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Anhang

Die unbekannte Geschichte des Orbit Hospitals

Für eine Serie, die 1957 anlief und sich bis zu diesem Band auf über eine viertel Million Wörter beläuft, hatte ›Sector General‹ einen sehr wackeligen Start. Hätte der verstorbene und schmerzlich vermißte Ted Carnell, der zu jener Zeit Herausgeber des britischen SF-Magazins New Worlds gewesen war, nicht dringend eine Lücke von 17 000 Wörtern zu füllen gehabt, die sich in der Novemberausgabe 1957 aufgetan hatte, dann wäre die erste Kurzgeschichte der Serie, Sector General, wohl niemals ohne einen drastischen literarischen Eingriff akzeptiert worden, der einer chirurgischen Totaloperation gleichkam.

Die Geburt der Idee zu Sector General war ein natürliches, wenn auch vielleicht etwas verfrühtes Ereignis — ich hatte erst seit knapp über vier Jahren professionell geschrieben, und noch immer zeigten sich einige Narben und Nahtstellen in meinem Werk. Doch schon in diesen frühen Lehrjahren hatte ich eine starke Vorliebe für Ärzte oder Extraterrestrier als Hauptpersonen meiner Geschichten, und nach und nach tauchten beide Typen in den gleichen Erzählungen auf. In der Corgi-Textsammlung The Aliens Among Us (Brüder im Kosmos) war zum Beispiel eine Geschichte mit dem Titel To Kill or Cure (Töten oder Heilen) enthalten. Sie handelte von den verzweifelten Bemühungen eines Militärarztes einer Rettungshubschrauberbesatzung, dem Überlebenden eines havarierten extraterrestrischen Raumschiffs medizinische Hilfe zu leisten. Deshalb war es nur natürlich, daß sich eine Geschichte über die Probleme von Menschen entwickelte, die eine große Anzahl von extraterrestrischen Patienten unter krankenhausähnlichen Bedingungen zu behandeln hatten, beziehungsweise über die Schwierigkeiten von Aliens, die ihrerseits Menschen medizinisch zu versorgen hatten.

Die Erzählung Sector General (Das Orbit Hospital) wies jedoch Mängel auf. Ted Carnell war der Meinung, ihr fehle eine zusammenhängende Handlung. Die Hauptperson, Dr. Conway, gerate lediglich von einer medizinischen Ausnahmesituation in die andere, ohne sein eigentliches Hauptproblem zu lösen — nämlich den inneren moralischen Konflikt, den der Militarismus des Monitorkorps — das für das reibungslose Funktionieren des Hospital verantwortlich war — auf der einen Seite und der stark ausgeprägte Pazifismus des medizinischen Personals auf der anderen Seite bei dem Arzt hervorrief. Außerdem hätte die ganze Geschichte wegen ihrer Episodenhaftigkeit Ähnlichkeit mit einer interstellaren ›Emergency Ward 10‹ — eine ausgesprochen kitschige Krankenhausserie, die zu jener Zeit im britischen Fernsehen lief. Diese Seifenoper mit meiner Erzählung zu vergleichen war zweifellos der rücksichtsloseste chirurgische Eingriff von allen! Carnell sagte des weiteren, daß ich ›efficient‹ in der Geschichte zweimal unterschiedlich geschrieben hätte und beide Male falsch. Es gab noch andere Fehler, die sich erst im nachhinein herausstellten, in den späteren Geschichten der Serie jedoch korrigiert wurden.

Aber Ted gefiel der Grundgedanke. Er sagte, die Idee mit dem riesigen Hospital im All sollte ich zumindest hin und wieder aufgreifen. Außerdem erzählte er mir, Harry Harrison habe in seinem Büro vorbeigeschaut und sich ein wenig über mich geärgert, weil ich ihm mit der Idee eines interstellaren Hospitals zuvorgekommen sei; denn Harry hatte eine Serie von vier oder fünf Geschichten mit genau dem gleichen Hintergrund geplant, in der Meinung, das sei ein völlig neuer Einfall. Zwar habe er immer noch vor, die Geschichten zu schreiben, sagte Ted, doch sein Enthusiasmus sei nun deutlich gedämpft.

Diese letzte Nachricht erschreckte mich fast zu Tode.

Zwar hatte ich Harry Harrison bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht persönlich kennengelernt, wußte aber ziemlich viel über ihn. Seit ich als blutjunger SF-Fan Rockdiver gelesen hatte, war er einer meiner Lieblingsautoren. Wie ich wußte, konnte er mit anderen Leuten ziemlich laut reden, wenn er erregt war, und wahrscheinlich stellte er eine wandelnde Deathworld (Die Todeswelt) auf zwei Beinen dar. Und plötzlich kam ich daher, ein SF-Fan und hauptberuflicher Autor, der noch immer grün hinter den Ohren war und tatsächlich die Frechheit besaß, seinen Enthusiasmus zu dämpfen. Doch Harry muß eine wirklich liebenswürdige und nicht nachtragende Seele sein, denn mir stieß nichts Furchtbares zu; wenigstens bis heute nicht.

