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Mir war klargeworden, daß ich der Malerin irgendwie Geständnisse machen und um sie werben müsse. Wäre sie mir ferngestanden, so hätte ich sie ruhig weiterhin verehrt und verschwiegene Schmerzen um sie gelitten. Aber sie fast täglich zu sehen, mit ihr zu reden, ihr die Hand zu geben und ihr Haus zu betreten, stets mit dem Stachel im Herzen, hielt ich nicht lange aus.

Es ward ein kleines Sommerfest von Künstlern und ihren Freunden veranstaltet. Es war am See, in einem hübschen Garten, ein reifer, weichlichlauer Hochsommerabend. Wir tranken Wein und Eiswasser, hörten der Musik zu und betrachteten die roten Papierlampen, die in langen Girlanden zwischen den Bäumen hingen. Es wurde geplaudert, gespottet, gelacht und schließlich gesungen. Irgendein lausiger Malerjüngling spielte den Romantischen, trug ein kühnes Barett, lag rücklings am Geländer hingestreckt und tändelte mit einer langhalsigen Gitarre. Die paar bedeutenderen Künstler fehlten entweder oder saßen ungesehen im Kreis der Älteren beiseite. Von den Frauenzimmern waren ein paar jüngere in lichten Sommerkleidern erschienen, die andern trieben sich in den gewohnten saloppen Kostümen herum. Namentlich fiel mir eine ältere, häßliche Studentin widerlich auf, sie trug einen Männerstrohhut auf den verschnittenen Haaren, rauchte Zigarren, trank tüchtig Wein und sprach laut und viel. Richard war wie gewöhnlich bei den jungen Mädchen. Ich war trotz aller Erregung kühl, trank wenig und wartete auf die Aglietti, die mir versprochen hatte, sich heute von mir rudern zu lassen. Sie kam denn auch, schenkte mir ein paar Blumen und stieg mit mir in den kleinen Nachen.

Der See war glatt wie Öl und nächtig farblos. Ich trieb den leichten Nachen rasch in die stille Seebreite weit hinaus und sah immerfort mir gegenüber die schlanke Frau bequem und zufrieden im Steuersitz lehnen. Der hohe Himmel war noch blau und trieb langsam einen matten Stern um den andern hervor, am Ufer war da und dort Musik und Gartenlustbarkeit. Mit leisem Gurgeln nahm das träge Wasser die Ruder auf, andere Boote schwammen da und dort dunkel und kaum mehr sichtbar auf der stillen Fläche, ich achtete aber wenig darauf, sondern hing mit unverwandten Blicken an der Steurerin und trug meine geplante Liebeserklärung wie einen schweren Eisenring ums bange Herz. Das Schöne und Poetische der ganzen abendlichen Szenerie, das Sitzen im Kahn, die Sterne, der laue, ruhige See und alles das beängstigte mich, denn es kam mir vor wie eine schöne Theaterdekoration, in deren Mitte ich eine sentimentale Szene agieren müsse. In meiner Angst und beklemmt durch die tiefe Stille, denn wir schwiegen beide, ruderte ich mit Macht drauflos.

»Wie stark Sie sind!« sagte die Malerin nachdenklich.

»Meinen Sie dick?« fragte ich.

»Nein, ich meine die Muskeln«, lachte sie.

»Ja, stark bin ich schon.«

Dies war kein geeigneter Anfang. Traurig und ärgerlich ruderte ich weiter. Nach einer Weile bat ich sie, mir etwas aus ihrem Leben zu erzählen.

»Was möchten Sie denn hören?«

»Alles«, sagte ich. »Am liebsten eine Liebesgeschichte. Dann erzähle ich Ihnen nachher auch eine von mir, meine einzige. Sie ist sehr kurz und schön und wird Sie amüsieren.«

»Was Sie sagen! Erzählen Sie doch!«

»Nein, erst Sie! Sie wissen ohnehin schon viel mehr von mir als ich von Ihnen. Ich möchte wissen, ob Sie jemals richtig verliebt waren oder ob Sie, wie ich fürchte, dafür viel zu klug und hochmütig sind.«

Erminia besann sich eine Weile.

