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Die Agentur erhielt die Briefe, übersetzte sie ins Russische oder Ukrainische und leitete sie weiter an die Auserwählte. Das Mädchen konnte in ihrer Muttersprache antworten. Diese Antwort wurde dann übersetzt und an den Auftraggeber, den Bräutigam geschickt. Die meisten Einwohner der Ukraine beherrschten keine Fremdsprache. Dieser Umstand ermöglichte es der Agentur, im Geschäft zu bleiben und Steuern zu zahlen. So konnte schon allein der Briefwechsel mehrere Tausend Dollar Gewinn bringen, bis der Mann die Entscheidung traf, das Mädchen persönlich kennenzulernen und zu diesem Zweck in die ukrainische Hauptstadt kam.

„Was für ein Blödsinn! Du hast ein Büro im Stadtzentrum, am Chreschtschatyk. Kann man mit den Briefen denn so viel Kohle verdienen?“

„Hör nur weiter zu! Fragen kannst du hinterher stellen.“

„Okay.“

Der Kern des Geschäfts beruhte keineswegs auf den Briefen. Mit diesen kamen Blumen und Geschenke für die Mädchen – verschiedene Kosmetiksets und Accessoires aller Art. Diese schönen, teuren Sachen wurden in Geschäften gemietet, nur zu dem Zweck, das Mädchen mit dem Geschenk in der Hand bei einem Luftkuss zu fotografieren, um dem Mann zu bestätigen, was sie sich von seinem Geld gekauft hat. Danach nahm der Verkäufer sämtliche Fotorequisiten zurück und erhielt seine Belohnung.

Die Ausländer überwiesen das Geld auf das Konto der Firma und bekamen glänzende Fotos der glücklichen Schönheiten mit Blumen und Geschenken. Natürlich bedankten sie sich beim jeweiligen Bräutigam mit einem Brief, der auf seine Kosten verschickt wurde. So bekam der Mann seine Portion Komplimente im Stil von: „Oh Gott! Was für ein Mann!“

Aber Natalja überraschten die Storys, die diesen Ausländern in der Ukraine passierten.

Bei ihrem Aufenthalt in Kiew erwarteten sie die unglaublichsten Abenteuer und zahlreiche unvorhergesehene Situationen, die Natalja den Atem verschlugen.

Zum Beispiel erfuhr der Ausländer gleich am Flughafen, dass das Mädchen, dem er das ganze Jahr über Briefe geschrieben hatte und das er nun heiraten wollte, aus einer ehrbaren, kirchentreuen Familie stammte, womit er natürlich nicht gerechnet hatte. Natalja schmunzelte.

„Da müsste ich nichts vortäuschen, ich komme tatsächlich aus so einer Familie.“

„Und gehst anschaffen“, stichelte Stella, die eine scharfe Zunge hatte.

„Und du siehst aus wie eine, die sich ganz ehrbar flachlegen lässt, oder?“

„Mein Rollenfach ist die gewöhnliche Gaunerin, keine Nutte.“

„Ich habe jetzt von dir geredet, nicht von deiner Show.“

„Ich rede ausschließlich von der Arbeit. Ich habe nicht vor, über mein Privatleben sprechen, schon gar nicht mit dir.“

Während Stella die Stirn runzelte, zeigte ihr Natalja ihr rosiges Züngchen.

Sie brachen in Gelächter aus. In diesem Augenblick schlossen sie Frieden. Man könnte sogar sagen, dass hier die Beziehung der beiden frischgebackenen Freundinnen entstand.

„Und jetzt erzähl weiter. Was passiert dann? Raus damit!“

„Also, der Ausländer wird von der ganzen Familie empfangen. Der Vater in Popenkutte, Mutter mit Kopftuch und die Tochter als potentielle Braut.“ Manchmal spielte Stella selbst die Rolle der Tochter und der Braut. Wenn nun der Bräutigam einem anderen Glauben angehörte und zum Beispiel Katholik, Protestant oder Jude war, forderten die Eltern der Braut nachdrücklich, dass der Bräutigam seinen Glauben ablegte und ein orthodoxer Christ würde. Die potenziellen Ehegatten erwarteten diese Wendung natürlich nicht. Sie reagierten geschockt und ratlos. Aber wenn man schon da war, was wollte man da machen, es musste eben sein. Besonders, wenn die Braut hübsch und jung war. Was tat man nicht alles für so ein nettes Kind. Die Bräutigame selbst waren meistens 50 oder älter. Mit ihnen gab es wenig Probleme. Die Alten stimmten allem zu, glaubten an Märchen und die wahre Liebe. Aufgedunsene Kinderschänder, Geschiedene oder einfach in ihrer Heimat ausrangierte, gewissenlose alte Arschlöcher. Sie nutzten die schwierige Situation im Land aus und kamen, um schöne zwanzigjährige Mädchen zu heiraten.

