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Die Gäste waren versammelt, Dona Okana aber war noch nicht erschienen. Um ein goldenes Imbißtischchen scharten sich wie auf einem Wandgobelin die Häupter der königlichen Garde, die wegen ihrer Duelle und Liebesabenteuer berühmt waren. Beim Trinken beugten sie sich graziös vor und streckten ihre dicken Hintern von sich. Neben dem Kamin kicherten dünnblütige Damen, die sich durch überhaupt nichts auszeichneten und die daher Dona Okana als Vertraute beigegeben waren. Sie saßen in einer Reihe auf kleinen, niedrigen Chaiselongues, und vor ihnen bewegten sich drei betagte Herren auf dünnen, unaufhörlich tänzelnden Beinen, berüchtigte Salonlöwen aus der Regierungszeit des vorigen Königs, die letzten Kenner längst vergessener Hofanekdoten. Alle wußten, daß ohne diese alten Herrn ein Salon kein Salon war. In der Mitte des Saales stand, die Stiefel breit gespreizt, Don Ripat, Leutnant der Grauen Galanterierotte – und ein kluger und verläßlicher Agent Rumatas. Er hatte einen prächtigen Schnurrbart und war völlig ohne Moral. Seine großen roten Hände in den Ledergürtel gesteckt, hörte er Don Tameo zu, der völlig konfus und umständlich ein Projekt zur Belebung des Handels auf Kosten der Bauern vorzutragen versuchte, und von Zeit zu Zeit richtete er seinen Schnurrbart auf Don Sera, der von Wand zu Wand tappte und offenbar eine Tür suchte. In einer Ecke saßen, wachsame Blicke werfend, zwei berühmte Porträtmaler und verschlangen einen Braten von der Größe eines mittleren Krokodils, und neben ihnen in der Fensternische saß eine ältere Frau in Schwarz – die Anstandsdame, die Don Reba Dona Okana beigegeben hatte. Mit unbeweglicher Miene blickte sie streng vor sich hin, nur manchmal fuhr sie unerwartet mit dem ganzen Körper nach vorn. Ein wenig abseits von den übrigen unterhielten sich eine Person königlichen Blutes und der soanische Botschaftssekretär beim Kartenspiel. Die königliche Person mogelte, und der Sekretär lächelte geduldig dazu. Im Salon war er der einzige Mensch, der sich mit etwas Ernsthaftem beschäftigte: Er sammelte Material für die laufende Bespitzelung durch die Diplomaten.

Die Gardeoffiziere an den vergoldeten Tischchen begrüßten Rumata mit lauten fröhlichen Rufen. Rumata nickte ihnen kameradschaftlich zu und ging von einem Gast zum andern. Er tauschte mit den alten Salonlöwen Verbeugungen aus, machte Dona Okanas Vertrauten ein paar Komplimente, worauf sie sofort auf die weiße Feder hinter seinem Ohr starrten, er klopfte der Person königlichen Blutes auf den schwabbeligen Rücken und wandte sich dann Don Ripat und Don Tameo zu. Als er an der Fensternische vorbeikam, fiel die Anstandsdame mit ihrem Oberkörper gerade wieder einmal nach vorn; sie strahlte einen starken Maischedunst aus. Als er Rumata erblickte, zog Don Ripat seine Hände aus dem Gürtel und schlug die Hacken zusammen, Don Tameo aber schrie mit lauter Stimme: »Sie sind es, mein Freund? Wie gut, daß Sie gekommen sind, ich hatte schon alle Hoffnung verloren … Wie ein Schwan mit gebrochenem Flügel, der seufzend zum Stern aufblickt … Ich hatte solche Sehnsucht … Und wäre nicht der hochliebenswürdige Don Ripat, ich wäre vor Gram schon gestorben!« Es war klar, Don Tameo hatte bis zum Mittagessen nüchtern bleiben wollen, es aber dann doch nicht ausgehalten. »Aber, aber!« wunderte sich Rumata. »Seit wann zitieren wir denn den Aufrührer Zuren?«

Don Ripat straffte sofort seinen Rücken und blitzte Don Tameo aus Raubtieraugen an.

