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Trotzdem nimmt schamloses Verhalten zu. Heute können wir im Internet oder im Fernsehen ständig beobachten, wie Menschen sich selbst oder andere in peinliche Situationen bringen. Dazu meint der Therapeut Udo Baer, der ein Buch über Scham geschrieben hat: „Da werden Schamgrenzen überschritten, die plötzlich alltäglich werden.“ Wir erleben schamloses Verhalten und gewöhnen uns daran. Und so hat die Scham immer weniger Einfluss auf uns und auf die Gesellschaft, in der wir leben.

Vokabular

Scham: unangenehm, aber wichtig

Scham (f., nur Singular) – das schlechte Gefühl, wenn man sich nicht richtig verhalten oder einen Fehler gemacht hat

sich für etwas schämen – sich schlecht fühlen, weil man einen Fehler gemacht oder sich nicht richtig verhalten hat

peinlich – unangenehm; so, dass man sich wegen seines Verhaltens schlecht fühlt

erröten – rot im Gesicht werden, weil man etwas sehr unangenehm findet

am liebsten im Boden versinken wollen – sich wünschen, dass man ganz klein wird und sich verstecken kann; sich wünschen, dass man von niemandem gesehen wird

schmerzhaft – so, dass etwas wehtut

von etwas kommen – hier: aus einem anderen Wort gebildet sein/werden

Pein (f., nur Singular) – veraltet: starker Schmerz

etwas empfinden – etwas fühlen

schmatzen – so essen, dass andere hören, wenn man den Mund öffnet und schließt

rülpsen – nach dem Essen/Trinken laut Luft aus dem Magen durch den Mund drücken

etwas entfernen – dafür sorgen, dass etwas nicht mehr da ist

etwas vermeiden – dafür sorgen, dass etwas nicht passiert

jemanden aus|stoßen – dafür sorgen, dass jemand nicht mehr Teil einer Gruppe ist

Fremdschämen (n., nur Singular) – umgangssprachlich: ein schlechtes Gefühl, das man hat, wenn andere Personen sich nicht richtig verhalten

ständig – immer

Therapeut, -en/Therapeutin, -innen – hier: der Psychotherapeut; jemand, der einen wegen einer psychischen Krankheit behandelt

eine Grenze überschreiten – hier: etwas tun, was man eigentlich nicht tun sollte

Orthorexie: Wenn gesundes Essen zur Sucht wird

Kein Fleisch, kein Zucker, keine Kohlenhydrate: Für manche Menschen wird gesunde Ernährung zur Sucht. Menschen, die extrem auf ihre Ernährung fixiert sind, haben oft die Essstörung Orthorexie.

Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit gesunder Ernährung und streichen zum Beispiel Fleisch, Zucker und Kohlenhydrate von ihrem Ernährungsplan. Ist man zu sehr auf gesundes Essen fixiert, kann daraus aber eine Sucht werden: Menschen mit Orthorexie setzen immer mehr Lebensmittel auf die rote Liste der Nahrungsmittel, die sie nicht essen. Die vermeintlich gesunde Ernährung ist dann oft gar nicht mehr so gesund.

Die Störung entwickelt sich meistens schleichend. Thomas Huber, Chefarzt einer Klinik, die auf Essstörungen spezialisiert ist, erzählt über eine Patientin: „Sie wollte sich gesünder ernähren, war nicht übergewichtig, und mit ihrem Körper eigentlich zufrieden. […] Sie hat sich im Internet mit gesunder Ernährung beschäftigt, hat viele Halbwahrheiten gelesen und immer mehr Angst vor verschiedenen Lebensmitteln entwickelt. […] Als sie zu uns kam, wog sie rund 40 Kilo.“

Die Folge von Orthorexie sind oft Mangelerscheinungen. Viele Betroffene bekommen auch Probleme mit ihrer Umgebung. Ein gemeinsames Essen mit Freunden? Für die meisten ist das nicht möglich. Sie lehnen ab aus Angst, mit ungesundem Essen konfrontiert zu werden. Manche versuchen auch, andere zu missionieren. Sie machen ihnen ein schlechtes Gewissen und versuchen sie zu überzeugen, dass sie nicht so weiter essen können wie bisher.

