemerkte er, daß auch andere Gäste ankamen. Er schalt sich wieder einen Narren, weil er sich vorgestellt hatte, daß er heute abend allein empfangen würde.
Diener glitten aus dem Schatten, und wie durch Zauberei waren sein Hut und sein Bootsmantel verschwunden.
Ein Dienstmann öffnete einige Türen und kündigte an:»Kapitän Richard Bolitho vom Schiff Seiner Majestät Sparrow.»
Was für ein Unterschied zum Empfang, dachte er. Als er in den schönen hohen Raum eintrat, war er sich des mit einem Hauch von Luxus und Intimität gemischten Komforts bewußt, der vorher gefehlt hatte.
Am Ende des Raumes ließ General Sir James Blundell ihn schweigend herankommen und sagte dann rauh:»Ein unerwarteter Gast, Bolitho. «Seine schweren Züge entspannten sich etwas.»Meine Nichte sagte mir, daß Sie kommen würden. «Er streckte die Hand aus.»Sie sind hier willkommen.»
Der General hatte sich sehr wenig verändert. Vielleicht war er etwas schwerer geworden, aber sonst der Alte. In einer Hand hielt er ein Brandyglas, und Bolitho erinnerte sich an seinen Aufenthalt an Bord der Sparrow, an seine offensichtliche Verachtung für die Männer, die ihn in Sicherheit gebracht hatten.
Etwas von ihrem ersten Zusammentreffen mußte unter seinen Freunden bekannt geworden sein, denn erst nach Blundells Begrüßung wurde der Raum wieder lebendig, füllte sich mit Gelächter und Unterhaltung. Es schien, als ob sie alle abgewartet hätten, wie Blundell reagieren würde. Bolithos eigene Gefühle waren natürlich unwichtig. Man konnte ihm jederzeit bedeuten, wieder zu gehen.
Bolitho fühlte Susannahs Hand auf seinem Arm, und als er sich umdrehte, sah er sie zu sich aufblicken und lächeln. Mit einem Nicken zu ihrem Onkel führte sie ihn auf die andere Seite des Raumes, die Gäste wichen vor ihr zurück wie vor einer königlichen Hoheit.
Sie sagte:»Ich habe Sie heute an Bord gesehen. Danke, daß Sie gekommen sind. «Sie klopfte ihm auf die Ärmelaufschläge.»Ich finde, Sie waren eben wunderbar. Mein Onkel kann sehr schwierig sein.»