Doch im Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf — dessen rangniedrigster Angehöriger des ärztlichen Mitarbeiterstabs in jedem x-beliebigem planetarischen Hospital, das auf die Behandlung einer einzelnen Spezies spezialisiert war, noch als Führungskraft angesehen werden würde — war alles möglich. Eine hochqualifizierte Krankenschwester mit ausgeprägten Erfahrungen bei der Behandlung von Aliens konnte leicht in höhere Positionen aufsteigen und zu einer der besten Pathologinnen des Hospitals werden. Und ein Assistenzarzt, dem in seinem viel zu großen Kopf unkonventionelle Ideen herumspukten, konnte auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Conway seufzte und wollte Murchison streicheln und beruhigen, aber Naydrad hatte bereits alles für sie getan, was derzeit möglich war. Er konnte also nichts anderes machen, als sie zu beobachten und zu warten, wie sich ihr Zustand allmählich verschlechterte, bis er dem der Offiziere von der Tenelphi glich.
Mit etwas Glück sollten sie bald ins Orbit Hospital eingeliefert werden können, wo ihnen dank der vorhandenen technischen Einrichtungen und Forschungsmöglichkeiten eine angemessene medizinische Versorgung zuteil werden würde. Fletcher und Chen waren insofern glimpflich davongekommen, weil sich der Captain im Kontrollraum und der technische Offizier im Maschinenraum aufgehalten hatte, als die infizierten Offiziere der Tenelphi an Bord gebracht worden waren. Deshalb waren sie als letzte von der Krankheit befallen worden. Glücklicherweise war ihre körperliche Verfassung noch gut genug, um das Schiff führen zu können.
Oder etwa nicht…?
Auf dem Repeaterschirm breitete sich noch immer eine tiefe Schwärze aus, in der die Einstein und die Tenelphi zwischen den Sternen im Hintergrund nicht mehr zu erkennen waren. Doch mittlerweile sollte der Bildschirm eigentlich die unsichtbare Farbe der Hyperraumdimension zeigen. Plötzlich kam Conway der Gedanke, daß es für alle Beteiligten viel sinnvoller wäre, wenn er wenigstens versuchen würde, etwas für Chen und den Captain zu tun, anstatt seine Zeit bei Murchison mit Nichtstun zu verbringen.
„Würden Sie sich bitte einmal diesen Patienten ansehen, mein Freund“, sagte Prilicla, wobei er mit einem seiner Fühler auf einen der erkrankten Offiziere zeigte, „und den dort drüben? Ich spüre, daß sie bei Bewußtsein sind und beruhigender Worte von einem Mitglied ihrer eigenen Spezies bedürfen.“
Zehn Minuten später befand sich Conway im Hauptschacht und zog sich in Richtung Kontrollraum. Als er ihn betrat, hörte er, wie sich der Captain und der technische Offizier gegenseitig Zahlen zuriefen, unterbrochen von häufigen Pausen für Wiederholungen und Nachprüfungen. Fletchers Gesicht war rot angelaufen und tropfte vor lauter Schweiß. Seine Augen tränten.
Und so, wie er blinzelnd und zwinkernd auf die Displays seines Steuerpults blickte und die Ziffern ablas, schien sein deliriumähnlicher Zustand die Form einer unbeugsamen Berufsbesessenheit angenommen zu haben, während Chen, der nicht viel besser aussah, von dem für ihn ungewohnten Platz an der Instrumententafel des Astronavigators aus antwortete. Conway betrachtete die beiden mit fachmännischem Blick, und ihm gefiel gar nicht, was er sah.
„Sie brauchen Hilfe“, sagte er mit fester Stimme.
Fletcher sah ihn mit rotumrandeten und tränenden Augen an und entgegnete müde: „Ja, Doktor, aber bestimmt nicht Ihre. Sie haben ja gesehen, was mit der Tenelphi passiert ist, als der medizinische Offizier versucht hat, damit zu fliegen. Kümmern Sie sich einfach um Ihre Patienten, und lassen Sie uns in Ruhe.“
Chen wischte sich den Schweiß vom Gesicht und sagte entschuldigend: „Was der Captain zu sagen versucht, Doktor, ist, daß er Ihnen nicht in fünf Minuten beibringen kann, wofür er fünf Jahre intensivster Ausbildung gebraucht hat. Und an der Verzögerung für den Sprung in den Hyperraum sind wir selbst schuld, weil es beim erstenmal gleich richtig klappen muß, falls wir für einen zweiten Versuch nicht fit genug sein sollten und in einem falschen galaktischen Sektor materialisieren. Dem Captain tut sein schlechtes Benehmen bestimmt leid, aber er fühlt sich furchtbar mies.“
Conway lachte und erwiderte: „Ich nehme seine Entschuldigung gern an.
