«Aye, Sir. «Rowhurst blickte beredt auf den Stapel von Pulverfässern und Zunder.»Eins ist sicher — beerdigen müssen sie uns nicht. Sie brauchen nur die paar übriggebliebenen Fetzen aufzusammeln!»
X Nachtgefecht
Bolitho betrat den Raum oben im Turm, wo der frühere Fortkommandant spartanisch einfach gelebt hatte, und fand Paget mit d'Esterre über eine Karte gebeugt, lebhaft diskutierend.
Bolitho fragte:»Sie haben nach mir geschickt, Sir?»
Kaum erkannte er seine eigene Stimme wieder. Die Müdigkeit war fast totaler Erschöpfung gewichen. Den ganzen Tag über war er von einer Aufgabe zur anderen gehetzt, sich ständig der blauweißen Schlange bewußt, die an der Küste entlang auf sie zukam, bald in und bald außer Sicht. Zur Zeit war sie ganz verschwunden, und es schien, als biege die Straße scharf ins Landesinnere ab, bevor ein Seitenweg zur Insel hin abzweigte.
Paget blickte auf. Er hatte sich rasiert und sah in seiner gut gebügelten Uniform frisch und adrett aus.
«Ja. Es wird nicht mehr lange dauern. «Er deutete auf einen Stuhl.»Alles erledigt?»
Bolitho setzte sich steif.»Erledigt. «Was für ein endloses Durcheinander von Aufgaben und Arbeiten sie bewältigt hatten! Tote mußten begraben, Gefangene an einen Platz geschafft werden, wo man sie mit der geringsten Anzahl von Leuten bewachen konnte. Vorräte und Wasser mußten überprüft, Schießpulver in das tiefst-gelegene Magazin geschafft werden, damit es eine einzige, vernichtende Explosion gab, sobald der Brand der Zündschnüre sein Ziel erreicht hatte. Die schweren Geschütze mußten gedreht und gegen das Land gerichtet werden, damit sie den Damm und den gegenüberliegenden Küstenstreifen unter Beschuß nehmen konnten.
«Ich habe alle Seeleute ins Fort kommen lassen, wie von Ihnen angeordnet«, ergänzte Bolitho.
«Gut. «Paget schenkte ein Glas Wein ein und schob es über den Tisch.»Trinken Sie, er ist nicht schlecht. «Dann fuhr der Major fort:»Sie müssen wissen, das meiste beruht auf Bluff. Wir wissen eine ganze Menge über diese Burschen, aber sie wissen kaum etwas über uns. Sie werden zwar meine Marinesoldaten bemerken, aber ein Rotrock sieht aus wie der andere. Warum sollten sie uns für Marine halten? Wir könnten ebensogut ein starkes Aufgebot von regulären Truppen sein, das sich durch ihre Linien gekämpft hat. Das wird sie beunruhigen.»
Bolitho blickte d'Esterre an, aber dessen normalerweise so lebhaftes Gesicht war ausdruckslos; daher vermutete Bolitho, daß die Idee, die Anwesenheit der Seeleute geheimzuhalten, von ihm und nicht von Paget stammte.
Es war sinnvoll. Schließlich lagen keine Boote da, und niemand wußte besser als der zurückkehrende Fortkommandant, wie unmöglich es war, ein Kriegsschiff unbehelligt von den schweren Geschützen auf den Ankerplatz zu segeln.
Der ungünstige Wind hatte noch an Stärke zugenommen und den ganzen Nachmittag über Staubwolken von der Marschsäule herangetrieben wie Rauch von Geschützfeuer.
Paget bemerkte:»Etwa eine Stunde bis Sonnenuntergang. Aber sie werden sich noch vor Einbruch der Dunkelheit bemerkbar machen, darauf gehe ich jede Wette ein.»
Bolitho blickte durch ein schmales Fenster auf der anderen Seite. Er konnte einen Teil des Hanges sehen, auf dem er mit dem jungen Couzens gelegen hatte, scheinbar vor tausend Jahren. Die sonnenverbrannten Büsche bewegten sich im Wind wie rauhes Pelzwerk, und die Abendsonne tauchte alles in feurige Farbtöne.
Die Seesoldaten hatten sich unten bei den jetzt umgestürzten Floßbalken Löcher gegraben, in denen sie vom Festland aus nicht zu sehen waren. D'Esterre hatte gute Arbeit geleistet. Jetzt hockten sie alle darin und warteten auf den Feind.
Bolitho bemerkte mit müder Stimme:»Wasser ist unser Hauptproblem, Sir. Die Garnison hat es immer aus einem Bach weiter landeinwärts geholt. Jetzt ist nicht mehr viel Wasser da. Wenn sie wüßten, daß wir auf ein Schiff warten, könnten sie sich genau ausrechnen, wieviel Zeit uns bleibt.»
