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Bolitho erwiderte:»Nein. Aber wenn es so wäre, wüßten wir vielleicht mehr vom Geschehen.»

Farr stand auf und rülpste.»Guter Wein. Noch bessere Gesellschaft. Ich werde Sie jetzt Ihrer versiegelten Order überlassen. Wenn die Depeschen von allen Admiralen der Welt zusammengebunden würden, hätten wir genug, um den Äquator damit zu bedecken, das ist eine Tatsache! Zum Donnerwetter, manchmal meine ich, wir ersticken an Papier!»

Er stolperte aus der Kajüte und lehnte Bolithos Angebot ab, ihn nach oben zu begleiten.»Wenn ich nicht allein fertig werde, ist es Zeit, daß man mir eine Ladung Blei verpaßt und mich über Bord wirft!»

Bolitho setzte sich an den Tisch und öffnete den Leinenumschlag, obwohl seine Augen hauptsächlich auf dem kleineren ruhten.

Die Befehle waren kürzer als gewöhnlich. Da sie seeklar war, sollte die Korvette seiner Majestät, Sparrow, Anker lichten und am nächsten Tag in aller Frühe auslaufen. Sie würde eine unabhängige Patrouille ausführen, östlich zum Montauk Point an der Spitze von Long Island, und dann in Richtung Block Island bis zu den Ausläufern von Newport.

Er unterdrückte die aufsteigende Erregung und zwang sich, sich auf die spärlichen Erfordernisse der Patrouillenfahrt zu konzentrieren. Er sollte sich nicht mit feindlichen Kräften einlassen, außer auf eigene Verantwortung. Seine Augen ruhten auf den letzten Worten. Wie ihn dies an Colquhoun erinnerte! So kurz, und doch beinhaltete es die ganze Problematik seiner Position, falls er falsch handelte.

Aber endlich konnte man etwas Direktes tun, nicht nur Blockadebrecher aufspüren oder einen schlauen Freibeuter suchen. Dies war französisches Gebiet, der Zipfel der zweitgrößten Seemacht der Welt. Er sah, daß Konteradmiral Christie seine Unterschrift unter die krakelige des Flaggkapitäns gesetzt hatte. Wie typisch für diesen Mann. Ein Zeichen seines Vertrauens und der Reichweite seines Armes.

Er stand auf und klopfte an das Skylight.»Fähnrich der Wache!»

Er sah Bethunes Gesicht über sich und rief:»Empfehlung an den Ersten Leutnant, ich möchte ihn sofort sehen. «Er machte eine Pause.»Ich dachte, Sie hätten eine frühere Wache?»

Bethune schlug die Augen nieder.»Aye, Sir. Das stimmt, aber…»

Bolitho sagte ruhig:»In Zukunft gehen Sie Ihre Wachen wie festgelegt. Ich nehme an, Mr. Fowler hätte jetzt Wache gehabt?»

«Ich habe es mit ihm abgesprochen, Sir. «Bethune sah unsicher aus.»Ich schuldete ihm einen Gefallen.»

«Nun gut. Aber erinnern Sie sich an meine Befehle. Ich dulde keine pensionierten Offiziere auf diesem Schiff!»

Er setzte sich wieder. Es hätte ihm auffallen müssen, was vorging. Der arme Bethune war den Fowlers dieser Welt nicht gewachsen. Dann lächelte er trotz seiner Besorgnis. Er hatte gut reden.

Er schlitzte den zweiten Umschlag auf und stieß sich dabei am Tisch. Er las:

Mein lieber Kapitän, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie heute abend mit uns speisen könnten. Ich bin unglücklich über diese nicht entschuldbare Verspätung und hoffe, daß Sie mir sofort vergeben werden. Während Sie diesen Brief lesen, beobachte ich Ihr Schiff durch das Fernglas meines Onkels. Damit ich nicht im Ungewissen bin, zeigen Sie sich bitte.

Der Brief war unterschrieben mit >Susannah Hardwicke<.

Bolitho erhob sich, schloß rasch seine Befehle in die Kajütenkassette ein und eilte die Niedergangsleiter hinauf.

Das Fernglas ihres Onkels? General Blundell war also auch da. Das mochte die Wachen an den Toren erklären.

Aber sogar diese Tatsache deprimierte ihn nicht. Er stieß fast mit Tyrell zusammen, als dieser nach vorn gehinkt kam, die Arme mit Schmierfett besudelt.

«Bitte entschuldigen Sie, daß ich nicht hier war, als Sie mich rufen ließen, Sir. Ich war im Kabelgatt.»

Bolitho lächelte:»Sie haben wohl die Gelegenheit benützt, um nach Faulholz zu suchen?»

Tyrell rieb sich das Bein.»Aye. Aber es ist alles in Ordnung. Das Schiff ist so gesund wie ein Fisch im Wasser.»

