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Die Geschütze wurden mit lautem Gepolter wieder eingefahren, und er sah im Geiste Dalyell auf die Uhr blicken und feststellen, daß es zu lange gedauert hatte. Kapitän Pears hatte seine Forderung eindeutig formuliert: Gefechtsklar in zehn Minuten oder weniger, beim Feuern drei Salven in zwei Minuten. Die letzte Übung hatte fast doppelt so lange gedauert.

Er konnte sich die Geschützbedienungen vorstellen, wie sie sich schwitzend und mit entblößten Oberkörpern abmühten, die schweren Geschütze auszufahren. Jedes wog über drei Tonnen, und wenn das Schiff auf Backbordbug segelte, mußten sie dieses Gewicht das schrägliegende Deck aufwärts wuchten. Es war nicht das richtige Wetter für eine derartige Arbeit, aber — wie Cairns oft betonte — das war es nie.

Bolitho blickte durch die Netze zur unsichtbaren Küste hinüber, deren Verlauf er sich vor Antritt jeder Wache auf der Karte einprägte. Cape Hatteras mit seinen Untiefen lauerte etwa zwanzig Meilen querab, und dahinter lagen der Pamlico Sound und die Flüsse North Carolinas.

Die See ringsum war leer. Nur ihre vier Schiffe, weit auseinander, um Wind und Sicht am günstigsten zu nutzen, bewegten sich langsam südwärts, einem unbekannten Ziel entgegen. Die vier Besatzungen zusammen, schätzte Bolitho, mußten rund tausendachthundert Mann zählen.

Kurz vorher hatte er Molesworth, den Zahlmeister und Proviantverwalter, mit seinem Gehilfen den Niedergang hinuntergehen sehen, Molesworth mit seinem großen Hauptbuch unter dem Arm, sein Gehilfe mit dem Werkzeugkasten, den sie zum Öffnen von Fässern und Kisten benötigten.

Es war Montag, und Bolitho konnte sich die gekritzelten Notizen in Molesworths Buch vorstellen: Pro Mann ein Pfund Schiffszwieback, ein halbes Pfund Hafermehl, zwei Unzen Butter, vier Unzen Käse und einen Liter Leichtbier. Danach war es dann Sache von Triphook, dem Koch und seinen Kochsmaaten, was sie aus dieser Tageszuteilung machten.

Kein Wunder, daß Zahlmeister immer sorgenvoll oder unehrlich waren. Wenn man die Tagesration eines Mannes mit der Zahl der Besatzung und dann mit der Zahl der Tage auf See multiplizierte, bekam man eine Vorstellung von ihren Problemen.

Fähnrich Couzens, der diskret mit seinem Glas an der Leereling stand, zischte:»Der Kommandant, Sir!»

Bolitho drehte sich rasch um; schon diese Bewegung ließ Schweiß zwischen seinen Schulterblättern herabrinnen, der sich über dem Gürtel sammelte wie heißer Regen.

Er legte die Hand an den Hut:»Südsüdwest, Sir, voll und bei!»

Pears musterte ihn unbewegt.»Der Wind scheint während der letzten Stunde gedreht zu haben, aber nicht genug, um etwas zu verändern.»

Weiter sagte er nichts, und Bolitho ging hinüber zur Leeseite, um seinem Kommandanten das Luvdeck zu überlassen.

Pears schlenderte langsam auf und ab, anscheinend in tiefe Gedanken versunken. Woran mochte er denken, überlegte Bolitho? An seine Segelorder, an Frau und Kinder in England?

Pears blieb stehen und wandte sich ihm zu.»Lassen Sie ein paar Leute nach vorn pfeifen, Mr. Bolitho. Die Luvfockbrasse ist so schlapp wie diese ganze Wache! Das muß erheblich besser werden!»

Bolitho nickte.»Aye, Sir, sofort!»

Er gab Couzens ein Zeichen, und einen Augenblick später holten einige Seeleute kräftig die Lose der Brasse durch; jeder von ihnen wußte, daß der Kommandant sie beobachtete.

Bolitho grübelte über Pears Benehmen nach. Die Brasse war nicht loser gewesen als bei diesem schwachen und unregelmäßigen Wind zu erwarten. Wollte Pears sie nur in Bewegung halten? Er dachte plötzlich an Sparke und an sein: Notieren Sie den Namen dieses Mannes!

Die Erinnerung stimmte ihn traurig.

Er sah Quinn vom Batteriedeck heraufkommen und nickte grüßend, fügte jedoch ein rasches Kopf schütteln hinzu, um ihn vor Pears Anwesenheit zu warnen.

Quinn hatte sich rascher erholt, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte. Er sah schon wieder frischer aus und konnte aufrecht gehen, ohne das Gesicht vor Schmerzen zu verzerren.