»Ah, äh …«, brachte Don Tameo völlig verwirrt hervor. »Zuren? Ja, warum eigentlich? Ja, ja, also … im ironischen Sinn … Ich versichere Sie, edle Dons! Ja, wer ist denn dieser Zuren? Ein gemeiner, undankbarer Demagoge. Ich wollte bloß unterstreichen …«

»Daß Dona Okana noch nicht erschienen ist«, unterbrach ihn Rumata. »Und Sie haben ohne sie trinken müssen.«

»Genau das wollte ich unterstreichen.«

»Übrigens, wo ist sie denn?«

»Wir erwarten sie jeden Augenblick«, antwortete Don Ripat, verbeugte sich und ging weg.

Die Vertrauten der Dame des Hauses aber hatten alle den Mund gleich weit aufgerissen und starrten noch immer die weiße Feder an. Die alten Salonlöwen kicherten verschmitzt. Don Tameo bemerkte schließlich die Feder ebenfalls und begann zu zittern. »Mein Freund!« flüsterte er. »Was soll denn das? Wenn das Don Reba sieht … Zwar erwartet man ihn heute nicht, aber wer kann schon wissen …«

»Lassen Sie das«, sagte Rumata und blickte ungeduldig um sich. Er wollte alles so rasch wie möglich hinter sich bringen. Die Gardeoffiziere näherten sich schon mit den Bechern in der Hand.

»Sie sind so blaß!« flüsterte Don Tameo. »Ja, ich verstehe schon, die Liebe, die Leidenschaft … Aber, heiliger Micky! Der Staat geht doch vor … Und es ist ja schließlich gefährlich, sehr gefährlich … Eine Beleidigung der Gefühle Don Rebas …« In seinem Gesicht veränderte sich irgend etwas, und er begann unruhig zu trippeln, trat ein wenig zurück und ging dann im Rückwärtsgang hinaus, wobei er sich ununterbrochen verneigte. Die Gardeoffiziere umringten Rumata. Jemand reichte ihm einen vollen Becher.

»Auf die Ehre und den König!« rief einer der Offiziere. »Und auf die Liebe!« fügte ein anderer hinzu. »Zeigen Sie ihr nur, was die Garde kann, edler Don«, sagte ein Dritter.

Rumata nahm den Becher und erblickte plötzlich Dona Okana. Sie stand in der Tür, wedelte leicht mit dem Fächer und wiegte schmachtend ihre Schultern. Ja, sie war hübsch. Aus der Entfernung war sie sogar schön. Zwar war sie so gar nicht nach dem Geschmack Rumatas, aber sie war unzweifelhaft hübsch, dieses dumme, sinnliche Huhn! Große blaue Augen ohne einen Schimmer von Verstand oder Wärme, ein weicher, erfahrener Mund, ein üppiger, mit Geschick und Sorgfalt entblößter Körper … Ein Gardeoffizier hinter Rumata konnte sich offenbar nicht mehr beherrschen und schnalzte laut mit der Zunge. Rumata streckte ihm, ohne sich umzuwenden, seinen Becher hin und ging mit langen Schritten auf Dona Okana zu. Alle Anwesenden im Salon wandten ihre Augen ab und begannen geschäftig über Belanglosigkeiten zu sprechen.

»Ihre Schönheit ist blendend«, murmelte Rumata, verbeugte sich tief und rasselte mit den Schwertern. »Erlauben Sie mir, zu Ihren Füßen zu liegen … Wie ein Windspiel zu Füßen einer gleichgültigen Schönen …«

Dona Okana versteckte ihr Gesicht hinter dem Fächer und blinzelte kokett hervor. »Sie sind sehr kühn, edler Don«, sagte sie. »Wir armen Provinzfräulein sind einfach nicht fähig, solchen Stürmen zu widerstehen …« Sie hatte eine tiefe, kratzende Stimme, die manchmal ganz versagte. »O weh, was bleibt mir denn über, als die Tore meiner Festung zu öffnen und den Sieger einzulassen …« Vor Wut und Scham mit den Zähnen knirschend, verbeugte sich Rumata noch tiefer. Dona Okana ließ ihren Fächer sinken und rief laut:

»Edle Dons, unterhalten Sie sich weiter! Ich komme mit Don Rumata gleich wieder zurück! Ich habe ihm versprochen, ihm meine neuen irukanischen Teppiche zu zeigen …!«

»Bleiben Sie uns nicht lange fern, zauberhafte Schöne!« blökte einer der Greise.

