Leicht zitternd haftete Dr. Prilicla mit seinen sechs zerbrechlichen Beinen, die an der Spitze mit Saugnäpfen versehen waren, an der Decke des Kontrollraums und sagte: „Immerhin könnte sich das als eine interessante berufliche Herausforderung erweisen, mein Freund.“
Die rollenden Schnalzlaute seiner melodischen cinrusskischen Sprache wurden zunächst von Conways Translator empfangen, dann zum gewaltigen Übersetzungscomputer im Zentrum des Hospitals übertragen und schließlich ohne merkbare Verzögerung als klang- und emotionsloses Terranisch wieder zu seinem Kopfhörer zurückgesendet. Wie nicht anders zu erwarten war, fiel seine Entgegnung freundlich, höflich und jeden Streit vermeidend aus.
Prilicla war ein sechsbeiniges, insektenartiges Wesen mit einem Ektoskelett und zwei schillernden, nicht ganz verkümmerten Flügelpaaren.
Diese Wesen besaßen hochentwickelte empathische Fähigkeiten. Nur auf seinem Heimatplaneten Cinruss, auf dem weniger als ein Achtel der Erdanziehungskraft herrschte, hatte eine Insektenspezies zu solcher Größe heranwachsen und mit der Zeit Intelligenz und eine fortschrittliche Zivilisation entwickeln können. Im Orbit Hospital allerdings befand sich Prilicla den größten Teil seines Arbeitstags in echter Todesgefahr.
Außerhalb seiner Unterkunft mußte er überall Schwerkraftneutralisatoren, sogenannte G-Gürtel, tragen, weil er unter dem Druck der Anziehungskraft, den die Mehrheit seiner Kollegen für normal hielt, regelrecht zermalmt worden wäre. Und wenn sich Prilicla mit irgend jemandem unterhielt, begab er sich sofort außer Reichweite seines Gegenübers, denn schon durch eine einzige gedankenlose Bewegung eines Arms oder Tentakels seines Gesprächspartners hätte ihm ein Bein abgerissen oder gar sein ganzer zerbrechlicher Körper zerstört werden können.
Natürlich wollte niemand im Krankenhaus Prilicla auf irgendeine Weise mutwillig verletzen, denn dazu war er bei allen viel zu beliebt. Durch seine empathischen Fähigkeiten war der kleine Cinrussker dazu gezwungen, zu allen freundlich zu sein und stets die passenden Worte zu finden, um die emotionale Ausstrahlung der Wesen in seiner näheren Umgebung für sich selbst so angenehm wie möglich zu gestalten.
Ganz anders verhielt es sich, wenn ihn seine dienstlichen Pflichten dazu zwangen, sich Schmerzempfindungen und heftigen Emotionen eines Patienten auszusetzen, und eine solche Situation konnte innerhalb der nächsten Minuten auftreten.
Conway drehte sich plötzlich zu Prilicla um und sagte: „Sie können Ihren leichten Schutzanzug tragen, aber halten Sie sich so lange von dem Wesen fern, bis wir Ihnen sagen, daß von ihm keine Gefahr ausgeht, sei es durch eine bewußte oder unbewußte Bewegung dieser Kreatur. Wir selbst sollten die schweren Anzüge anlegen, und zwar in erster Linie, weil sie einfach mehr Haken haben, an die wir unsere Diagnoseausrüstung hängen können.
Ich werde den Arzt der Torrance bitten, das gleiche zu tun.“
Eine halbe Stunde später schwebten Schiffsarzt Brenner, Murchison und Conway neben der Gestalt des gewaltigen Vogels, während Prilicla, der eine transparente Plastikblase trug, durch die allein sein knöcherner Unterkiefer und seine Beine hervorragten, neben der Schleuse ihres Rettungsschiffs trieb.
„Keine feststellbare emotionale Ausstrahlung, mein Freund“, berichtete der Empath.
„Das wundert mich nicht“, warf Murchison ein.
„Das Wesen könnte tot sein. Aber als wir es gefunden haben, lag die Körpertemperatur noch weit meßbar über dem durchschnittlichen Wert eines Körpers, der lebendig ist, es sei denn, sie waren zufällig von der schwarzen Substanz überzogen.
Die schwarze Substanz hielt auch chemischen Einwirkungen stand, allerdings nicht die Schalenstücke. Wenn man diese Splitter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen aussetzte, schienen die Ergebnisse darauf hinzudeuten, daß sie nicht unter exotischen Lebensbedingungen entstanden sind — also nicht in Atmosphären, die auf Methan, Ammoniak oder gar Chlor basieren. Die chemische Zusammensetzung der Stücke weist als Hauptbestandteil Kohlenwasserstoff aus, und sie reagieren auch nicht, wenn sie kurzzeitig einem sauerstoffreichen Gemisch ausgesetzt werden.“
„Erzählen Sie mir bitte die genauen Einzelheiten der Tests, die Sie durchgeführt haben“, bat Murchison, die plötzlich sehr sachlich und ungemein höflich klang, obwohl der Lieutenant das gar nicht bemerkte.