Paget holte Luft.»Ich habe natürlich daran gedacht. Sie werden versuchen, uns zu bombardieren, aber da sind wir im Vorteil. Dieser Strand ist zu weich für ihre schweren Geschütze, und es wird mindestens einen weiteren Tag dauern, sie auf den Hügel zu schaffen, um uns von dort aus unter Beschuß zu nehmen. Was den Damm betrifft, so kann ich mir nicht vorstellen, daß sie darüber einen Frontalangriff riskieren würden, nicht einmal bei Niedrigwasser!»
Bolitho sah d'Esterre leise lächeln. Möglicherweise dachte er daran, daß Paget genau das von ihm und seinen Leuten erwartet hatte — für den Fall, daß es Bolitho nicht gelang, die Tore rechtze i-tig zu öffnen.
Die Tür wurde aufgestoßen, und der Leutnant vom Flaggschiff meldete aufgeregt:»Feind in Sicht, Sir!»
Paget starrte ihn an.»Wirklich, Mr. Fitzherbert, dies ist eine Garnison und nicht die Bühne im Drury-Lane-Theater!«Trotzdem stand er auf und trat in den heißen Sonnenschein hinaus. Auf der Brustwehr ließ er sich ein Teleskop reichen und schaute hindurch.
Bolitho stützte sich auf das heiße Holz der Brüstung und blickte zum Land hinüber. Zwei Reiter, fünf oder sechs Infanteristen und ein großer schwarzer Hund drängten sich auf dem engen Strand — offenbar eine Vorhut.
Paget sagte:»Sie suchen das Floß. Ich kann beinahe hören, wie ihre Hirne arbeiten.»
Bolitho blickte ihn an. Paget genoß doch tatsächlich die Situation!
Einer der Reiter stieg ab, der Hund lief zu ihm hin und wartete eifrig wedelnd. Sein Herr, anscheinend der Dienstälteste der Gruppe, tätschelte seinen Kopf mit routinierter Gebärde.
Fitzherbert fragte vorsichtig:»Was werden sie tun, Sir?»
Paget antwortete nicht sofort, sondern sagte zu d'Esterre:»Sehen Sie, wie die Hufe der Pferde sich in den Sand graben? Das einzige Stück befestigter Straße führt zum Anlegeplatz für das Floß. «Er senkte sein Glas und lachte in sich hinein.»Das haben die sich nicht träumen lassen, daß sie einmal hier die Angreifer spielen müssen!»
Sergeant Shears rief:»Ein paar von ihnen sind schon oben auf dem Hügel, Sir!»
«Von dort können sie uns Gott sei Dank nicht mit Gewehrfeuer erreichen«, sagte Paget und rieb sich vergnügt die Hände.»Sagen Sie Ihrem Artilleristen, er soll einen Schuß auf den Damm setzen. «Er blickte Bolitho scharf an.»Sofort!»
Rowhurst hörte Pagets Befehl mit offensichtlicher Begeisterung.»So gut wie besorgt, Sir!»
Mit Hilfe seiner Leute richtete er das schwere Geschütz auf den nassen Sand am Ende des Dammes.»Klar zum Feuern, Jungs!»
Bolitho schrie:»Haltet euch außer Sicht! Stockdale, sehen Sie zu, daß unsere Leute in Deckung bleiben!»
«Feuer!«Der Krach des Schusses hallte über das Wasser wie Donner. Scharen von Vögeln flatterten schreiend aus den Bäumen, und Bolitho sah gerade noch, wie eine gewaltige Wand feuchten Sandes hochgeschleudert wurde, als die Kugel wie eine Riesenfaust einschlug. Die Pferde scheuten, der Hund rannte wild bellend im Kreise herum.
Bolitho griff grinsend nach Rowhursts Arm.»Wieder laden!«Er schritt zurück zum Turm und sah, daß Quinn ihn von der anderen Brustwehr aus beobachtete.
Paget sagte anerkennend:»Guter Schuß! Gerade nahe genug, damit sie merken, daß wir bereit und gerüstet sind.»
Ein paar Augenblicke später rief Sergeant Shears:»Weiße Flagge, Sir!»
Ein Reiter galoppierte zum Damm, wo eine Rauchfahne noch die Einschlagstelle anzeigte.
Paget befahl:»Klar zum nächsten Schuß, Mr. Bolitho!»
«Es ist die Parlamentärsflagge, Sir!«Bolitho vergaß seine Müdigkeit und begegnete trotzig Pagets Blick.»Ich kann Rowhurst nicht befehlen, darauf zu feuern.»
Erstaunt hob Paget die Brauen.»Was soll das? Eine Anwandlung von Ehre?«Er wandte sich an d'Esterre:»Erklären Sie's ihm!»
D'Esterre sagte ruhig:»Sie wollen uns auf den Zahn fühlen, unsere Stärke herausfinden. Diese Leute sind keine Narren. Wenn sie auch nur einen Seemann entdecken, wissen sie, wie wir hergekommen sind.»