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Jetzt wurden zwei weitere Männer die Treppe heruntergeschafft, einer entpuppte sich als Hummerfischer, der andere protestierte laut und behauptete, er sei überhaupt kein Seemann. Bolitho musterte die Tätowierungen auf seinen Armen und sagte ruhig:»Ich rate dir, den Mund zu halten. Wenn du von einem Schiri des Königs bist, wie ich vermute, wäre Schweigen für dich gesünder. «Der Mann wurde so blaß unter seiner Bräune, als hätte er bereits die für ihn bestimmte Schlinge des Henkers gesehen.

Ein Seemann polterte die Treppen herunter.»Das ist alles, Sir, außer diesem Knaben hier.»

Bolitho sah, wie der Junge durch die Reihe der starrenden Mädchen hindurchgeschoben wurde, und entschied sich gegen ihn. Vielleicht war er jemandes Sohn, der in dieser trüben Spelunke ein erstes aufregendes Erlebnis gesucht hatte.

«Gut. Rufen Sie die anderen!«Er betrachtete den schmalschult-rigen Jungen, der mit niedergeschlagenen Augen im Schatten stand.»Das ist kein Ort für dich, Kerlchen. Verschwinde, bevor etwas Schlimmeres passiert. Wo wohnst du?»

Als keine Antwort kam, streckte Bolitho die Hand aus und hob des anderen Kinn an, so daß das Lampenlicht voll auf das verängstigte Gesicht fiel.

Bolitho stand einen Augenblick wie versteinert. Dann ging alles sehr schnell. Der Bursche duckte sich und rannte aus der Tür, bevor sich jemand bewegen konnte.

Ein Seemann schrie: «Haltet den Mann!»

Vor dem Haus hörte Bolitho die Soldaten rufen. Er lief hinaus.»Wartet!«Aber es war schon zu spät. Der Knall einer Muskete hallte wie Kanonendonner in der engen Gasse.

Er ging an seinen Leuten vorbei und beugte sich über die ausgestreckte Gestalt, während ein Korporal der Infanterie herbeieilte und den Körper auf den Rücken rollte.

«Er wollte Ihnen weglaufen, Sir!»

Bolitho kniete nieder, knöpfte die grobe Jacke und das Hemd auf und legte die Hand auf die schmale Brust. Das Herz schlug nicht mehr, überall war Blut. Die Haut, so zart wie vorher das Kinn, war noch warm, und die toten Augen starrten ihn anklagend aus der Dunkelheit an.

Er erhob sich, ihm war übel.»Es ist ein Mädchen.»

Dann wandte er sich um und rief:»Diese Frau, bringt sie her!»

Die» Lucy «genannte Person trat näher und rang die Hände, als sie die leblose Gestalt erblickte. Mit ihrer Arroganz war es vorbei. Bolitho konnte ihre Angst beinahe riechen.

«Wer war sie?«fragte er, erstaunt über den harten Ton seiner Stimme, die ihm selbst fremd klang.»Ich frage kein zweites Mal, Frau!»

Mehr Lärm erfüllte die Straße, und zwei Berittene galoppierten durch die Heerespatrouille.»Was, zum Teufel, geht hier vor?«bellte eine Stimme.

Bolitho berührte grüßend seinen Hut.»Offizier der Hafenwache,

Sir!»

Der Fragende war ein Major, der dieselben Abzeichen trug wie der Unteroffizier, der das Mädchen erschossen hatte.

«Oh, verstehe. Also dann. «Er stieg ab und beugte sich über die Leiche.»Die Lampe, Korporal!«Die Hand unter dem Kopf des Mädchens, drehte er dessen Gesicht dem Licht zu.

Bolitho war außerstande, den Blick vom Gesicht der Toten abzuwenden.

Endlich stand der Major auf.»Schöne Bescherung, Leutnant!«Er rieb sich das Kinn.»Es ist wohl besser, wenn ich den Gouverneur wecke. Er wird nicht sehr erfreut sein.»

«Wer war sie, Sir?»

Der Major schüttelte den Kopf.»Was Sie nicht wissen, kann Ihnen nicht schaden. «Dann, in verändertem Ton zu dem zweiten Reiter:»Korporal Fisher! Reiten Sie zur Kommandantur und wek-ken Sie den Adjutanten. Er soll mit einem Zug Soldaten sofort herkommen. «Er beobachtete, wie der Korporal losjagte, und fügte hinzu:»Dieses verdammte Haus wird jetzt geschlossen und bewacht, und Sie«, sein weißbehandschuhter Zeigefinger schoß vor und deutete auf die zitternde Lucy,»sind festgenommen!»

Jammernd sank sie fast zu Boden.»Wieso ich, Sir? Was hab' ich denn verbrochen?»

Der Major trat zur Seite, als zwei Soldaten herbeiliefen und Lucys Arme packten.»Verrat, Madam, das haben Sie verbrochen!»