Bolitho hatte die große Narbe auf Quinns Brust gesehen. Wenn sein Angreifer nicht noch im selben Augenblick gestört worden wäre, hätte die Klinge Muskel und Knochen durchbohrt und wäre ins Herz vorgedrungen.

«Mr. Quinn!»

Die Stimme schnellte nach dem jungen Fünften Offizier wie ein Lasso.

«Sir!«Er eilte über das Deck, in seinem Gesicht arbeitete es, als er überlegte, was er falsch gemacht habe.

Pears betrachtete ihn grimmig.»Freut mich, daß Sie wieder auf den Beinen sind.»

Quinn lächelte erfreut.»Danke, Sir.»

Pears nahm seinen täglichen Spaziergang wieder auf.»Sie werden mit Ihren Leuten heute nachmittag das Abschlagen eines Enterangriffs üben. Dann, wenn wir diesen Kurs beibehalten, gehen Sie mit den neuen Leuten in die Takelage zum Exerzieren. «Er nickte kurz.»Das wird Ihnen besser helfen als alle Pillen.»

Couzens rief aufgeregt:»Signal vom Flaggschiff, Sir!«Er blickte angestrengt durch das große Glas und runzelte die Stirn wie ein alter Mann, während er die bunten Flaggen an der Signalrah der Resolute entzifferte. »Setzt mehr Segel, Sir!»

Pears knurrte:»Alle Mann an Deck, Royals und Leesegel setzen!«Er ging nach achtern, wo jetzt der Master auftauchte, den Bolitho schroffen Tones sagen hörte:»Mehr Segel, das ist alles, was ihm einfällt, verdammt!»

Cairns eilte herbei, als die Pfeifen die Freiwache auf ihre Stationen riefen.

«Klar zum Royals setzen! Enter auf!»

Cairns sah Bolitho und hob die Schultern.»Der Captain ist schlechter Laune, Dick. Wir setzen jeden Morgen den Kurs ab, aber ich weiß so wenig wie Sie, wo es hingeht. «Er vergewisserte sich, daß Pears nicht in Hörweite war.»Es war doch sonst immer seine Art, uns die Aufgaben zu erklären, seine Ansicht mit uns zu erörtern. Doch wie es scheint, hat unser Admiral eine andere Auffassung.»

Bolitho dachte an des Admirals jugendlichen Enthusiasmus. Vielleicht war Pears schon zu alt und stand den Dingen etwas fern?

Allerdings lag nichts Altes in seiner Stimme und in seinen Augen, als er jetzt schrie:»Mr. Cairns! Treiben Sie die Leute nach oben, lassen Sie sie auspeitschen, wenn es nicht anders geht. Ich will mich nicht noch einmal vom Flaggschiff ermahnen lassen!»

Es wurde Mittag, bis die Royals und die großen, Fledermausflügeln ähnlichen Leesegel gesetzt waren. Das Flaggschiff hatte ebenfalls alles Tuch gesetzt und wurde fast begraben unter der ungeheuren Segelpyramide.

Probyn löste Bolitho ohne seinen sonstigen Sarkasmus ab. Er bemerkte nur:»Ich sehe keinen Sinn in der ganzen Geschichte. Tag für Tag dasselbe, ohne e in Wort der Erklärung. Das wird allmählich unheimlich!»

Zwei weitere Tage sollten jedoch verstreichen, ehe jemand etwas über ihr Ziel erfuhr.

Konteradmiral Coutts kleines Geschwader behielt zunächst den südlichen Kurs bei und drehte dann nach Südosten, um bei dem jetzt günstigeren Wind Cape Fear in genügendem Abstand zu umrunden, dieses Kap mit dem so treffenden Namen: Angst.

Bolitho war gerade abgelöst worden, als er völlig unerwartet zum Kommandanten befohlen wurde.

Es fand jedoch keine Konferenz statt, der Kommandant saß allein an seinem Schreibtisch. Sein Rock hing über der Stuhllehne, Halstuch und Hemd hatte er geöffnet.

Bolitho wartete. Kapitän Pears wirkte ruhig, es schien sich also nicht um die Erteilung einer Rüge zu handeln für etwas, das er getan oder nicht getan hatte.

Schließlich blickte Pears hoch.»Der Master und jetzt auch der Erste Offizier kennen unseren Auftrag. Sie werden es seltsam finden, daß ich Ihnen jetzt Einzelheiten anvertraue, noch bevor die anderen Offiziere unterrichtet sind, aber unter den gegebenen Umständen halte ich es für angebracht. «Er nickte in Richtung eines Stuhles.»Nehmen Sie Platz.»

Bolitho setzte sich, plötzlich erregt durch Pears Vorrede.

«In New York gab es vor unserem Auslaufen Aufregung und Unruhe. Sie spielten dabei keine geringe Rolle — «, Pears lächelte knapp — ,»was mich natürlich nicht wundert.»

30
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