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In der Kabine roch es nach Sauerstoff, synthetischer Verschalung und nach Eau de Cologne. Don Kondor zog die Maschine hoch und lenkte sie mit gelassener Sicherheit über der Landstraße dahin. Dazu wäre ich jetzt nicht imstande, dachte Rumata etwas neidisch. Auf dem Hintersitz ließ der alte Budach ein friedliches Schmatzen im Schlaf hören.

»Anton«, sagte Don Kondor, »ich will … ich möchte … äh … ich möchte nicht taktlos sein, und glaube bitte nicht, ich will mich … äh … in deine persönlichen Angelegenheiten einmischen.«

»Ich höre«, sagte Rumata. Er hatte gleich erraten, wovon die Rede war.

»Wir sind Kundschafter«, sagte Don Kondor. »Und alles, was uns lieb und teuer ist, muß entweder auf der Erde oder in uns selbst sein. Damit man es uns nicht nehmen und als Geiseln gegen uns verwenden kann.«

»Sie sprechen von Kyra?« fragte Rumata.

»Ja, mein Junge. Wenn alles wahr ist, was ich über Don Reba in Erfahrung gebracht habe, so wird es gar nicht leicht oder ungefährlich sein, ihn unter Kontrolle zu halten. Du verstehst, was ich sagen will?«

»Ja, ich verstehe«, sagte Rumata. »Ich werde mir etwas einfallen lassen.«

Sie lagen nebeneinander in der Dunkelheit und hielten sich an den Händen. In der Stadt war es jetzt sehr still. Nur hie und da hörte man aus der Ferne das böse Wiehern und Stampfen von Pferden. Von Zeit zu Zeit verfiel Rumata in leichten Schlummer, wachte aber gleich wieder auf. Kyra hielt dann immer den Atem an, im Schlaf hatte er ihre Hand fest umklammert.

»Du bist wahrscheinlich sehr, sehr müde«, sagte Kyra leise. »Schlaf nur.«

»Nein, nein, erzähl, ich höre dir zu.«

»Du schläfst immer ein.«

»Ich höre trotzdem zu. Du hast schon recht, ich bin sehr müde, aber noch mehr habe ich Sehnsucht nach dir und nach deinen Worten. Ich will nicht schlafen. Erzähl nur, ich passe schon auf.« Dankbar rieb sie ihre Nase an seiner Schulter, küßte ihn auf die Wange und begann von neuem zu erzählen, wie unlängst am Abend der Sohn des Nachbarn von ihrem Vater zu ihr gekommen war. »Der Vater liegt. Sie haben ihn aus der Kanzlei gejagt und zum Abschied kräftig mit Stöcken geprügelt. In der letzten Zeit ißt er überhaupt nichts mehr, er trinkt nur. Blaugrau ist er geworden und ganz zittrig.« Außerdem sagte der Knabe noch, daß der Bruder wieder aufgetaucht sei, verwundet, aber fröhlich und betrunken, in einer neuen Uniform. Er gab dem Vater Geld, trank ein paar Gläser mit ihm und drohte dann wieder, daß er alle abschlachten wolle.

Er ist jetzt in weiß Gott was für einer Sonderabteilung Leutnant, schwor dem Heiligen Orden die Treue und wird bald geadelt werden. Der Vater ließ bitten, daß sie vorläufig auf keinen Fall nach Hause kommen solle. Der Bruder drohte ständig, sich mit ihr zu verwerfen, weil sie sich mit einem Edlen eingelassen habe, die rote Hexe …

Ja, dachte Rumata, nach Hause kann sie natürlich nicht mehr. Und auch hier kann sie auf keinen Fall bleiben. Wenn ihr etwas zustößt … Er stellte sich lebhaft vor, daß ihr etwas Übles geschähe, und es überlief ihn kalt bei dem Gedanken. »Schläfst du?« fragte Kyra.

Er fuhr leicht zusammen und öffnete seine krampfhaft umklammernde Hand.

