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»Aber du bist ja schüchtern wie ein Neuling. Das hätte ich von dir nie vermutet … Es ist aber sehr reizvoll, ich schwöre es dir beim heiligen Bara …!«

Wohl oder übel mußte er sie nun bei den Händen nehmen. Er blickte sie von oben herab an und sah ihr lackglänzendes, unordentliches Haar, ihre runden, nackten Schultern, über die kleine Klümpchen Puder kollerten, und ihre winzigen rosaroten Ohren. Abscheulich, dachte er. Daraus wird nichts. Aber schade, sie muß doch einiges wissen … Don Reba plaudert im Schlaf … Er nimmt sie zuden Verhören mit, und sie liebt Verhöre … Ich kann nicht … »Nun?« fragte sie gereizt.

»Ihre Teppiche sind sehr hübsch, Dona«, sagte er laut. »Aber ich muß jetzt gehen.«

Zuerst verstand sie nicht, dann aber verzerrten sich ihre Züge. »Wie kannst du es wagen?« flüsterte sie böse, aber er hatte schon mit den Handflächen die Tür ertastet, schlüpfte auf den Korridor und machte sich rasch aus dem Staub. Von heut an wasche ich mich nicht mehr, dachte er. Hier muß man ein Dreckfink sein, aber kein Gott!

»Du Klepper!« schrie sie ihm nach. »Du elendes altes Weib! Ins Loch mit dir …!«

Rumata riß heftig ein Fenster auf und sprang in den Hof hinab. Eine Zeitlang stand er dann unter einem Baum und saugte gierig die kalte Luft ein.

Dann fiel ihm die dumme weiße Feder ein. Er riß sie wütend herunter und zertratsie unter seinem Stiefel. Bei meinem Freund Paschka wäre auch nichts herausgekommen, dachte er. Bei niemandem. (Bist du überzeugt? – Ja. – Dann taugt ihr eben nichts. – Aber mir wird übel davon! – Dem Experiment sind deine Gefühle egal. Wenn du nicht kannst, dann laß die Finger davon! – Ich bin doch kein Tier! – Wenn es das Experiment erfordert, muß man zum Tier werden. – Das Experiment kann so etwas nicht fordern. – Wie du siehst, es kann! – Aber dann …! – Was, dann? – Er wußte nicht, was dann folgen würde. – Dann … Dann … Nun gut, sagen wir halt, ich bin ein schlechter Historiker. – Er zuckte mit den Schultern – Versuchen wir, ein besserer zu werden. Lernen wir, uns in ein Schwein zu verwandeln …)

Es war Mitternacht, als er bei seinem Haus anlangte. Er löste nur die Spangen an seinem Fes, warf sich, ohne sich auszuziehen, auf einen Diwan im Salon und schlief ein wie ein Toter. Er wurde geweckt von dem unwilligen Schreien Unos und einem gutmütigen Baßgebrüll.

»Mach dich fort, geh weg, du kleines Biest, ich reiß dir die Ohren aus!«

»Der Herr schläft, sag ich Euch!«

»Fort! Kriech mir nicht um die Beine!«

»Kein Einlaß, ich sag es Euch!«

Die Tür sprang krachend auf, und ins Zimmer stürzte, riesenhaft wie das wilde Untier Pech, Don Bau, Baron Pampa, rotwangig, weiße Zähne, hängender Schnurrbart, in einem keck aufs Ohr gezogenen runden Samthut und einem teuren himbeerfarbenen Überwurf, unter dem deutlich ein Kupferpanzer durchschimmerte. Er schleppte Uno hinter sich her, der sich krampfhaft an das rechte Hosenbein des Barons klammerte.

»Baron!« rief Rumata und ließ seine Beine vom Sofa herabgleiten. »Wie sind Sie in der Stadt aufgetaucht, mein Freund? Uno, laß den Baron in Ruhe!«

»Ein selten anhänglicher Bursche«, sagte der Baron und näherte sich Rumata mit ausgebreiteten Armen. »Der ist in Ordnung. Wieviel wollen Sie für ihn? Ja, aber darüber später … Lassen Sie sich umarmen!«

Sie umarmten einander. Vom Baron ging ein angenehmer Duft nach staubiger Landstraße, Pferd und einem gemischten Bukett von verschiedenen Weinen aus.

»Ich sehe, Sie sind auch völlig nüchtern«, sagte er mit Trauer in der Stimme. »Übrigens, Sie sind ja immer nüchtern, Sie Glücklicher!«

»Nehmen Sie doch Platz, mein Freund«, sagte Rumata. »Uno! Bring uns Estorischen, aber nicht zu wenig!«

»Keinen Tropfen!«

»Keinen Tropfen Estorischen? Uno, laß den Estorischen, bring uns Irukanischen!«

»Überhaupt keinen Wein!« sagte der Baron kummervoll. »Ich trinke nicht.« Rumata setzte sich.

