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Sie aßen den Fisch schweigend, und José sah, wie Oskar sich an Jonathan drängte, der seinen durchweichten Verband gewechselt hatte. Der Pinguin sah José beinahe vorwurfsvoll an. Auch Carmen und Eduardo schienen von ihm abgerückt zu sein. Es war, als hätte Jonathan sich mit der Tierwelt gegen ihn verschworen. Aber wieso kümmerte es José eigentlich, was ein paar dumme Tiere dachten?

Sie teilten die Nacht in mehrere Wachen ein. José übernahm die erste, während Jonathan unten in der Kajüte schlief. Die Sternbilder zogen über José durch die samtene Schwärze, und die Abuelita murmelte vor sich hin, von Toten und Geistern, aber José hörte ihr nicht zu. Er rollte die Gedanken in seinem Kopf hin und her und versuchte Ordnung hineinzubringen. Schließlich nahm er die Segel herunter und warf den Motor an. Er wollte nicht noch ein Unglück riskieren, wenn Jonathan das Steuer übernahm. Noch hatten sie genug Treibstoff. Noch. Als er in die Kajüte hinunterstieg, lag Jonathan auf dem Rücken, den alten Teddybären fest an die Brust gepresst wie ein Kind. Zu seinen Füßen hatte sich der kleine Zoo der Mariposa versammelt.

»Wach auf«, sagte José, und seine Stimme klang rau. »Du bist dran mit Steuern.«

Jonathan blinzelte. »Woher weißt du, dass ich die Mariposa nicht in die völlig falsche Richtung steuere?«, fragte er bitter. »Wenn du mir nicht mehr traust?«

José ließ sich auf die andere Bank fallen. »Steure sie, wohin du willst«, sagte er. »Ich bin zu müde, mich darum zu scheren.«

Das Nächste, woran er sich später erinnerte, war der Geruch von Tabak. Er blieb einen Moment mit geschlossenen Augen liegen. Wie lange hatte er geschlafen? Der alte Motor dröhnte noch immer ruhig und gleichmäßig und die Mariposa glitt sacht aufwärts und abwärts durch die nächtliche Dünung des Ozeans.

»Wach auf«, sagte jemand. Es war nicht Jonathan.

Lied des Albatros

Es schweigen die Säulenkakteen,

es schweigen Ebbe und Flut.

Es schweigen die Salzwasserseen

in senkrechter Mittagsglut.

Es schweigen die Balsambäume,

und hoch über ihrem Duft

schwebe ich: König der Träume,

ich, der König der Luft.

Auf majestätischen Schwingen

gleite ich durch den Wind.

Ich kann die stärksten Stürme bezwingen,

ich bin des Unwetters Kind.

Hier oben kann ich niemals fallen,

hier bin ich, was der Mensch an Land:

Hier bin ich zweifellos von allen

als Herrscher anerkannt.

Doch höre, Mensch, der du so klug,

die eine Sorge ist auch dein:

Die Landung nach dem Höhenflug

kann durchaus tödlich sein.

Die geheime Reise der Mariposa - i_010.jpg

El secreto de Jonathan

Jonathans Geheimnis

Wach auf! Es ist Zeit, dass wir miteinander reden.«

José fuhr hoch, stieß sich den Kopf an einem der Vorratsregale und schnappte vor Schmerz nach Luft. Dann sah er sich um. Ihm gegenüber, auf der Backbordbank, saß ein bärtiger alter Mann in ziemlich dreckigen Kleidern. Jetzt nahm er eine Zigarette aus dem Mundwinkel und klopfte die Asche ab.

»Wer …?«, begann José.

Der Mann legte den Finger an die Lippen. »Leise!«, sagte er. »Besser, der Motor draußen übertönt unsere Stimmen.«

»Wer sind Sie?«, flüsterte José. »Was tun Sie hier?«

»Das sollte ich dich fragen«, antwortete der bärtige Mann. »Das hier ist mein Schiff. Mein Name ist Juan. Juan Casaflora.«

José fühlte, wie er von innen gefror. Sogar die Abuelita schwieg vor lauter Schreck.

»Sie sind … tot«, sagte José.

Casaflora lächelte und nickte langsam. »Ja. Ich bin tot. Ich war krank und ich bin an dieser Krankheit gestorben. Die Holländer haben meinen Leichnam über Bord geworfen, als sie das Schiff fanden. Aber auch ein Toter verlässt sein Schiff nicht. Was tust du mit meiner Mariposa? Du ankerst zwischen den Felsen, obwohl du weißt, dass es dort zu eng ist und dass der Wind drehen kann. Du vertraust das Steuer nachts einem an, der keinen Schimmer vom Segeln hat. Du springst einfach von Bord.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich euch nicht geholfen hätte, hättet ihr die Mariposa schon ein paarmal verloren.«

»Das … ich … das tut mir leid«, stotterte José.