»Nein«, sagte er halbwach. »Und was hast du noch getan?«

»Ich habe deine Zimmer aufgeräumt. Eine schreckliche Unordnung bei dir. Ich hab auch ein Buch gefunden, ein Werk von Vater Gur. Es handelt davon, wie ein edler Prinz ein schönes, aber wildes Mädchen aus den Bergen liebt. Sie ist wirklich eine Wilde und denkt, daß er ein Gott ist, aber sie liebt ihn trotzdem über alles. Dann werden sie getrennt, und sie stirbt aus Kummer.«

»Es ist ein gutes Buch«, sagte Rumata.

»Ich hab sogar geweint. Es ist mir die ganze Zeit vorgekommen, als ob es von dir und mir handelt.«

»Ja, es handelt von dir und mir, von uns beiden. Und überhaupt von allen Menschen, die einander lieben. Nur, uns beide wird man nicht trennen!«

Am sichersten wäre es auf der Erde, dachte er. Aber wie wird es dir dort gehen ohne mich? Und wie wird es mir hier gehen, allein? Man könnte Anka bitten, daß sie dort mit dir Freundschaft schließt. Aber wie werde ich hier ohne dich sein? Nein, zur Erde fliegen wir zusammen! Ich werde selbst das Raumschiff steuern, und du wirst neben mir sitzen, und ich werde dir alles erklären. Damit du keine Angst zu haben brauchst. Damit du die Erde gleich liebgewinnst. Damit du nie Sehnsucht bekommst nach deiner schrecklichen Heimat. Denn das ist ja gar nicht deine Heimat. Deine Heimat hat dich verstoßen. Und du bist tausend Jahre vor deiner Zeit geboren. Meine Gute, meine Teure, Opferbereite, Selbstlose … Menschen wie du wurden in allen Epochen der blutigen Geschichte unserer Planeten geboren. Reine, klare Seelen, die die Grausamkeit nicht verstehen und die keinen Haß kennen. Opfer. Nutzlose Opfer. Viel sinnloser noch als der Dichter Gur oder als Galilei. Denn Menschen wie du sind keine Kämpfer. Um Kämpfer zu sein, muß man hassen können, und gerade das könnt ihr nicht. Genauso, wie wir eben jetzt …

Rumata schlief wieder ein. Und im Traum sah er Kyra, wie sie am Rand eines flachen Daches des Sowjets stand, am Gürtel einen Degravitator. Und die spöttisch lustige Anka drängte sie ungeduldig auf einen eineinhalb Kilometer tiefen Abgrund zu … »Rumata«, sagte Kyra, »ich hab Angst!«

»Wovor, meine Kleine?«

»Immer schweigst du und schweigst. Mir ist unheimlich …« Rumata zog sie näher zu sich.

»Gut«, sagte er. »Dann werde ich also reden, und du hör mir aufmerksam zu: Weit, weit weg von hier, hinter dem großen Wald, steht eine drohende unzugängliche Burg. Dort wohnt der fröhliche, gute und heitere Baron Pampa, der allerbeste Baron in ganz Arkanar. Er hat eine Frau, eine schöne, freundliche Frau, die Pampa den Nüchternen sehr liebt und Pampa den Betrunkenen nicht ausstehen kann …«

