Литмир - Электронная Библиотека

Kapitän John Crowfoot, Kommandant der Glorious, ein großer, gebeugter Mann mit dem Habitus eines Landpfarrers, fragte:»Werden die Dänen ihre Flotte den Franzosen übergeben, Sir Richard?»

«Ich glaube nicht, es sei denn unter größtem Druck. Kein Däne wünscht sich Franzosen im Land.»

Kapitän George Huxley von der Nicator, ein gedrungener Mann mit hartem Blick, sagte selbstbewußt:»Wir brauchen dringend mehr Fregatten, Sir Richard. Ohne sie sind wir wie blind. Ein Geschwader, sogar eine ganze Flotte könnte nachts an uns vorbeisegeln, und wir würden nichts merken!«Er drehte sich zu den Fenstern um, als suche er die holländische Küste, die dreißig Meilen entfernt lag.

Bolitho antwortete:»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Kapitän Huxley. Aber ich habe nun mal nur zwei Fregatten, die meines Neffen und die Zest, deren Kommandant ich noch nicht kenne.»

Keen hatte ihn vorgewarnt: Kapitän Fordyce, der Sohn eines Admirals, sei ein Leuteschinder. Ihre Lordschaften in der Admiralität hatten wahrscheinlich geglaubt, nach Kapitän Varian habe die Zest eine harte Hand nötig.

Es folgten noch viele Fragen — zu Reparaturen und Vorräten, zu Patrouillengebieten und möglichen Gefechten. Bolitho gestand sich ein, daß er auch nach diesem langen Treffen seine Kommandanten noch nicht richtig kannte. Aber er wollte ihnen wenigstens einige seiner Grundsätze vermitteln.»Mit unnötigen Signalen verliert man zuviel Zeit im Gefecht. Und Zeit zählt im Kampf, wie Sie alle wissen. Ich habe darüber einige Briefe mit Lord Nelson gewechselt, den ich leider, wie Sie wohl alle, nie persönlich getroffen habe. «Er sah zu Adam hinüber.»Mein Neffe ist die Ausnahme, er hatte das Glück, Nelson öfter zu treffen. Leider ist er nicht mehr unter uns, aber sein Beispiel wird uns helfen.»

Er spürte, daß alle gespannt auf seine nächsten Worte warteten.»Nelson hat einmal gesagt, daß kein Kommandant viel falsch machen kann, wenn er sein Schiff im Kampf neben das des Gegners legt. «Crowfoot von der Glorious nickte eifrig, und an der Tür lauschte Jenour auf jedes Wort.»Ich glaube, besser als Nelson kann man es nicht sagen.»

Sie trennten sich erst nach zwei Stunden und reichlichem Weingenuß. Beim Abschied dachten sie offenbar schon daran, was sie, an Bord zurückgekehrt, ihren Offizieren berichten würden.

Bolitho empfing noch den jüngsten Kommandanten des Geschwaders, den von der Kurierbrigg Mistral, den Allday später als» noch so einen zwölfjährigen Skipper «charakterisierte.

Der Nordwest war abgeflaut, die großen Linienschiffe kürzten ihre Segel für die kommende Nacht. Eigentlich hatte Keen den Admiral zu sich zum Abendessen einladen wollen, doch als er sah, daß der Kommandant der Brigg ihm einen Privatbrief übergab, verzichtete er darauf. Vorsichtig öffnete Bolitho den Umschlag und las im Licht der Kerzen Catherines Zeilen: Liebster, erst gestern hast du mich verlassen, und schon glaube ich, es ist eine Ewigkeit her … Bolitho sah sich in der leeren Kajüte um. Hatte er Catherines Lachen gehört, oder war es ein Murmeln der See gewesen? Er vertiefte sich wieder in ihren Brief.