Trotzdem muß es irgendwo eine andere Welt geben, in der er sich zuerst mit der Idee anfreundete und meinen Enthusiasmus dämpfte, und wo in den SF-Regalen der Buchläden eine Romanserie über ein interstellares Hospital von Harry Harrison steht. Wenn jemand eine transversale Zeitmaschine erfinden sollte, dann würde ich sie mir herzlich gerne für ein paar Stunden ausleihen, um mir diese Bücher kaufen zu können.

Die zweite Geschichte der Serie hieß Trouble With Emily (Probleme mit Emily), und mit ihr konnte sich Ted schon weit eher anfreunden. Erneut war Dr. Conway die Hauptperson — diesmal lastete ihm statt eines ausgeprägten Komplexes ein winziger Alien mit Psikräften auf den Schultern. Zudem stand ihm eine Mannschaft des Monitorkorps zur Seite, die ihm bei der Behandlung eines brontosaurierähnlichen Patienten half, den man Emily getauft hatte, weil einer der Korpsoffiziere ein Faible für die literarischen Werke der Bronte-Schwestern hatte.

Doch die Funktion des Monitorkorps — das neben seinen administrativen und polizeilichen Aufgaben auch dem Gesetz der galaktischen Föderation Geltung verschaffte, deren über sechzig intelligente Spezies im Mitarbeiterstab des Orbit Hospitals vertreten waren — mußte erklärt werden. Das Ergebnis war eine sehr lange Erzählung mit ungefähr 000 Wörtern, die zu jener Sector-General-Geschichte wurde, die es eigentlich nie gab.

In erster Linie stellte das Monitorkorps eine Polizeitruppe von interstellarer Größenordnung dar. Aber ich wollte nicht, daß es sich dabei um eine dieser üblicherweise skrupellosen, von Routine durchdrungenen und im Grunde von Dummheit geprägten Organisationen handelte, die einem so herrlich gelegen kommen, wenn ein idealistisch eingestellter Hauptdarsteller in einen moralischen Konflikt geraten soll. Conway gehörte zu den anständigen Burschen, und ich wollte, daß auch die Mitglieder des Monitorkorps anständige Burschen waren, die lediglich andere Vorstellungen davon hatten, welche Taten die besseren Werke hervorbringen.

Zu den Aufgaben der Monitore gehörten nicht nur interstellare Erkundungsflüge und das Knüpfen von Erstkontakten, sondern auch die Aufrechterhaltung des Föderationsfriedens — und diese Pflicht konnte, wenn es ihnen nicht gelang, die Kriegstreiber rechtzeitig aufzuhalten, durchaus zu einer Polizeiaktion führen, die von einer kriegerischen Handlung nicht mehr zu unterscheiden war. Das Monitorkorps zog allerdings bei weitem die psychologische Kriegsführung vor, deren Ziel es war, Gewalt auf oder zwischen Planeten zu verhindern oder wenigstens zu begrenzen. Wenn nun trotz der Bemühungen der Monitore ein Krieg ausbrach, dann überwachten sie die Wesen, die ihn führten, sehr genau.

Solche kriegerischen Wesen waren eher einer psychologischen als physiologischen Klassifikation zuzuordnen, und unabhängig von ihrer Spezies zählten sie zu der Kategorie, die für die meisten Probleme der Föderation verantwortlich war. Die Geschichte berichtete davon, wie sich das Monitorkorps zuerst bemühte, den Krieg zu beenden, und später versuchte, ihn wenigstens einzugrenzen. Conway und das Hospital kamen nur dann vor, wenn alles katastrophal schiefging und eine große Anzahl von terrestrischen und extraterrestrischen Verwundeten behandelt werden mußte. Der ursprüngliche Titel der Geschichte lautete Classification: Warrior.

Ted war jedoch nicht von seiner Behauptung abzubringen, die Geschichte wäre viel zu ernst, um in die Sector-General-Reihe eingefügt zu werden. Er ließ mich sämtliche Zusammenhänge mit dem Monitorkorps (das ich in Stellare Garde umtaufte), mit der Föderation, dem Hospital im galaktischen Sektor zwölf und Conway streichen. Die Geschichte erhielt den neuen Titel Occupation: Warrior (Der Krieger) und erschien in der Textsammlung The Aliens Among Us (Brüder im Kosmos), die auch in der englischen Ausgabe eine recht ordentliche Sector-General-Erzählung mit dem Titel Countercharm enthielt. Die beiden Geschichten erhoben jedoch nicht den Anspruch, miteinander etwas zu tun zu haben.

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