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Sie hörte im Dunkeln etwas atmen. Etwas Großes. Etwas, das sich nicht anhörte wie ein Leguan, nicht einmal wie ein Albatros. Marit öffnete die Augen. Doch auch bei Tag war es hier unten in der Kajüte dunkel, denn Casafloras Vorräte an Dosensuppen, Dauerbrot und anderen ungenießbaren Notwendigkeiten waren direkt vor den winzigen Fenstern gestapelt. Sie drehte den Kopf ein wenig und sah einen schlafenden Körper auf der zweiten Bank liegen. Den Körper eines Erwachsenen.

»José?«, flüsterte sie. Aber saß José nicht oben am Steuer?

Ihr wurde auf einen Schlag sehr, sehr kalt. Sie wollte nach José rufen, doch ihr Mund war vollkommen trocken, und ihre Zunge klebte am Gaumen, als wäre sie im Feuer des Vulkans verdorrt. Wer befand sich noch auf der Mariposa?

Lied des Buckelwals

Ich wollt so gerne fliegen,

mich hindert mein Gewicht.

Gut zwanzig Tonnen Fleisch und Tran,

gut zwanzig Tonnen Wunsch und Wahn:

schwer nur in die Luft zu kriegen!

So bleibe ich hier liegen,

und ach, ich fliege nicht.

Wie oft bin ich gesprungen!

Doch hielt die Luft mich nie.

Ich kann nur mit den Flossen schlagen

und mein Leid den Meeren klagen.

Wie oft hab ich meinen Jungen

von den Träumen vorgesungen,

in denen ich entflieh.

Ich wandre tief unter dem Wind,

ich wandre Kontinente weit.

Ich seh vom Ozean aus die Sterne

in unerreichbar großer Ferne.

Und wo die Wasser wärmer sind,

gebäre ich mein Walfischkind.

Ach, hätt’s ein Federkleid …

Die Federn, die der Mensch sich macht,

sind neuerdings aus Blech und Stahl.

Doch fliegt er nicht, weil es vonnöten,

er fliegt, um aus der Luft zu töten.

Der Mensch, der es so weit gebracht,

ich seh ihn fallen in der Nacht,

viel schwerer als ein Wal.

Die geheime Reise der Mariposa - i_014.jpg

El mensaje del mariposa nocturna

Die Botschaft des Nachtfalters

Der Vulkan«, sagte Ben Miller fassungslos. »Er hat die Insel in eine Flamme verwandelt. Wenn sie wirklich dort waren … Wir hätten schneller sein müssen. Wir hätten früher losfahren müssen. Es ist alles meine Schuld. Diese unsinnige Wette am Hafen … Ich habe gesagt, wenn er es schafft, die Isla Maldita zu erreichen und herauszufinden, was dort geschieht, dann würden wir ihn mitnehmen, mit in die Luft ……Ich …«

»Ich weiß«, sagte der Mann neben ihm. Seine Stimme klang brüchig, zermürbt. »Das haben Sie mir schon ein Dutzend Mal erzählt. Ich wünschte, der alte Silvio wäre mitgekommen, statt uns nur sein Schiff zu geben. Vielleicht hätten wir sie rechtzeitig erreicht, wenn er die Albatros gesteuert hätte.«

Er sprach gepresst. Ben sah, wie sehr er sich zusammenriss, um nicht vor ihm zu weinen. Ein Mann von den Inseln weinte nicht. Nicht einmal, wenn zwei Kinder im Feuer starben.

»Warten Sie«, sagte Ben, »da – ist sie das nicht? Ist das nicht die Mariposa?«

Er sah, wie sich die Schultern des anderen Mannes strafften.

»Das ist sie«, sagte er. »Und dort, dort hinten ist das andere kleine Boot. Und die Roosevelt. Warum ist die Roosevelt hinter ihnen her? Ich verstehe das nicht.«

»Ich auch nicht«, sagte Ben. »Aber ich ahne etwas. Es gab Gerüchte um die Mariposa. Das Militär hatte schon länger ein Auge auf ihren Besitzer. Wir sollten hinfahren. Zur Roosevelt. Ich … ich habe keinem von denen etwas über mein Gespräch mit José erzählt. Ich dachte, wir könnten ihn zurückholen und niemand müsste etwas davon erfahren. Aber ich werde es meinen Leuten ohnehin sagen müssen. Ich kann es genauso gut jetzt tun.«

»Nein.« Der andere schüttelte den Kopf, sehr bestimmt. »Wir verlieren zu viel Zeit. Wir müssen die Mariposa einholen.«

»Wenn wir nur ein Funksignal hereinbekämen!«, meinte Ben. »Dann könnten wir mit den anderen Kontakt aufnehmen. Aber der Sturm hat die Anlage ruiniert.«

»Das Meer«, sagte der andere Mann, »ruiniert alles. Nach und nach, unerbittlich. Sie hat es immer gesagt: Lasst eure Finger von den Tauen und Steuerrädern der Schiffe. Sie hatte recht.«

»Wer?«, fragte der jüngere Mann. »Wer hat das gesagt?«

Doch er bekam keine Antwort. Denn in diesem Moment begann es Asche zu regnen. Die beiden sahen auf. Der Wind trieb die Reste von Marchenas Wald heran, in winzigen schwarzen Stückchen.