»Das ist wieder eine von Ihren romantischen Ideen«, sagte sie, »sich hier in der Nacht auf dem schwarzen Wasser von einer Frau Geschichten erzählen zu lassen. Ich kann das aber leider nicht. Ihr Dichter seid gewöhnt, für alles Hübsche Worte zu haben und denen, die weniger von ihren Empfindungen reden, gleich gar kein Herz zuzutrauen. In mir haben Sie sich getäuscht, denn ich glaube nicht, daß man heftiger und stärker lieben kann, als ich es tue. Ich liebe einen Mann, der an eine andere Frau gebunden ist, und er liebt mich nicht weniger; doch wissen wir beide nicht, ob es je möglich sein wird, daß wir zusammenkommen. Wir schreiben uns, und wir treffen uns auch zuweilen…«

»Darf ich Sie fragen, ob diese Liebe Sie glücklich macht oder elend, oder beides?«

»Ach, die Liebe ist nicht da, um uns glücklich zu machen. Ich glaube, sie ist da, um uns zu zeigen, wie stark wir im Leiden und Tragen sein können.«

Das verstand ich und konnte nicht hindern, daß mir etwas wie ein leises Stöhnen statt der Antwort vom Munde kam.

Sie hörte es.

»Ah«, sagte sie, »kennen Sie das auch schon? Sie sind noch so jung! Wollen Sie mir nun auch beichten? Aber nur, wenn Sie wirklich wollen –«

»Ein andermal vielleicht, Fräulein Aglietti. Mir ist heute ohnehin windig zumut, und es tut mir leid, daß ich vielleicht auch Ihnen die Stimmung getrübt habe. Wollen wir umkehren?« »Wie Sie wollen. Wie weit sind wir eigentlich?« Ich gab keine Antwort mehr, sondern stemmte die Ruder rauschend gegen das Wasser, wendete und zog an, als wäre die Bise im Anzug. Das Boot strich eilig über die Fläche, und mitten in dem Wirbel von Jammer und Scham, der in mir kochte, fühlte ich, wie mir der Schweiß in großen Tropfen übers Gesicht lief, und fror zugleich. Wenn ich vollends daran dachte, wie nahe ich daran gewesen war, den knienden Bittsteller und mütterlichfreundlich abgewiesenen Liebhaber zu spielen, lief mir ein Schaudern durchs Mark. Das wenigstens war mir erspart geblieben, mit dem übrigen Jammer galt es nun, sich abzufinden. Ich ruderte wie besessen heimwärts.

Das schöne Fräulein war einigermaßen befremdet, als ich am Ufer kurzen Abschied nahm und sie allein ließ.

Der See war so glatt, die Musik so fröhlich und die Papierlaternen so festlich rot wie zuvor, mir aber schien das alles jetzt dumm und lächerlich. Namentlich die Musik. Den Sammetrock, der noch immer seine Gitarre prahlerisch am breiten Seidenbande trug, hätte ich am liebsten zu Brei geschlagen. Und Feuerwerk stand auch noch bevor. Es war so kindisch!

Ich entlehnte von Richard ein paar Franken, setzte den Hut ins Genick und begann zu marschieren, vor die Stadt hinaus und weiter, eine Stunde um die andere, bis mich schläferte. Ich legte mich in eine Wiese, wachte aber nach einer Stunde taunaß, steif und fröstelnd wieder auf und ging ins nächste Dorf. Es war früh am Morgen. Kleeschnitter zogen durch die staubige Gasse, verschlafene Knechte glotzten aus den Stalltüren, bäuerliche Sommerarbeitsamkeit gab sich allerorten kund. Du hättest Bauer bleiben sollen, sagte ich mir, strich beschämt durchs Dorf und lief ermüdet weiter, bis die erste Sonnenwärme mir eine Rast erlaubte. Am Rand eines jungen Buchenstandes warf ich mich ins dürre Raingras und schlief in der warmen Sonne bis tief in den Spätnachmittag hinein. Als ich erwachte, den Kopf voll Wiesenduft und die Glieder so wohlig schwer, wie sie nur nach langem Liegen auf Gottes lieber Erde sind, da kam mir das Fest und die Bootfahrt und alles das fern, traurig und halbverklungen vor, wie ein vor Monaten gelesener Roman.

Ich blieb drei Tage fort, ließ mir die Sonne auf den Pelz brennen und überlegte mir, ob ich nicht in einem Strich heimwärts wandern und meinem Vater beim Öhmden helfen sollte.

Freilich war damit der Schmerz noch lange nicht abgetan. Nach meiner Rückkehr in die Stadt floh ich anfangs den Anblick der Malerin wie die Pest, doch ging das nicht lange an, und sooft sie mich später ansah und anredete, stieg mir das Elend in die Kehle.

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