Orthorexie kommt vor allem in reichen Ländern vor, wo Menschen sich aussuchen können, was sie essen. Dort wo die Lebensmittel knapp sind, kommt niemand auf die Idee, bestimmte Lebensmittel einfach so nicht mehr zu essen. Der amerikanische Mediziner Bratman, der der Krankheit den Namen gab, beschrieb das Leben von Betroffenen mit folgenden Worten: „Statt eines Lebens besitzen sie nur noch einen Speiseplan.“

Vokabular

Orthorexie: Wenn gesundes Essen zur Sucht wird

Orthorexie – Krankheit, bei der man nur ganz wenige, gesunde Lebensmittel isst

Sucht, Süchte (f.) – die Tatsache, dass man ohne etwas nicht mehr leben kann

Kohlenhydrat, -e (n.) – ein Bestandteil in Nahrung (z. B. in Nudeln), der Energie liefert

auf etwas fixiert sein – sich sehr auf etwas konzentrieren; an nichts anderes denken

Essstörung, -en (f.) – eine krankhafte Art sich zu ernähren

etwas streichen – hier: dafür sorgen, dass es etwas nicht mehr gibt; etwas abschaffen

etwas auf die rote Liste setzen – eine Liste mit Dingen machen, die man meiden soll

vermeintlich – hier: mutmaßlich; wahrscheinlich

schleichend – so, dass etwas langsam geschieht

Klinik, -en (f.) – das Krankenhaus

auf etwas spezialisiert sein – etwas besonders häufig machen und viel Erfahrung haben; ein Experte/eine Expertin in einem bestimmten Gebiet sein

übergewichtig – so, dass man zu viel wiegt

Halbwahrheit, -en (f.) – eine Information oder Aussage, die eher nicht stimmt

Mangelerscheinung, -en (f.) – etwas, das sich körperlich zeigt, weil man zu wenig bestimmte Nährstoffe gegessen hat

Betroffene, -n (m./f.) – die Person, die ein bestimmtes Problem hat

jemanden mit etwas konfrontieren – jemanden dazu bringen, dass er sich mit etwas beschäftigen muss

jemanden missionieren – jemanden von einer bestimmten Einstellung oder Ideologie überzeugen wollen

jemandem ein schlechtes Gewissen machen – jemandem das Gefühl geben, etwas Schlechtes zu tun oder getan zu haben

Warum wir gern über andere reden

Die meisten tun es, aber die wenigsten geben es zu: lästern. Warum sprechen wir so gern über Personen, die nicht anwesend sind, obwohl wir dieses Verhalten selbst eigentlich gar nicht mögen?

Jeder kennt es, die meisten tun es, aber trotzdem hat es einen schlechten Ruf: das Reden über andere. Es ist uns unangenehm zuzugeben, dass wir lästern. Dabei sagen Wissenschaftler, dass wir in 65 bis 90 Prozent aller Unterhaltungen im Alltag über Menschen reden, die gerade nicht im Raum sind.

Das moralische Verständnis der meisten Gesellschaften verurteilt das Lästern über andere. Im schlimmsten Fall können Vorurteile oder sogar Mobbing die Folge sein. Lästern kann aber auch sinnvoll sein, so der Psychologe Jan Engelmann, der an der Berkeley University of California zu dem Thema forscht: „Durch Tratsch lernen wir, wer potentiell ein guter Kooperationspartner sein könnte und von wem wir uns fernhalten sollten.“

Das Reden über andere hilft uns dabei, zu entscheiden, wen wir in unsere Gruppe aufnehmen wollen und wen nicht. Jan Engelmann fand in einer Studie heraus, dass schon kleine Kinder sich so gegenseitig vor anderen Kindern warnen, die zum Beispiel nicht gern ihre Spielsachen teilen.

Lästern ist also einerseits ein sehr menschliches Verhalten, andererseits hält sich aber sein schlechter Ruf. Ist unsere Angst, selbst ein Opfer des Tratsches zu werden, zu groß? Das vermutet auch Engelmann: „Vielleicht mögen wir es einfach nicht, wenn andere tratschen, weil es dann ja auch um uns gehen könnte. Unsere Reputation ist dann nicht mehr in unseren eigenen Händen, wir können sie nicht mehr so gut kontrollieren.“

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