Ein paar Meilen weiter landeten die Rußpartikel auf dem Deck der Roosevelt. Eine kleine Jacht lag jetzt längsseits ihrer Wand. Teile des kleineren Schiffs waren verbrannt. Es sah schlimm aus. Am Heck waren gerade noch die Worte MARI NOCTURNA lesbar. Jeff Lindsey zog Waterweg an Bord, mitten im schwarzen Regen. Und das war das Ende der Mari Nocturna. Sie war zu nichts mehr zu gebrauchen.

»Parker«, sagte Lindsey. »Lösen Sie die Taue. Lassen Sie den Nachtfalter frei.«

»Zu Befehl, Sir.«

Lindsey seufzte. Dann wandte er sich Waterweg zu. »Sie haben lange gewartet. Wir dachten, Sie schaffen es nicht mehr.«

Waterweg schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht gewartet. Es war seltsam, ich konnte mich auf einmal nicht mehr rühren. Es war das Feuer. Es hat mich an das Feuer in Deutschland erinnert. Es war alles wieder da … Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können …«

Lindsey und Parker hatten keine Zeit für Erinnerungen aus einem Land, in dem sie nie gewesen waren. »Was ist mit Casaflora? Ist er auf der Mariposa?«

Waterweg verneinte. »Er ist dortgeblieben. Auf Marchena. Wir sind ihn los.«

»Und die Karte? Ist sie mit ihm verbrannt?«

Waterweg lachte bitter. »Ich wünschte, sie wäre es! Aber ich bin mir nicht sicher. Ich fürchte, der Junge hat sie. Er hat behauptet, er hätte sie irgendwo versteckt, aber vermutlich hat er sie geholt, ehe sie losgesegelt sind.«

»Der Junge? Welcher Junge?«

»José«, sagte Waterweg. »Marits selbst gewählter Bruder.«

»Wer zum Teufel ist Marit?«, fragte Lindsey ungeduldig.

»Meine Nichte«, antwortete Waterweg. »Ich hatte keine Ahnung, dass sie auf der Mariposa ist. Es ist ein Zufall. Sie hat nichts mit alldem zu tun. Sie weiß von nichts.«

Parker tauchte hinter ihm auf und hob die Hände, ärgerlich, hilflos. Ich bekomme sie über Funk nicht rein, sagte er zu Lindsey.

Lindsey nickte. »Waterweg, haben Sie eine Ahnung, wer auf diesem Schiff dort ist? Die Albatros. Sie gehört einem Ecuadorianer. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er an Bord ist.«

Parker lachte. »Jetzt verfolgen wir mit zwei Schiffen eine winzige Jacht. Man hätte sie leicht aus der Luft erledigen können. Genau das sollten wir tun.«

Waterweg starrte ihn an. »Haben Sie nicht zugehört? Meine Nichte ist auf dem Boot dort vorn. Sie ist dreizehn! Sie ist ein Kind!«

»Im Krieg«, sagte Parker, »gibt es keine Kinder. Das Leben des Einzelnen zählt nicht genug. Wir werden keine deutschen U-Boote durch den Panamakanal lassen – nur weil Ihre Nichte versehentlich dafür sorgt, dass eine verdammte Karte in deutsche Hände gerät.«

»Mister Lindsey, Sir …«, begann Waterweg, denn es war Lindsey, der an Bord die Befehle gab.

Doch Lindsey nickte. »Es tut mir leid«, sagte er. »Aber wenn es notwendig wird, die Mariposa aus der Luft abzuschießen, wird es geschehen. Und wenn es notwendig ist, dass nichts von der Mariposa übrig bleibt, nicht die kleinste Schraube – dann wird nichts von ihr übrig bleiben.«

Marit saß im Dunkeln und lauschte. Das Atmen von der anderen Bank war schwer und gleichmäßig. Wer immer dort lag, er schlief. Sie ging im Kopf die Möglichkeiten durch, wer es sein konnte. Casaflora? Waterweg? Aber wie waren sie auf die Mariposa gekommen? Und wenn es jemand Drittes war, jemand, von dessen Existenz sie noch nichts wusste?

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