Nach dem Empfang im Flughafen lief eine ganze Theateraufführung ab. Stella mietete ein Haus, das das Haus der Eltern darstellen sollte und für die Unterbringung des Bräutigams während seines Aufenthalts vorgesehen war. Es lag weit außerhalb der Stadt, neben einem vergessenen, verfallenen Kirchlein, in dem die armen Ausländer den Glauben wechseln mussten, weil die Eltern auf einer kirchlichen Trauung vor der standesamtlichen bestanden. Um diesen Wunsch der Familie nach religiöser Einigkeit wurde nicht gestritten. Schließlich waren Forderungen dieser Art im Lauf der Kirchengeschichte keine Ausnahme.

Die Firma besorgte dem Bräutigam einen Dolmetscher und, wenn er wollte, einen Leibwächter – gegen angemessene Bezahlung. Auch sie waren Schauspieler und Betrüger.

Alle Teilnehmer der Aufführung begaben sich ins Dorf, um die Hochzeit zu feiern. Zuerst überreichte der Vater seinem angehenden Schwiegersohn ein Gebetbuch auf Englisch oder gegebenenfalls in einer anderen Sprache. Der musste es durchlesen und mit aller Ernsthaftigkeit zum Kern der Sache vorstoßen. Das Beten dauerte ein paar Tagen und alle kirchlichen Regeln wurden eingehalten. Bald verging dem Bräutigam alle Freude. Schlafen musste er ja auch allein und zuvor noch im Gebet versinken. Es war außerdem streng verboten, die Braut vor der Hochzeit zu berühren.

Dabei träumte von nichts anderem als davon, die prallen Titten anzufassen. Der Teufel sollte sie holen, diese verdammten Frömmler! Hätte er das vorher gewusst, hätte er eine andere ausgewählt.

„So ein Reinfall!“, fluchte der Ausländer beim Abendgebet und sein Doppelkinn wabbelte wie Sülze. Dabei wusste der arme Kerl noch gar nicht, dass die Überraschungen in der Ukraine für ihn gerade erst begonnen hatten. Nach der erfolgreichen Konversion fingen die Hochzeitvorbereitungen an. Einladungen wurden an arme Verwandten der Braut geschickt, von denen viele keine Möglichkeit hatten, Flugtickets zu kaufen, um bei der langersehnten Feier dabei zu sein. Das Geld für die Tickets musste natürlich das junge Paar schicken. Das Kleid und das Festessen für hundert Personen, dazu eine Limousine, waren ebenfalls zu bezahlen, achtzig Prozent des Preises sofort als Vorschuss. Die Geldangelegenheiten erledigte die Agentur. Sie hob die erforderlichen Summen vom Bankkonto des Ausländers gegen Unterschrift ab. In puncto Geld vertrauten die Ausländer der Agentur mehr als den zukünftigen Verwandten. Sie dachten, diese seien als Gottesdiener zu weit von weltlichen Sorgen entfernt.

Und so kam der Tag der Hochzeit. Der Brillantring am Finger. Der Bräutigam mit dem Spitznamen „Sülze“ hat sich Viagra besorgt, um die ganze Nacht fit zu sein und der jungen Frau zu beweisen, dass er noch ein ganzer Kerl war. Ein altes Sprichwort lautet: „Mit einem alten Hund hat man sicherste Jagd!“ Wenn er seine Tabletten bekommt, wird er schon wenigstens ein Mal im Monat seine Gattenpflicht erfüllen können.

Natalja saß da wie versteinert, auch wenn sie nicht wusste, warum, und hörte der lebhaften Stella zu. Ihr fiel auf, wie diese das Wort „Gattenpflicht“ aussprach und dabei das Gesicht verzogt und die Nase rümpfte! Es war ihr klar, dass Stella die alten Idioten ohne weiteres bestrafte, und das von ganzem Herzen und mit Eifer.

„Warum sprichst du über dich in der dritten Person?“

„Ich versuche, dir ein Bild der Situation zu vermitteln, und so geht es einfacher.“

„Bisher gefällt mir das alles schon sehr!“

„Also. Die Hochzeit ist jetzt für morgen angesetzt“, setzte Stella ihre unglaubliche Erzählung fort. „Aber es kommt anders! Es stirbt die Mutter der Braut, oder der Vater, die Schwester, der Bruder. Egal wer. Kommt bei einem Autounfall um oder ertrinkt, stirbt bei einem Brand, es spielt keine Rolle.

Trauer! Hochzeit wird abgesagt! Welch ein Kummer! Und zu so einem Zeitpunkt kann doch kein Bräutigam seine Braut im Stich lassen. Da muss man sich um die Beerdigung kümmern, was denn sonst! Die Beerdigung geht auch auf Kosten des Bräutigams, dieses Mal mit Tränen in den Augen aller Verwandten, mit der Bitte, ihnen Geld zu borgen, und Versprechungen wie: ‚Wir schwören, ein Päckchen mit Bündeln voller Geld aus Wladiwostok an Ihre Adresse zu schicken. Ganz bestimmt, irgendwann‘. Der Ausländer stellt gewöhnlich die Bedingung an die Agentur, dass die Hochzeit unbedingt gleich nach dem Begräbnis stattzufinden hat, weil er wieder zur Arbeit muss.

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