Ich hab mich übrigens gerade mit einem der Opfer von der Tenelphi über das unterhalten, was wir jetzt mit ziemlicher Sicherheit für eine der alten Grippearten halten. Zusammen mit den beiden anderen Mitgliedern eines Trupps, der zuerst an Bord des Wracks ging, gehört er zu den ersten, die an dem Virus erkrankt sind. Allmählich hat er jetzt wieder normale Temperatur, und die der anderen beiden fällt ebenfalls relativ schnell. Ich würde sagen, ein Ausbruch dieser siebenhundert Jahre alten Grippe kann mit unterstützenden Medikamenten durchaus erfolgreich verhindert werden, obwohl das Hospital wahrscheinlich darauf bestehen wird, uns alle eine Zeitlang unter Quarantäne zu stellen, sobald wir zurückgekehrt sind.
Jedenfalls ist der Offizier, mit dem ich gesprochen hab, der Astronavigator der Tenelphi“, fuhr er rasch fort, „und offen gesagt, ist er in weit besserer Verfassung als Sie beide. Sie brauchen doch Hilfe, oder?“
Fletcher und Chen sahen ihn an, als hätte er gerade ein Wunder vollbracht, als wäre auf irgendeine sonderbare Weise einzig und allein er für all die komplizierten Mechanismen verantwortlich, die die terrestrische Lebensform DBDG entwickelt hatte, um sich gegen Krankheiten zu schützen — was natürlich völlig lächerlich war. Er nickte ihnen zu und kehrte auf das Unfalldeck zurück, um den Astronavigator der Tenelphi in den Kontrollraum zu schicken. Seiner Ansicht nach würde jeder Kranke an Bord — natürlich mit Ausnahme der beiden immunen Lebewesen Prilicla und Naydrad — innerhalb von höchstens zwei Wochen vollständig wiederhergestellt und genesen sein. Vor allem aber würde er dann die Pathologin Murchison nicht mehr wie eine Patientin behandeln müssen.
DRITTER TEIL
Quarantäne
Unmittelbar nach der Rückkehr zum Orbit Hospital stellte man die Rhabwar mitsamt dem an Bord befindlichen terrestrischen Personal unter strenge Quarantäne und verweigerte der Besatzung den Zutritt zum Hospital. Conway hatte seit der Infektion an Bord weder mit den Besatzungsmitgliedern der Tenelphi noch mit denen des Ambulanzschiffs direkten körperlichen Kontakt gehabt und stand praktisch unter doppelter Quarantäne: Entweder steckte er in einer virusfreien Luftblase, die die Form eines Menschen hatte — im Raumanzug also —, oder er befand sich in einer Kabine, die man in aller Eile so umgebaut hatte, daß sie unabhängig von dem verseuchten Lebenserhaltungssystem des Ambulanzschiffs war.
Bei der die Gesundung der beiden Schiffsbesatzungen fördernden Behandlung traten keine wirklich ernsthaften Probleme auf, da Prilicla und Naydrad Conway dabei assistierten. Als Extraterrestrier waren Prilicla und Naydrad natürlich gegen terrestrische Krankheitserreger immun, und auf diese medizinische Tatsache bildeten sie sich nicht gerade wenig ein.
Conways Patienten sprachen auf die Behandlung entweder gut an oder befanden sich bereits auf dem Weg der Genesung, wenn auch in unterschiedlichen Stadien. Auch bei der Unterbringung der beiden Besatzungen gab es keine Schwierigkeiten — die Offiziere der Tenelphi hatte man auf dem Unfalldeck einquartiert, und das Personal des Ambulanzschiffs besaß schließlich eigene Kabinen. Trotzdem war die Rhabwar zeitweilig furchtbar überfüllt — und das oftmals ganze dreiundzwanzig Stunden am Tag.
Das eigentliche Problem war nämlich, daß auf der einen Seite praktisch jeder im Hospital arbeitende Terrestrier und Extraterrestrier einen Grund zum Besuch des Ambulanzschiffs zu finden versuchte, während auf der anderen Seite den Kranken der Zutritt zum Hospital verwehrt wurde.