Conway gab Prilicla ein Zeichen näherzukommen, um die hauptberufliche Pathologin und den Amateurpathologen ihr Gespräch allein weiterführen zu lassen.
„Ich glaube nicht, daß sich der Patient bewegen kann“, sagte er zu Prilicla. „Ich weiß nicht einmal, ob er lebt. Lebt er?“
Priliclas Glieder zitterten, als er sich wappnete, eine verneinende Antwort zu geben, wobei er sogar ein ganz klein wenig unangenehm wurde. „Das ist eine irreführende Frage, mein Freund“, entgegnete er. „Alles, was ich sagen kann, ist, daß er nicht ganz tot zu sein scheint.“
„Aber Sie können doch auch die emotionale Ausstrahlung eines schlafenden oder in tiefer Bewußtlosigkeit befindlichen Gehirns wahrnehmen“, erwiderte Conway ungläubig. „Strahlt der Patient denn überhaupt keine Emotionen aus?“
„Nur in sehr geringen Maßen, mein Freund“, antwortete der noch immer zitternde Cinrussker, „aber sie sind zu schwach, als daß ich sie identifizieren könnte.
Der Patient ist sich seiner selbst nicht bewußt, und die kaum wahrzunehmenden Ausstrahlungen stammen nicht aus dem Schädelraum, sondern scheinen vielmehr vom gesamten Körper auszugehen. Einen solchen Eindruck hab ich noch nie gehabt, deshalb kann ich nicht einmal Vermutungen anstellen, da mir ausreichende Informationen oder Erfahrungen fehlen.“
„Wie ich Sie kenne, werden Sie selbstverständlich trotzdem Mutmaßungen anstellen“, bemerkte Conway lächelnd.
„Natürlich“, entgegnete Prilicla. „Es wäre möglich, die emotionale Ausstrahlung, die ich von der Hautoberfläche her bis in einigem Abstand darunter wahrnehmen kann, vielleicht damit zu erklären, daß sich das Wesen in tiefer Bewußtlosigkeit befindet, während gleichzeitig seine Nervenenden unaufhörlich von heftigen Schmerzen stimuliert werden.“
„Aber das würde bedeuten, Sie nehmen nur das an der Peripherie befindliche Nervengeflecht wahr, nicht aber das Gehirn“, sagte Conway.
„Das wäre ungewöhnlich.“
„Höchst ungewöhnlich sogar, mein Freund“, erwiderte der Empath.
„Das fragliche Gehirn mü ste von wichtigen Nervensträgen abgetrennt worden sein oder einen schwerwiegenden strukturellen Schaden erlitten haben.“
Kurz gesagt, dachte Conway, haben wir es wahrscheinlich mit einem Patienten zu tun, den irgend jemand längst aufgegeben hat.
II
Murchison und Brenner entnahmen nicht nur Proben aus dem Innern des Körpers, wobei sie einen sterilen Bohrer benutzten, sondern sammelten und kennzeichneten auch Späne von der Schale und der schwarzen Substanz, von denen der Patient überzogen war — richtiger gesagt, Murchison entnahm die Proben, während der Lieutenant die winzigen Öffnungen, die der Bohrer hinterließ, wieder verschloß. Conway kehrte mit Prilicla zum Rettungsschiff zurück, um die Unterkunft für den Patienten herzurichten, soweit dies aufgrund ihres begrenzten Wissens über dessen Erfordernisse möglich war — ein leergeräumtes Zimmer, groß genug, daß das Wesen hineinpaßte, mit Vorkehrungen, um es notfalls bändigen zu können, und mit einer auf Sauerstoff basierenden Atmosphäre. Kurz darauf kamen auch Murchison und Brenner wieder an Bord.
Brenner bekam nun zum erstenmal den leibhaftigen Inhalt des Raumanzugs der Pathologin zu sehen, und Prilicla begann sichtlich zu zittern.
Wenn sie nicht gerade von einem schweren Anzug mit einem eingepaßten, undurchsichtigen Sonnenfilter im Visier verdeckt war, dann wies die Pathologin Murchison eine Kombination physiologischer Merkmale auf, die es jedem männlichen terrestrischen Mitglied des Personals unmöglich machte, bei ihrem Anblick eine Haltung zu bewahren, die auch nur entfernt an kühle Gelassenheit erinnerte. Schließlich gelang es dem Lieutenant, seinen Blick von ihr abzuwenden, und er bemerkte Priliclas Zittern.