Er verstummte und horchte gespannt. Er hörte das Stampfen einer Unzahl von Hufen auf der Straße und das laute Schnaufen vieler Menschen und Pferde. »Mir scheint, hier ist es. Was?« fragte eine grobe Stimme unter dem Fenster. »Mir scheint, ja …« – »Ha-a-alt!« Auf den Stufen der Freitreppe knallten die Absätze von Stiefeln, und unmittelbar darauf trommelten einige Fäuste gegen das Tor. Kyra erschrak und drückte sich eng an Rumata. »Warte, meine Kleine«, sagte er und warf die Decke von sich. »Das gilt mir«, sagte sie flüsternd, »ich habe es gewußt!« Rumata machte sich mit Mühe aus ihren Armen los und eilte zum Fenster. »Im Namen des Herrn!« brüllten sie unten. »Macht auf, wenn wir das Tor einschlagen, wird es euch schlecht ergehen!« Rumata schob den Vorhang ein wenig beiseite, und ins Zimmer huschte das tanzende Licht von Fackeln. Eine beträchtliche Menge von Reitern trampelte vor dem Haus herum, düstere Menschen in Schwarz mit spitzen Kapuzen auf dem Kopf. Rumata warf einen raschen Blick hinunter, dann schaute er sich den Fensterrahmen an. Der Rahmen war wie üblich fest im Mauerwerk verankert. Unten schlug man mit etwas Schwerem gegen das Tor. Rumata tastete in der Dunkelheit nach seinem Schwert und zerschlug mit dem Griff die Scheiben. Mit Geklirr ging ein Splitterregen nieder. »He, ihr da!« brüllte er hinunter. »Was ist los? Seid wohl lebensüberdrüssig, was?«

Die Schläge gegen das Tor verstummten.

»Immer machen sie Mist«, sagten sie unten halblaut. »Der Herr ist ja im Haus …«

»Und was geht das uns an?«

»Das geht uns so viel an, als daß er nämlich mit dem Schwert in der Hand unschlagbar ist …«

»Und dabei hieß es, er ist weggefahren und kommt nicht vor dem Morgen zurück.«

»Hast vielleicht Angst bekommen?«

»N-n-nein, wir fürchten uns nicht. Bloß ist gegen ihn nichts befohlen. Kein Auftrag, ihn zu töten …«

»Wir werden ihn fesseln, aufs Haupt schlagen und fesseln! He, wer fuchtelt dort mit den Speeren herum?«

»Daß er nur nicht uns aufs Haupt schlägt …«

»Nein, keine Angst. Alle sagen ja, er hat so eine Gewohnheit, nicht zu töten.«

»Ich erschlage euch wie junge Hunde«, sagte Rumata mit schrecklicher Stimme.

Von hinten drückte sich Kyra eng an ihn. Ihr Herz schlug wie toll, er konnte es hören. Unten gaben sie kreischende Befehle: »Schlagt das Tor ein, Brüder! Im Namen des Herrn!«

Rumata wandte sich um und blickte Kyra ins Gesicht. Sie schaute ihn an wie vor kurzem, mit Schrecken und Hoffnung im Blick. In ihren trockenen Augen blitzte der Widerschein der Fackeln. »Nun was denn, meine Kleine«, sagte er zärtlich. »Hast du etwa Angst? Doch nicht vor diesem Gesindel? Geh und zieh dich an. Wir haben hier nichts mehr verloren …« Hastig streifte er sein Metalloplasthemd über. »Ich werde sie verjagen, und dann fahren wir weg. Fahren wir zu Pampa.«

Sie stand beim Fenster und blickte hinunter. Rote Lichtpunkte liefen über ihr Gesicht. Unten dröhnte und krachte es. Rumatas Herz krampfte sich vor Mitleid und zärtlicher Liebe zusammen. – Ich verjage sie wie räudige Hunde, dachte er. Er bückte sich, um sein zweites Schwert zu suchen, doch als er sich wieder aufrichtete, stand Kyra nicht mehr am Fenster. In die Vorhänge verkrallt, sackte sie langsam zu Boden. »Kyra!« schrie er.

Ein Armbrustbolzen hatte ihr den Hals durchschlagen, ein zweiter steckte in der Brust. Er nahm sie in die Arme und trug sie aufs Bett. »Kyra …«, rief er leise. Sie gab ein kurzes Stöhnen von sich, und ihre Glieder wurden schlaff. »Kyra …«, sagte er. Sie antwortete nicht. Er blieb noch einen Augenblick über sie gebeugt stehen, dann nahm er seine Schwerter, ging langsam die Treppe hinunter ins Vorderhaus und wartete, bis das Tor nachgeben würde …

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