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»Nein, nein«, sagte Rumata. »Wir fügen niemandem Schaden zu.«

»Doch, Ihr schadet uns. Ihr flößt uns unbegründete Hoffnungen ein …«

»Wem?«

»Mir. Ihr habt meinen Willen geschwächt, Don Rumata. Früher habe ich mich nur auf mich selber verlassen, aber jetzt habt Ihr es so gemacht, daß ich Eure Kraft in meinem Rücken spüre. Früher habe ich jeden Kampf so geführt, als ob es mein letzter wäre. Aber jetzt bemerke ich, daß ich mich für andere Kämpfe schone, die die entscheidenden sein werden, weil Ihr daran teilnehmt … Geht weg von hier, Don Rumata, kehrt zurück zu Euch in den Himmel, und kommt nie mehr zurück. Oder aber gebt uns Eure Blitze oder wenigstens Euren eisernen Vogel oder zieht zumindest Euer Schwert und seid unser Anführer.«

Arata verstummte und griff wieder zu seinem Brot. Rumata blickte ihm dabei auf die Finger, an denen die Nägel fehlten. Don Reba hatte sie ihm zwei Jahre zuvor höchstpersönlich mit einer eigenen Spezialvorrichtung ausgerissen. Du weißt noch nicht alles, dachte Rumata. Du beruhigst dich noch mit dem Gedanken, daß nur du als einziger zur Niederlage verurteilt seist. Du weißt noch nicht, wie hoffnungslos deine ganze Sache ist. Du weißt noch nicht, daß der Feind nicht so sehr außerhalb deiner Soldaten zu suchen ist als in ihnen selbst. Möglicherweise gelingt es dir, den Schwarzen Orden zu beseitigen, und die Welle des Bauernaufstands trägt dich auf den Thron von Arkanar. Du machst die Schlösser der Feudalherrn dem Erdboden gleich, ertränkst die Barone in der Bucht, und das aufständische Volk erweist dir, dem großen Befreier, alle Ehren, und du wirst gut und weise sein – der einzige gute und weise Mensch in deinem ganzen Königreich, und in deiner Güte verteilst du Grund und Boden unter deinen Mitkämpfern, aber was soll deinen Mitkämpfern das Land ohne Leibeigene? Und das Rad beginnt wieder in die andere Richtung zu schwingen. Und es geht noch glimpflich ab, wenn du einen normalen Tod sterben kannst und nicht mitansehen mußt, wie aus den Reihen deiner treuen Mitkämpfer von gestern neue Grafen und Barone hervortreten. Das ist alles schon dagewesen, mein guter Arata, auf der Erde und auch auf deinem Planeten.

»Ihr schweigt?« fragte Arata. Er schob den Teller von sich und wischte mit dem Ärmel seiner Kutte die Brösel vom Tisch. »Ich hatte einmal einen Freund«, sagte er. »Ihr werdet wahrscheinlich von ihm gehört haben – Waga Koleso. Wir haben zusammen begonnen. Dann wurde er ein Bandit, ein finsterer König der Nacht. Ich habe ihm den Verrat nie verziehen, und er wußte das. Er hat mir dann noch viel geholfen – aus Furcht oder aus Eitelkeit –, aber so oder anders, er wollte nicht mehr umkehren: Er hatte seine eigenen Ziele. Vor zwei Jahren haben mich seine Leute an Don Reba ausgeliefert …« Er blickte auf seine verstümmelten Finger und ballte sie zur Faust. »Und heute in der Früh habe ich ihn im Hafen von Arkanar erwischt … In unserer Sache kann es keine halben Freundschaften geben. Ein halber Freund – das ist immer ein halber Feind!« Er erhob sich und zog seine Kapuze über die Augen. »Ist das Gold am selben Platz wie gewöhnlich, Don Rumata?«

»Ja«, sagte Rumata langsam. »Wie gewöhnlich.«

»Dann gehe ich. Ich danke Euch, Don Rumata.« Er ging fast unhörbar durch das Herrenzimmer und verschwand hinter der Tür. Unten im Vorhaus klirrten leise die Riegel.