»Was ist passiert?« fragte er besorgt. »Sind Sie nicht gesund?«

»Gesund bin ich wie ein Büffel. Aber diese verdammten Familienszenen … Kurz gesagt, ich habe mich mit der Baronin zerstritten … Und jetzt bin ich hier.«

»Gestritten mit der Baronin? Sie?! Jetzt machen Sie aber einen Punkt, Baron, was sind das für seltsame Späße?«

»Stellen Sie sich vor. Ich komme mir selber wie umnebelt vor. Hundertzwanzig Meilen bin ich wie im Nebel hergeritten!«

»Mein Freund«, sagte Rumata, »wir machen uns gleich auf und reiten zurück nach Schloß Bau.«

»Aber mein Pferd hat noch nicht verschnauft«, entgegnete der Baron. »Und dann, ich will sie bestrafen

» Wen?«

»Die Baronin, hol’s der Teufel! Bin ich ein Mann oder nicht?! Sehen Sie, sie ist unzufrieden mit Pampa – dem – Betrunkenen, soll sie nur schauen, wie er nüchtern ist! Lieber verfaule ich hier bei ordinärem Wasser, als ins Schloß zurückzukehren …« Uno maulte mürrisch:

»Sagt ihm, er soll nicht so mit den Ohren wackeln.«

»Scher dich weg, du kleiner Wolf!« zeterte der gutmütige Baß des Barons. »Und bring mir Bier! Ich hab geschwitzt und muß mich wieder auffüllen.«

Im Laufe einer halben Stunde füllte der Baron sich wieder auf und plauderte dabei munter drauflos. In den Intervallen zwischen den Schlucken berichtete er Rumata von seinen Unannehmlichkeiten. Er verfluchte des öfteren »diese Saufbolde, meine Nachbarn, die mein Schloß überfallen haben. Unter dem Vorwand, mit mir auf die Jagd zu gehen, kommen sie schon am frühen Morgen – und ehe man sich’s versieht, sind sie schon alle betrunken und zerschlagen die Möbel. Übers ganze Schloß fallen sie her, alles besudeln sie, verärgern die Dienerschaft, verderben die Hunde und geben dem jungen Baron ein abscheuliches Beispiel. Dann fahren sie alle nach Hause, und du, stocksteif betrunken, bleibst mit der Baronin allein zurück, Auge in Auge …«

Am Ende seiner Geschichte geriet der Baron ganz außer sich und war sogar schon nahe daran, Estorischen zu verlangen, riß sich aber wieder zusammen und sagte:

»Rumata, mein Freund. Gehen wir weg von hier. Sie haben viel zu teure Weine! Gehen wir …!«

»Aber wohin?«

»Das ist doch ganz egal, wohin! Nun, vielleicht in die Graue Freude

»Hm …«, machte Rumata. »Und was werden wir tun in der Grauen Freude

Eine Zeitlang schwieg der Baron und zog sich widerspenstig am Bart.

»Also wie?« sagte er schließlich. »Seltsame Fragen stellen Sie. Na, wir sitzen einfach da, plaudern ein wenig …«

»In der Grauen Freude ?«fragte Rumata zweifelnd. »Ja. Ich verstehe Sie«, sagte der Baron. »Das ist scheußlich … Aber trotzdem, gehen wir. Hier bin ich die ganze Zeit versucht, Estorischen zu verlangen …!«

»Mein Pferd!« sagte Rumata und ging ins Herrenzimmer, um seinen Sender zu holen.

Einige Minuten später ritten sie Seite an Seite in einem engen Gäßchen dahin, eingehüllt von undurchdringlicher Dunkelheit. Der Baron hatte seine gute Laune wiedergefunden und erzählte mit lauter Stimme davon, was sie vorgestern für einen Rieseneber erlegt hätten, dann über die erstaunlichen Eigenschaften des jungen Barons und von dem Wunder im Kloster des heiligen Tukky, wo der Abt einen sechsfingrigen Knaben aus seiner Hüfte gebar … Dabei vergaß er auch seine Späße nicht. Von Zeit zu Zeit heulte er wie ein Wolf, sang Wiegenlieder und klopfte mit dem Peitschenstiel gegen geschlossene Fensterläden.

Als sie bei der Grauen Freude angelangt waren, hielt der Baron sein Pferd an und versank in tiefes Nachdenken. Rumata wartete. Aufdringlich leuchteten die schmutzigen Fenster der Schenke, die Pferde scharrten an den Balken, die stark geschminkten Mädchen, die auf einer Bank unter dem Fenster saßen, stritten sich laut herum, und zwei Hausburschen rollten unter großer Anstrengung ein riesiges Faß mit Saliterflecken durch die Tür. Der Baron sagte kummervoll:

»Allein …! Es ist schrecklich, daran zu denken, die ganze Nacht vor mir, und allein! Und auch sie ist dort allein …!«

»Seien Sie nicht so traurig, mein Freund«, sagte Rumata. »Bei ihr ist doch der junge Baron, und bei Ihnen bin ich.«