»Herrliche Frau!« rief ein anderer Greis mit süßlicher Stimme. »Eine Fee!«

Die Gardeoffiziere ließen ihre Schwerter klirren. »Das muß man ihm lassen, Geschmack hat er keinen schlechten …«, sagte die Person königlichen Bluts. Dona Okana zog Rumata am Ärmel hinter sich her. Im Gang hörte Rumata noch, wie Don Sera in beleidigtem Ton erklärte: »Ich sehe nicht ein, warum ein edler Don sich nicht irukanische Teppiche anschauen sollte …«

Am Ende des Gangs blieb Dona Okana plötzlich stehen, faßte Rumata um den Hals und saugte sich mit einem heiseren Stöhnen, das offenbar die hervorbrechende Leidenschaft andeuten sollte, an seinen Lippen fest. Rumata hielt den Atem an. Die Schöne strahlte ein scharfes Aroma von ungewaschenem Körper und irukanischen Parfüms aus. Ihre Lippen waren brennendheiß, feucht und klebrig von Süßigkeiten. Er versuchte sich mit aller Kraft zu überwinden und den Kuß zu erwidern, was ihm offensichtlich auch gelang, denn Dona Okana stöhnte noch einmal laut auf und ließ sich mit krampfhaft geschlossenen Lidern in seine Arme fallen. Das schien eine ganze Ewigkeit zu dauern. Na, ich werd es dir schon geben, du Schlange, dachte Rumata und drückte sie kräftig. Irgend etwas begann zu krachen, das Korsett – oder auch die Rippen –, die Schöne winselte jämmerlich, öffnete verwundert die Augen und zappelte kraftlos, um sich zu befreien. Rumata ließ sie eilig los. »Draufgänger …«, sagte sie, schweratmend und ganz hingerissen. »Du hättest mich beinahe erdrückt …«

»Ich brenne vor Liebe«, murmelte er schuldbewußt. »Ich auch. Ich habe schon so auf dich gewartet! Gehen wir doch! Schnell …«

Sie zog ihn hinter sich her, durch irgendwelche eisigkalte Zimmer. Rumata griff nach seinem Tuch und wischte sich heimlich die Lippen ab. Nun erschien ihm dieses ganze Theater schon völlig aussichtslos. Es muß sein, dachte er. Was man nicht alles über sich ergehen läßt!… Mit Worten kommst du hier nicht davon. Heiliger Micky, warum sie sich hier am Hof nie waschen? Und dann dieses eigentümliche Temperament … wenn wenigstens Don Reba dazukäme … Sie zerrte ihn schweigend hinter sich her, mit zielgerichteter Kraft, wie die Ameisen tote Larven ziehen. Rumata kam sich vor wie ein Idiot und murmelte irgendwelchen werbenden Unsinn von »flinken Füßchen« und »rosaroten Lippen«, Dona Okana aber kicherte nur in einem fort. Sie beförderte ihn in ein überheiztes Boudoir, das übrigens wirklich ganz mit Teppichen behangen war, warf sich auf das riesige Bett und stierte ihn mit ihren feuchten, hyperästhetischen Augen an. Rumata erstarrte zur Säule. In dem Boudoir roch es eindeutig nach Wanzen. »Du bist schön!« flüsterte sie laut. »Komm schon her zu mir. Ich hab so lange gewartet!« Rumata wandte die Augen ab, ihm wurde übel. Über sein Gesicht liefen prickelnd ein paar Schweißperlen. Ich kann nicht, schoß es ihm durch den Kopf. Zum Teufel mit all den Informationen … Eine Füchsin ist sie … Eine Äffin … Das ist schon wider die Natur, das ist schmutzig. Dreck ist zwar besser als Blut, aber das hier ist noch viel schlimmer als Dreck.

»Was zögern Sie denn, edler Don?« schrie Dona Okana plötzlich mit keuchender Stimme. »Kommen Sie doch, ich warte!«

»Geh zum Teufel …«, entfuhr es Rumata zwischen den Zähnen. Sie sprang auf und eilte zu ihm hin. »Was ist mit dir? Bist du betrunken?«

»Ich weiß nicht«, preßte er heraus. »Es ist schwül hier.«

»Vielleicht sollte ich eine Tasse bestellen?«

»Was denn für eine Tasse?«

»Ach was … Das vergeht …« Ihre Finger zitterten vor Ungeduld, als sie sich daranmachte, seine Weste aufzuknöpfen. »Du bist schön …«, murmelte sie atemlos.

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