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Aber das ist ja nicht alles. Ich habe, außer der Mutter und dem ertrunkenen Jugendfreund, die blonde Agi und meinen kleinen, krummen Boppi als Engel im Himmel wohnen. Und ich habe erlebt, daß im Dorf die Häuser wieder geflickt und beide Steindämme wieder aufgerichtet sind. Wenn ich wollte, säße ich auch im Gemeinderat. Es sind aber dort der Camenzinde schon genug.

Nun hat sich mir neuestens eine andere Aussicht eröffnet. Der Gastwirt Nydegger, in dessen Stube mein Vater und ich so manchen Liter Veltliner, Walliser oder Waadtländer getrunken haben, fängt an, steil bergab zu gehen und hat keine Freude mehr an seinem Geschäft. Er klagte mir dieser Tage sein Elend. Das schlimmste dabei ist, daß, wenn kein Einheimischer sich dazu findet, eine auswärtige Brauerei das Anwesen kauft, und dann ist es verdorben, und wir haben in Nimikon keinen behaglichen Wirtstisch mehr. Es wird irgendein fremder Pächter hineingesetzt werden, der natürlich lieber Bier als Wein verzapft und unter welchem der gute Nydeggersche Keller verpfuscht und vergiftet wird. Seit ich das weiß, läßt es mir keine Ruhe; in Basel liegt mir noch ein wenig Geld auf der Bank, und der alte Nydegger fände an mir nicht den schlechtesten Nachfolger. Der Haken dran ist nur, daß ich zu Vaters Lebzeiten nicht mehr Gastwirt werden möchte. Denn einmal könnte ich den alten Mann dann nimmer vom Spunden fernhalten, und außerdem würde er seinen Triumph darüber haben, daß ich mit allem Latein und Studieren es zum Nimikoner Weinwirt und nicht weiter gebracht habe. Das geht nicht an, und so beginne ich auf das Ableben des Alten allmählich ein wenig zu warten, nicht mit Ungeduld, sondern nur der guten Sache zulieb.

Onkel Konrad ist seit kurzem wieder in einen aufgeregten Tatendurst hineingeraten, nach langen, still verdöselten Jahren, und das gefällt mir nicht. Er hat beständig den Zeigefinger im Mund und eine Denkrunzel auf der Stirn, tut hastige kleine Schritte in seiner Stube herum und schaut bei hellem Wetter viel übers Wasser. »Ich mein alleweil, er will wieder Schiffli bauen«, sagte seine alte Cenzine, und er sieht wirklich so lebendig und kühn aus wie seit Jahren nicht und hat so einen schlauen, überlegenen Zug im Gesicht, als wisse er jetzt genau, wie er es diesmal anfangen müsse. Ich glaube aber, es ist nichts damit, und es ist nur seine müdgewordene Seele, welche jetzt nach Flügeln verlangt, um bald daheim zu sein. Mußt Segel nehmen, alter Onkel! Wenn es aber so weit mit ihm sein wird, dann sollen die Herren Nimikoner etwas Unerhörtes erleben. Denn ich habe bei mir beschlossen, an seinem Grabe hinter dem Pater her einige Worte zu reden, was hierorts noch nie passiert ist. Ich werde des Oheims als eines Seligen und Lieblings Gottes gedenken, und diesem erbaulichen Teil wird eine mäßige Handvoll Salz und Pfeffer für die geliebten Leidtragenden folgen, die sie mir nicht so bald vergessen und verzeihen sollen. Hoffentlich erlebt es auch mein Vater noch.

Und in der Lade liegen die Anfänge meiner großen Dichtung. »Mein Lebenswerk«, könnte ich sagen. Es klingt aber zu pathetisch, und ich sage es lieber nicht, denn ich muß bekennen, daß Fortgang und Vollendung desselben auf schwachen Beinen stehen. Vielleicht kommt noch einmal die Zeit, daß ich von neuem beginne, fortfahre und vollende; dann hat meine Jugendsehnsucht recht gehabt, und ich bin doch ein Dichter gewesen.

Das wäre mir soviel oder mehr als der Gemeinderat und als die Steindämme wert. Das Vergangene und doch Unverlorene meines Lebens aber, samt allen den lieben Menschenbildern, von der schlanken Rösi Girtanner bis auf den armen Boppi, wöge es mir nicht auf.

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