Die Faithful reagierte trotz des Wechsels in ihrer Führung prächtig. Gischt sprühte über ihren Bug und floß in die Lee-Speigatten. Sie wendete wie ein Vollblutpferd, während die Segel sich donnernd wieder füllten.
Allmählich legte sie sich steif über und nutzte den Wind auf dem neuen Bug zu Frowds Zufriedenheit voll aus. Beim langen Dienst unter Bunce hatte er neben anderem auch gelernt, nichts für selbstverständlich hinzunehmen.
Sparke musterte das Schiff kritisch von der Heckreling aus und sagte:»Schicken Sie die Freiwache unter Deck, Mr. Bolitho!«Dann wandte er sich um und suchte nach der Trojan, die aber in einer Regenbö fast verschwunden war, kaum mehr als ein Schatten oder ein Pinselstrich auf einem unfertigen Gemälde.
Schließlich ging er schlingernd zum Kajütsniedergang.»Ich bin unten, wenn Sie mich brauchen.»
Bolitho atmete langsam aus. Sparke war kein Wachoffizier mehr. Er war Kommandant geworden.
«Mr. Bolitho!»
Bolitho rollte in der ungewohnten, fremden Koje zur Seite und blinzelte in das Licht einer abgeschirmten Lampe. Es war Mids-hipman Weston, der sich über ihn beugte; sein Schatten stand riesengroß wie ein Geist an der Wand.
«Was ist los?»
Bolitho riß sich mühsam aus dem kostbaren Schlaf. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen, seine Kehle schmerzte von der schlechten Luft in der geschlossenen Kammer.
Weston beobachtete ihn.»Der Zweite Offizier bittet Sie an Deck, Sir. «Bolitho schwenkte die Beine über den Kojenrand und prüfte des Schoners Bewegungen. Es muß bald Morgendämmerung sein, dachte er, und Sparke ist schon auf. Das war seltsam, da er gewöhnlich das Wachegehen sowie routinemäßige Kursänderungen Bolitho und Frowd überließ. Weston sagte nichts, und Bolitho wollte ihn nicht ausfragen, denn das hätte dem Fähnrich Zweifel und Unsicherheit verraten. Also kletterte er durch das Niedergangs-luk und fuhr zurück bei der Begrüßung durch nadelscharfen Gischt und eisigen Wind. Der Himmel war genauso wie er ihn zuletzt gesehen hatte: niedrig dahinjagende Wolken, keine Sterne zu erkennen. Er lauschte auf das Brausen in der Leinwand und das Knarren der Spieren, als der Schoner wie betrunken durch ein tiefes Wellental stampfte, so heftig, daß es ihn fast an Deck geschleudert hätte.
So ging es seit drei Tagen. Der Wind war ihr Feind geworden und hatte sie gezwungen, immer wieder über Stag zu gehen, viele Meilen zu segeln, um einen geringen oder oft gar keinen Fortschritt zu machen. Sparke war fast verzweifelt, als sie Tag für Tag mühsam nach Süden und dann in südwestlicher Richtung auf das Land und die Mündung des Delaware zu kreuzen mußten.
Selbst der disziplinierteste Seemann an Bord war inzwischen verdrossen, mürrisch und aufgebracht über Sparkes Benehmen. Er benahm sich unduldsam gegen jedermann und schien völlig besessen von der Aufgabe, mit der man ihn betraut hatte. Und nun die Aussicht auf Mißerfolg…
Bolitho überquerte die glitschigen Decksplanken und schrie gegen den Wind:»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»
Sparke fuhr herum und hielt sich dabei am Luvwant fest, das üblicherweise makellos sitzende Haar vom Wind zerzaust, als er ärgerlich antwortete:»Natürlich, verdammt noch mal! Sie haben lange genug geschlafen!»
Bolitho beherrschte sich nur mühsam, da ihm klar war, daß dieser laute Rüffel von den meisten an Deck gehört werden mußte. Angesichts der schlechten Laune des Zweiten Offiziers und seiner Besessenheit, das Schiff so schnell wie möglich und mit jedem Fetzen, den es tragen konnte, vorwärts zu treiben, konnte man nur abwarten.
Sparke sagte abrupt:»Der Steuermannsmaat schlägt vor, daß wir bis Mittag auf diesem Bug weitersegeln.»
Bolitho zwang sein Gehirn, sich ihren Zickzackkurs auf der Karte vorzustellen, und antwortete nach kurzem Zögern:»Mr. Frowd ist wohl der Ansicht, daß wir dann weniger örtlichen Schiffen begegnen, oder, noch schlimmer, unseren eigenen Patrouillen.»
«Mr. Frowd ist ein Idiot!«Sparke schrie wieder.»Und wenn Sie ihm beistimmen, sind auch Sie einer, verdammt noch mal!»
Bolitho schluckte und zählte die Sekunden wie nach dem Abfeuern eines Geschützes.