Bolitho ging zu den Wanten und beschattete seine Augen vor dem starken Licht. Die fernen Häuser verloren sich fast im Dunst, ihre Umrisse zitterten und verschwammen ineinander, als ob sie in der Hitze schmolzen.

Tyrell sah ihn fragend an.»Ist etwas nicht in Ordnung, Sir?»

Bolitho beugte sich zu Bethune hinunter und nahm sein Fernrohr. Damit sah man auch nicht besser. Das Glas, das auf die Sparrow gerichtet wurde, war wahrscheinlich sehr stark. Langsam hob er den Arm und winkte.

Hinter ihm standen Tyrell und Bethune stocksteif, einer genauso bestürzt über das befremdliche Benehmen des Kapitäns wie der andere.

Bolitho drehte sich um und bemerkte Tyrells Gesicht.»Hm. Ich habe gerade jemandem gewunken.»

Tyrell sah an ihm vorbei auf die vor Anker liegenden Schiffe und geschäftigen Hafenarbeiter.»Verstehe, Sir.»

«Nein, Jethro, das tun Sie nicht, aber macht nichts. «Er schlug ihm auf die Schulter.»Kommen Sie mit hinunter, dann werde ich Ihnen sagen, was wir zu tun haben. Ich vertraue Ihnen heute abend das Schiff an, da ich an Land essen werde. «Ein breites Grinsen ging über das Gesicht des Leutnants.»Oh, ich verstehe, Sir!»

Sie studierten soeben die Karte und diskutierten die Segelbefehle, als sie Bethune schreien hörten:»Halt! Stillgestanden, der Mann!«Dann hörte man ein Aufklatschen und noch mehr Schreie auf dem Geschützdeck.

Bolitho und Tyrell eilten wieder auf Deck und fanden Bethune und die meisten wachfreien Leute an der Backbordreling oder in die Wanten geklammert.

Ein Mann schwamm im Wasser, seine Arme holten kräftig aus, und sein dunkles Haar glänzte in der Gischt und im Sonnenlicht. Bethune keuchte:»Es ist Lockhart, Sir! Er sprang über Bord, ehe ich ihn aufhalten konnte.»

Tyrell murmelte:»Ein guter Seemann. Machte niemals Schwierigkeiten. Ich kenne ihn gut.»

Bolitho betrachtete den Schwimmer.»Ein Einheimischer?»

«Aye. Er kam vor einigen Jahren aus Newhaven. Jetzt hat er es getan, der arme Teufel. «Es lag kein Ärger in Tyrells Stimme, höchstens Mitleid.

Bolitho hörte, wie die Männer in seiner Nähe ihre Vermutungen über die Chancen des Schwimmers äußerten. Es war weit zum Land.

Während seiner Zeit auf See hatte Bolitho viele Deserteure gekannt. Oft hatte er Sympathie für sie empfunden, auch wenn er ihre Taten für falsch hielt. Nur wenige meldeten sich freiwillig zum harten Dienst auf einem Schiff des Königs, vor allem da niemand mit Sicherheit wußte, ob er seine Heimat wiedersehen würde. Die Seehäfen waren voll von den Zurückgekehrten: Krüppel und Männer vor der Zeit gealtert. Aber bis jetzt hatte noch niemand einen besseren Weg gefunden, die Flotte zu bemannen. Sobald sie einmal gepreßt waren, akzeptierten die meisten Männer ihr Schicksal, man konnte sich sogar darauf verlassen, daß sie andere mit ähnlichen Methoden dazu bringen würden. Die alte Seemannsregel:»Wenn ich hier bin, warum nicht auch er?«hatte auf Kriegsschiffen große Bedeutung.

Dies war aber ein anderer Fall. Der Seemann Lockhart schien nichts Außergewöhnliches zu sein, ein guter Arbeiter und selten verspätet auf Wache oder Station. Aber die ganze Zeit mußte er an sein Heimatland gedacht haben, und der Aufenthalt in New York gab ihm den Rest. Auch jetzt, als er sich stetig an einem vor Anker liegenden Zweidecker vorbeiarbeitete, dachte er ohne Zweifel nur an sein Ziel: ein vages Bild von Haus und Familie, oder von Eltern, die fast vergessen hatten, wie er aussah.

Ein schwacher Knall wehte vom Bug des Zweideckers herüber, und Bolitho sah, wie ein rotberockter Seesoldat schon die zweite Kugel in seine Muskete rammte, für einen weiteren Schuß auf den einsamen Schwimmer.

Ein ärgerliches Gemurmel kam von den Seeleuten der Sparrow.

Was sie auch von der Desertation des Mannes dachten oder über den Mann selbst, es hatte nichts mit ihrer Reaktion zu tun. Er war einer der Crew und der Rotrock momentan ein Feind.

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