»So, das tut dir leid«, sagte Casaflora. »Dann wirst du sicher auf mich hören. Du wirst den Kurs ändern. Du wirst drehen und zurück nach Westen segeln. Nach Isabela.«

»Nach Isabela? Warum?« José fragte sich, ob er nur träumte. Das war die einzig logische Erklärung. Es gab keine Toten, die auf Schiffen herumspukten. Es konnte sie nicht geben … Oder doch? »Unser Ziel ist die Isla Maldita. Und dabei bleibt es.«

Der Alte ließ die Zigarette fallen, griff über den Tisch und packte José am Kragen. Etwas sehr Kaltes drückte sich gegen seine Schläfe: die Mündung einer Waffe. Der kleinen schwarzen Pistole. Casafloras Zigarette glühte auf dem Tisch weiter vor sich hin.

»Schade«, flüsterte er. »Schade, dass du dein Gewehr nicht finden kannst, nicht wahr, mein Junge?«

Das Gewehr. Die Pistole. Jonathan hatte sie nicht. Der Griff an Josés Kragen schnürte ihm die Luft ab. »Sie … Sie sind gar nicht tot«, keuchte er.

»Vielleicht nicht«, zischte Casaflora. »Ansichtssache. Die Holländer, die das Schiff fanden, habe ich mit diesem kleinen Ding überzeugt, anderer Ansicht zu sein.« Und er drückte den Lauf der Pistole etwas fester in Josés Haut.

»Weshalb?«, fragte José. Die Frage kam als heiseres, gequetschtes Flüstern aus seiner Kehle.

»Es musste sein. Ich musste sterben. Sie waren hinter mir her. Wegen der Karte.«

»Aber ichhatte die Karte«, flüsterte José, vollkommen verwirrt.

»Ja. Du bekommst sie wieder, sobald ich begreife, was darauf ist. Im Übrigen lag ich wirklich eine Zeit lang krank hier herum. Irgendein seltsames Fieber.«

Casaflora wies mit dem Daumen hinter sich und endlich begriff José. Auf der Seite, auf der es keine Klappe in der Innenverkleidung der Kajüte gab, gab es doch eine Klappe. Sie passte sich perfekt ins Muster des Holzes ein. Hinter der sichtbaren Klappe lagerten Nahrungsmittel. Hinter der verborgenen, die jetzt offen stand, gab es eine verborgene Koje. »Konnte mich gerade so an Deck schleppen, um zu pissen, wenn ihr es nicht gemerkt habt. Eine Weile dachte ich, ich verrecke da hinter meiner falschen Wand. Aber nein, noch bin ich da. Und solange ich nicht verreckt bin, bin iches, der auf diesem Schiff bestimmt. Wir fahren nach Isabela. Das wäre nicht die erste Kugel, die ich auf dieser Reise verschwende. Ich kann die Mariposa auch allein segeln. Es wäre mir allerdings lieber, du tätest es und ich könnte hier unten bleiben, unsichtbar.«

»In Ordnung«, flüsterte José. »Wir fahren nach Isabela.«

Juan Casaflora war nicht tot, dachte er. Aber er war vielleicht verrückt.

»Dein Freund da draußen braucht nichts von alldem zu wissen«, sagte Casaflora. »Je weniger Leute wissen, dass ich lebe, desto besser. Ich bekomme so ziemlich alles mit, was an Deck passiert, denk daran. Es ist bald Zeit, deinen Freund abzulösen. Und dann änderst du den Kurs, verstanden?«

José nickte gequält. Casaflora nahm die Pistole herunter, aber es war, als würde die Stelle noch immer brennen.

»Bist ein guter Junge«, sagte der Alte und kletterte zurück in die Koje hinter der Wand. Sie schloss sich mit einem kaum hörbaren Klicken.

José saß einen Augenblick lang da und starrte ins Nichts. Dann bemerkte er, dass es im Nichts einen schwach glühenden Punkt gab. Die Zigarette. Sie hatte ein kleines Loch in die Beschichtung des Tisches geschmolzen. José hob sie auf, betrachtete sie kurz – und rauchte sie zu Ende. Ein guter Junge? Er war kein Junge. Er war ein Mann.

Und er würde es ihnen beweisen, irgendwie. Er würde den Kurs ändern, so wie Casaflora es wollte. Aber nicht für immer. Zuerst musste er herausfinden, warum Casaflora es für nötig gehalten hatte zu sterben, um zu überleben.

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