«Ich muß ihm beistimmen, Sir. Er ist ein Mann von großer Erfahrung.»
«Und ich nicht?«Sparke hob die freie Hand.»Machen Sie sich nicht die Mühe, mich überzeugen zu wollen. Ich bin fest entschlossen: Wir werden in einer Stunde wenden und den Treffpunkt direkt ansteuern. Das verkürzt die Zeit beträchtlich. Auf diesem Bug würden wir einen vollen Tag länger brauchen.»
Bolitho versuchte es noch einmal.»Der Feind weiß unsere genaue Ankunftszeit nicht, Sir, oder ob wir überhaupt kommen. Im Krieg besteht keine Möglichkeit zu so exakter Planung.»
Sparke hatte gar nicht zugehört.»Bei Gott, diesmal lasse ich sie nicht entkommen. Ich habe lange genug zugesehen, wie andere goldverbrämte Kommandos bekamen, nur weil sie jemanden in der Admiralität oder bei Hofe kannten. Ich nicht, Mr. Bolitho, ich habe mich hochgearbeitet, mir jede Sprosse der Leiter mühsam verdient!»
Er schien erst jetzt zu merken, was er sagte: daß er sein Innerstes preisgegeben hatte vor einem Untergebenen; deshalb fügte er sachlicher hinzu:»Lassen Sie alle Mann an Deck rufen! Sagen Sie Mr. Frowd, er soll seine Karten vorbereiten. «Er starrte Bolitho fest an, sein Gesicht wirkte im Dämmerlicht sehr blaß.»Ich habe keine Lust zu argumentieren, sagen Sie ihm auch das!»
«Haben Sie es mit Hauptmann d'Esterre besprochen, Sir?»
Sparke lachte.»Bestimmt nicht. Er ist ein Marineinfanterist, kein Seemann!»
In dem kleinen Raum neben der Kapitänskajüte, dem Kartenraum der Faithful, traf Bolitho auf Frowd und sah sich dessen Berechnungen und Koppelkurse auf der Karte an, ihre täglich zurückgelegten Strecken seit der Trennung von der Trojan.
Frowd bemerkte ruhig:»So kommen wir natürlich schneller hin, Sir, aber.»
Bolitho bückte sich wegen der niedrigen Decke und der heftigen Bewegungen des Schiffes tief.
«Aye, Mr. Frowd, es gibt immer ein Aber. Wir können nur auf unser Glück vertrauen.»
Frowd lächelte bitter.»Ich habe keine Lust, von meinen eigenen Landsleuten umgebracht zu werden, auch wenn es nur irrtümlich wäre, Sir.»
Eine Stunde später, mit allen Mann an Deck, schwang die Faithful durch den Wind und die schwere See nach Steuerbord und hielt nun Kurs auf das unsichtbare Land. Je ein Reff in Großsegel und Fock war alles, was Sparke trotz des schweren Wetters zuließ. Das Schiff krängte stark nach Lee, Brecher wuschen über Bug und Luvreling und brachen sich an dem Neunpfünder wie Brandung an einem Felsblock.
Es war noch immer äußerst kalt, und das dürftige Essen, das der Koch unter diesen Verhältnissen zusammenbrauen konnte, war längst abgekühlt und nach dem gefährlichen Weg über das Oberdeck mit Salzwasser vermischt.
Als es heller wurde, schickte Sparke einen Ausguck nach oben mit der Weisung, alles zu melden, auch wenn es ein treibender Balken sei.
Bolitho beobachtete den ganzen Vormittag über Sparkes steigende Nervosität, während der Schoner zügig in Richtung Westen stampfte. Nur einmal sichtete der Ausguck ein anderes Segel, aber es war im Gischt verschwunden, bevor er Einzelheiten ausmachen oder den Kurs des fremden Schiffes bestimmen konnte.
Stockdale blieb fast ständig in Bolithos Nähe; seine Körperkraft kam bei den seemännischen Arbeiten wie Spleißen von zerschlissenem Tauwerk oder beschädigten Trossen allen zugute.
Dann traf sie ein Schrei aus dem Vortopp so heftig wie ein unerwarteter Schuß:»Land in Sicht — rechts voraus!»
Die Leute vergaßen sofort alles Ungemach, als sie durch den Vorhang von Regen und Gischt nach dem gemeldeten Land Ausschau hielten.
Sparke hing mit seinem Fernglas in den Wanten, alle Würde vergessend, während er wartete, bis der Schoner einen steilen Wellenkamm erstieg, um sein erhofftes Land zu erblicken.
Schließlich sprang er an Deck zurück und starrte Frowd triumphierend an.»Lassen Sie einen Strich abfallen. Das ist Cape Hen-lopen dort im Nordwesten!«Er konnte sich nicht zurückhalten.»Nun, Mr. Frowd, wie steht es jetzt mit Ihrer Vorsicht?»