Im »Besoffenen Bärenlager« war es verhältnismäßig sauber, man hatte den Boden sorgfältig gefegt und den Tisch kräftig geschrubbt, und in den Ecken lagen Büschel von Waldgräsern und Lavendel. Vater Kabani saß recht ordentlich auf einer Bank in der Ecke. Er war völlig nüchtern und ruhig, und seine gewaschenen Hände ruhten auf den Knien. Während sie warteten, bis Budach einschlief, unterhielten sie sich über alles mögliche. Budach, der neben Rumata am Tisch saß, verfolgte mit einem gütigen Lächeln das leichtsinnige Gespräch der edlen Dons und fuhr von Zeit zu Zeit heftig zusammen, wenn er gerade wieder eingenickt war. Seine hohlen Wangen glühten von der doppelten Dosis Tetraluminal, die man ihm unbemerkt ins Essen gemischt hatte. Der alte Mann war sehr erregt und konnte nur schwer in den Schlaf finden. Don Hug bog vor Ungeduld ein Kamelhufeisen unter dem Tisch hin und her, sein Gesicht bewahrte jedoch den Anschein fröhlicher Ungezwungenheit. Rumata zerbröselte ein Stück Brot und verfolgte mit müdem Interesse, wie Don Kondor langsam die Galle überlief. Der Staatssiegelbewahrer war überaus nervös, da er zur außerordentlichen Nachtkonferenz der zwanzig Negozianten zu spät gekommen war. Die Konferenz war dem Umsturz in Arkanar gewidmet, und er sollte den Vorsitz führen.

»Meine teuren Freunde!« sagte schließlich Dr. Budach mit klangvoller Stimme, erhob sich und fiel sogleich auf Rumata. Rumata faßte ihn vorsichtig um die Schultern. »Fertig?« fragte Don Kondor.

»Bis zum Morgen wird er nicht aufwachen«, sagte Rumata, nahm Budach in die Arme und trug ihn auf das Lager Vater Kabanis. Vater Kabani sagte neidisch:

»Um den Doktor kümmert man sich also, um den alten Kabani aber nicht. Nun schön, meine Herren!«

»Ich habe eine Viertelstunde Zeit«, sagte Don Kondor auf russisch. »Mir reichen auch fünf Minuten«, antwortete Rumata. Er konnte nur mit Mühe seine Gereiztheit verbergen. »Und ich habe Ihnen schon früher soviel darüber gesagt, daß auch eine Minute ausreicht. In voller Übereinstimmung mit der Basistheorie des Feudalismus«, sein wütender Blick traf Don Kondor genau in die Augen, »ist das ein ganz gewöhnliches Auftreten der Bürger gegen die Barone«, er lenkte seinen Blick nun auf Don Hug, »mündete aber dann in eine provokante Intrige des Heiligen Ordens und führte schließlich zur Umwandlung Arkanars in eine Basis feudal-faschistischer Aggression. Wir zerbrechen uns hier den Kopf und versuchen die komplizierte, widersprüchige und rätselhafte Figur unseres Lichten Adlers Don Reba in eine Reihe mit Richelieu, Oliver Necker, Tokugawa ledschasu und Monk zu zwängen – und er erweist sich als ein kleiner unbedeutender Strolch und Dummkopf. Er verriet und verkaufte alles, was ihm unter die Finger geriet, verfing sich in seinen eigenen Netzen, wurde von Todesängsten befallen und warf sich zu seiner Errettung dem Heiligen Orden in die Hände. In einem halben Jahr schneidet man ihm die Gurgel durch, der Orden aber bleibt. Die Folgen für die Küstenländer und schließlich für das ganze Reich wage ich einfach nicht mir vor Augen zu führen. Eins steht jedenfalls fest, unsere ganze zwanzigjährige Arbeit innerhalb der Grenzen des Reiches ist nun beim Teufel. Unter dem Heiligen Orden gibt es kein Zurück. Aller Voraussicht nach ist Budach der letzte Mensch, den ich retten kann. Sonst wird man keinen mehr retten können. Ich bin zu Ende!«

Don Hug zerbrach schließlich das Hufeisen und schleuderte die beiden Hälften in eine Ecke.

»Ja, das war eine arge Schlappe«, sagte er. »Aber vielleicht ist es ja gar nicht so schrecklich, Anton?« Rumata richtete nur einen kurzen Blick auf ihn. »Du hättest Don Reba wegschaffen müssen«, sagte plötzlich Don Kondor.

»Wie soll ich das verstehen, wegschaffen?« Im Gesicht Don Kondors breiteten sich rote Flecken aus. »Physisch!« sagte er scharf. Rumata setzte sich. »Das heißt umbringen

»Ja! Ja! Ja!!! Umbringen! Entführen! Vernichten! Zertrampeln! Handeln hättet ihr müssen und nicht euch beraten mit zwei Dummköpfen, die keinen blassen Dunst davon hatten, was da wirklich vorging.«

»Ich hatte auch keinen blassen Dunst!«

»Du hast es zumindest gefühlt.« Alle schwiegen beklommen.