»Das ist ganz was anderes«, sagte der Baron. »Sie haben ja keine Ahnung, mein Freund. Sie sind viel zu jung und leichtsinnig … Ihnen macht es, mir scheint, sogar Vergnügen, diese Schlampen da anzuschauen …«

»Und warum nicht«, entgegnete Rumata und betrachtete den Baron neugierig. »Für mich sind das recht passable Mädchen.« Der Baron wackelte mit dem Kopf und lachte sarkastisch. »Da, die dort drüben steht«, sagte er laut, »die hat einen Hängehintern. Und die, die sich jetzt kratzt, die hat überhaupt keinen … Kühe sind das, mein Freund, im besten Fall sind das Kühe … Denken Sie doch an die Baronin! Was für Hände, welche Grazie …! Was für ein Körper, mein Lieber …!«

»Ja«, sagte Rumata zustimmend. »Die Baronin ist schön. – Gehen wir weg von hier.«

»Wohin?« fragte der Baron gedrückt. »Und wozu?« In sein Gesicht kam plötzlich Entschlossenheit. »Nein, mein Freund, ich gehe nicht weg von hier. Nirgendwohin, aber Sie können tun, was Ihnen beliebt.« Er stieg vom Pferd. »Obwohl es für mich eine Beleidigung wäre, wenn Sie mich hier allein ließen.«

»Aber ich bleibe natürlich bei Ihnen«, sagte Rumata. »Aber …«

»Kein aber«, sagte der Baron.

Sie warfen die Zügel einem herbeieilenden Diener zu und stolzierten an den Mädchen vorbei in das Gastzimmer. Die Luft war zum Schneiden dick. Das schwache Licht der Ölfunzeln durchdrang kaum den dichten Nebel von verschiedenen Ausdünstungen, es war wie in einem großen und sehr schmutzigen Schwitzbad. Schweißüberströmte Soldaten in aufgeknöpften Uniformen, umherziehendes Seemannsvolk in bunten Kaftanen über den nackten Leibern, Frauen mit kaum bedeckter Brust, graue Sturmowiki mit den Kampfbeilen zwischen den Knien und einige heruntergekommene Handwerker aßen und tranken an langen Tischen aus rohem Holz, fluchten, lachten, weinten, küßten und brüllten unanständige Lieder. Auf der linken Seite konnte man im Nebel den Schanktisch erahnen, wo der Wirt auf einem Podest inmitten gigantischer Fässer thronte und von wo er einen Schwarm geschickter und betrügerische Diener dirigierte. Rechts leuchtete grell ein großes Rechteck durch den Nebel, der Eingang in das »gute Zimmer« – den Raum für edle Dons, ehrbare Kaufleute und die Grauen Offiziere.

»Warum sollten wir schließlich nicht einen hinter die Binde gießen?« fragte Baron Pampa gereizt, faßte Rumata am Ärmel und strebte in einem engen Durchgang zwischen den Tischen der Theke zu, wobei er den sitzenden Gästen mit seinem leicht abstehenden Gürtelpanzer den Rücken zerkratzte. An der Theke nahm er dem Wirt einen riesigen Krug aus der Hand, ließ ihn bis oben füllen, leerte ihn schweigend auf einen Zug bis zur Neige und erklärte dann, daß jetzt alles hin sei und nur mehr eines überbleibe – sich gehörig zu amüsieren. Dann wandte er sich an den Wirt und erkundigte sich lautstark, ob es in diesem Unternehmen einen Platz gäbe, wo edle Leute wohlanständig und bescheiden ihre Zeit verbringen könnten, ohne von jeglichem Geschmeiß, Gesindel und Auswurf behelligt zu werden. Der Wirt versicherte ihm, daß in ebendiesem Unternehmen ein solcher Platz existiere. »Ausgezeichnet!« sagte der Baron majestätisch und warf dem Wirt einige Goldstücke hin. »Bring Er mir und diesem Don hier das Beste, was Er nur hat. Soll uns aber nicht irgendein abgeschlecktes Kokottchen, sondern eine ehrenhafte ältere Frau bedienen!« Der Wirt selbst begleitete die edlen Dons in das Extrazimmer. Hier waren wenig Leute. In der Ecke unterhielt sich eine Gruppe düsterer Grauer Offiziere, vier Leutnants in engen Uniformen und zwei Hauptmänner in kurzen Soldatenmänteln mit den Epauletten des Sicherheitsministeriums auf der Schulter. Am Fenster dösten bei einem dünnhalsigen Weinkrug zwei Aristokraten dahin: Ihre Gesichter waren ganz sauer von der allgemeinen Niedergeschlagenheit. Am Nebentisch saß ein Häuflein verarmter Dons in zerknautschten Jacken und gestopften Überwürfen. Sie tranken in kleinen Schlücken ihr Bier und ließen alle Augenblicke ihre gierigen Blicke im Zimmer umherschweifen.

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