Etwas ruhiger wandte er sich Bolitho zu.»Ich schlage vor, daß Sie weitermachen, Sir. Ohne Zweifel werden Sie noch mehr über diesen Vorfall hören.«Überraschenderweise lächelte er kurz.

«Wenn es ein Trost für Sie ist: Sie sind da auf etwas wirklich Wichtiges gestoßen. Zu viele gute Leute sind schon Verrat zum Opfer gefallen. Aber hier liegt jemand, der nie mehr Verrat üben wird.»

Bolitho ging schweigend zum Hafen zurück. Der Major hatte das tote Mädchen erkannt, und nach der Feinheit ihrer Glieder, der Glätte ihrer Haut zu urteilten, stammte sie aus guter Familie.

Er versuchte sich vorzustellen, was in dem Haus vor sich gegangen war, bevor er und seine Leute dort eingedrungen waren; aber alles, woran er sich erinnern konnte, waren ihre Augen, mit denen sie ihn angeblickt hatte, als sie beide die Wahrheit begriffen.

VII Hoffnungen und Ängste

Bolitho ging ein paar Schritte auf und ab, wobei er versuchte, im Schatten des großen Besansegels zu bleiben. Es herrschte drückende Hitze, und die leichte Brise, die über das Achterdeck der Trojan wehte, brachte keinerlei Kühlung.

Von der Back ertönten sechs Glasen, während ein Schiffsjunge das Halbstundenglas umdrehte. Noch eine Stunde bis Mittag…

Bolitho zuckte zusammen, als die Sonne ihn voll traf und seine Schultern versengte. Aus der Halterung nahm er das Teleskop und richtete es nach vorn, wo das Flaggschiff Resolute gerade in der langen Dünung auftauchte. Wie rasch hatten sich doch die Dinge geändert, dachte er. Am Tag nach dem Tod des mysteriösen Mädchens hatten sie Befehl bekommen, mit dem ersten günstigen Wind auszulaufen. Über ihr Ziel war nicht das geringste erwähnt worden, und bis zuletzt hatten die Zyniker in der Messe behauptet, es handle sich wieder nur um eine Übung oder darum, zur moralischen Unterstützung des Heeres Flagge zu zeigen.

Das war vor vier Tagen gewesen, vor vier mühevollen Tagen des langsamen Dahinkriechens in südlicher Richtung. Kaum zeigten ein paar Kräusel rund um das Ruder an, daß sie überhaupt Fahrt machten; in der ganzen Zeit hatten sie nicht mehr als vierhundert Meilen zurückgelegt.

Bolitho schwenkte das Teleskop weiter herum und sah die Sonne auf den Bramsegeln der Fregatte Vanquisher leuchten, die sich luvwärts von ihnen zum sofortigen Eingreifen bereit hielt, wenn ihre schwerfälligen Begleiterinnen sie benötigen sollten. Er richtete sein Glas wieder nach vorn auf das Flaggschiff. Gelegentlich, wenn es gerade auf einem Dünungskamm ritt, sah er noch ein kleineres Segel weit voraus, das» Auge «des Admirals.

Beim Passieren von Sandy Hook hatten sie bemerkt, daß auch die Korvette Spite Segel setzte und ohne jedes Aufsehen ihren Ankerplatz verließ. Sie segelte jetzt weit vor ihnen und würde durch Flaggensignale alles melden, was für den Admiral von Interesse sein konnte.

Es war ein prächtiges kleines Schiff, bestückt mit achtzehn Kanonen. Bolitho hatte es wiedererkannt: Es war dasselbe, das kurz vor Sparkes vergeblichem Versuch, die Brigantine zu bergen, auf die Faithful gefeuert hatte. Ihr Kommandant war erst vierundzwanzig Jahre alt, aber ebenso wie die anderen drei genau im Bilde darüber, was gespielt wurde.

Geheimhaltung hatte sich in ihre Welt eingeschlichen wie die ersten Zeichen einer Krankheit.

Das Deck zitterte, als sich steuerbords jetzt die Stückpforten des unteren Batteriedecks öffneten und kurz darauf dreißig Zweiund-dreißigpfünder ausgefahren wurden, als ginge es ins Gefecht. Wenn sich Bolitho über die Reling beugte, konnte er sie sehen; aber schon bei dem Gedanken, das heiße, zundertrockene Holz zu berühren, war ihm, als habe er sich verbrannt. Was Dalyell — jetzt Kommandierender des unteren Batteriedecks — auszuhalten hatte, wagte er sich kaum vorzustellen.

Die Segel flappten müde, aber vom Wimpel an der Mastspitze las er ab, daß der Wind sich keineswegs drehte. Es wehte weiterhin gleichmäßig aus Nordwest, aber zu schwach, um die brütende, feuchte Hitze aus den Decks zu vertreiben.

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