»Irgend etwas wie das Gemetzel von Barkan?« fragte Don Kondor mit gedämpfter Stimme und blickte zur Seite. »Ja, so ungefähr. Nur besser organisiert.« Don Kondor biß sich auf die Lippen.

»Ihn jetzt noch wegzuschaffen, ist wohl schon zu spät?« fragte er. »Völlig sinnlos«, sagte Rumata. »Erstens wird man ihn auch ohne unser Zutun beseitigen, und zweitens ist das gar nicht mehr nötig. Er befindet sich jedenfalls ganz in meiner Hand.«

»Wie denn?«

»Er hat Angst vor mir. Er ahnt, daß hinter mir eine Macht steht. Er hat mir sogar Kollaboration angetragen.«

»So?« brummte Don Kondor. »Dann hat es keinen Sinn.« Don Hug verschluckte sich beinahe:

»Was ist mit euch, Genossen, meint ihr das alles im Ernst?«

»Was denn?« fragte Don Kondor.

»Nun, das alles … Umbringen, physisch wegschaffen … Was ist mit euch, habt ihr den Verstand verloren?«

»Der edle Don ist bis ins Mark erschüttert«, sagte Rumata leise. Don Kondor setzte seine Worte langsam und vorsichtig: »In außerordentlichen Umständen sind nur außerordentliche Mittel wirksam!«

Don Hug lenkte seinen Blick von einem zum andern, seine Lippen zitterten.

»Wi-i-i … wissen Sie, wohin Sie sich da verrennen?« brachte er mit Mühe hervor. »Verstehen Sie denn, wohin das führen kann?«

»Beruhige dich, bitte«, sagte Don Kondor. »Nichts wird passieren. Und jetzt lassen wir das. Was werden wir wegen des Ordens unternehmen? Ich schlage eine Blockade des Gebiets von Arkanar vor. Eure Meinung, Genossen? Und rasch bitte, ich bin in Eile.«

»Ich habe noch keine Meinung«, entgegnete Rumata. »Und Paschka noch weniger. Wir müssen uns mit der Kontrollstation beraten. Man wird sich umsehen müssen. Und in einer Woche kommen wir wieder zusammen und fassen einen Beschluß!«

»Einverstanden«, sagte Don Kondor und erhob sich. »Gehen wir!« Rumata lud sich Budach auf die Schultern und verließ die Hütte.

Don Kondor leuchtete ihm mit einer Laterne. Sie gingen zum Hubschrauber, und Rumata legte Budach auf den Rücksitz. Don Kondor verfing sich ein wenig in seinem Überwurf und fiel dann schwertklirrend auf den Führersitz.

»Können Sie mich nicht rasch nach Hause bringen?« fragte Rumata. »Ich möchte mich endlich mal ausschlafen.«

»Ja, ja«, brummte Don Kondor. »Nur rasch, bitte!«

»Ich komme sofort zurück«, sagte Rumata und eilte in die Hütte. Don Hug saß noch immer am Tisch, stierte vor sich hin und rieb sich das Kinn. Vater Kabani stand neben ihm und sagte: »So endet es dann immer, mein Freund. Du bemühst dich nach Kräften, gibst dein Bestes, und es geht doch schlecht aus …« Rumata raffte eilig seine Schwerter und den Fes zusammen. »Kopf hoch, Paschka«, sagte er zu Don Hug. »Laß nicht den Kopf hängen, wir sind bloß alle übermüdet und gereizt.« Don Hug wackelte mit dem Kopf.

»Schau, Anton«, sagte er. »So schau doch!… Von Onkel Sascha will ich nicht reden, der ist schon lange hier, den können wir nicht mehr ändern. Aber du …«

»Schlafen will ich, das ist alles«, sagte Rumata. »Vater Kabani, seien Sie so gut, nehmen Sie meine Pferde und führen Sie sie zu Baron Pampa. In ein paar Tagen werde ich ihn aufsuchen.« Draußen heulte sanft der Propeller auf. Rumata winkte mit der Hand und sprang mit einem Satz aus der Hütte. Im grellen Licht der Scheinwerfer des Hubschraubers sahen die gigantischen Verwachsungen des Farnkrauts und die weißen Baumstämme wunderlich und unheimlich aus. Rumata kletterte in die Kabine und schlug die kleine Tür zu.

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