XVII» Aber er hat ihre Herzen…»

Falls das Nordseegeschwader unter dem neuen Kommando Bolithos baldige Ablösung vom öden Blockadedienst erwartet hatte, so wurde es enttäuscht. Wochen und Monate vergingen, der Frühling vertrieb den eisigen Wind und die ewige, kalte Nässe des Nordens, und noch immer patrouillierten sie scheinbar sinnlos von den friesischen Inseln bis hoch zum Skagerrak, wo Poland seinen letzten Kampf ausgetragen hatte. Bolitho verlangte viel von ihnen, mehr als jeder andere zuvor. Segelmanöver, Kanonendrill, in Kiellinie segeln, nebeneinander segeln — alles übten sie mit so wenig Kommandos und Signalen wie möglich. Dann teilte er sein Geschwader in zwei Gruppen, ließ den würdigen Crowfoot von der Glorious die zweite Division übernehmen und führte sie gegeneinander. Inzwischen waren die beiden Vierundsiebziger Valkyrie und Tenacious wieder zum Geschwader zurückgekehrt und hatten einen kleinen Schoner mitgebracht, die Radiant unter dem Kommando eines älteren Leutnants, der früher beim Zoll gedient hatte.

Der Schoner war zwar klein, aber sehr handlig. Immer wieder stieß er zwischen die Inseln vor oder kreuzte dicht an die flache Küste heran, sah sich dort um und floh erst dann aufs offene Meer hinaus, wenn ein feindliches Patrouillenschiff endlich Anker gelichtet und Segel gesetzt hatte und ihm bedrohlich nahe kam.

Eines Morgens öffnete Allday ein Heckfenster — und frühlingshafte Wärme strömte herein. Bolitho starrte bei der Rasur an die Decke und fühlte das Messer über sein Kinn kratzen.»Ich glaube, alle hassen mich wegen des Drills, zu dem ich sie zwinge«, sagte er.

Allday dachte nach, rasierte aber weiter.»Das ist auch ganz gut so, Sir Richard. Auf einem kleinen Schiff sollte man den Drill nicht übertreiben, aber auf einem Dickschiff wie diesem sollten Offiziere und Mannschaften nicht zu eng zusammenwachsen.»

Bolitho sah ihn fragend an.»Wieder eine deiner Weisheiten. Und wie ist die zu verstehen?»

«Zwischen den Decks braucht man jemanden, den man hassen kann. Das macht einen Mann so scharf wie der Schleifstein das Messer.»

Bolitho lächelte und ließ seine Gedanken wandern. Cornwall mußte nach dem trüben Winter jetzt wunderbar frisch riechen. Gelber Stechginster und große Polster von Glockenblumen blühten bestimmt neben dem Pfad auf der Steilküste. Was Catherine jetzt wohl machte?

Sie hatte Somervells Besitzungen in London veräußert und, nachdem sie seine Schulden bezahlt hatte, ein kleines Haus an der Themse gekauft.»Wenn du in London zu tun hast, haben wir hier unser Zuhause«, hatte sie erklärt,»und müssen niemanden um Zuflucht bitten. «Zusammen mit Ferguson hatte sie in Falmouth mehr Land kultivieren lassen, denn sein Besitz sollte sich nicht nur selbst tragen, sondern auch Profit abwerfen. Nicht ein einziges Mal erwähnte sie Belinda, deren aufwendiger Lebensunterhalt große Summen verschlang.

Es klopfte, Keen trat ein und meldete:»Der Schoner ist in Sicht und möchte längsseits kommen.»

Allday tupfte Bolithos Gesicht trocken und musterte dabei verstohlen sein linkes Auge. Nichts deutete auf eine Verletzung hin oder auf eine Verschlechterung. Sollte es doch heilen?

«Neuigkeiten, Val?«fragte Bolitho.

«Er kommt aus der richtigen Richtung«, antwortete Keen unverbindlich.

Es dauerte, bis der Schoner aufgekreuzt war und in Lee der Black Prince ein Boot zu Wasser gelassen hatte. Sein Kommandant, Leutnant Evan Evans, hatte früher einen Zollkutter befehligt und sah mehr nach einem Piraten aus als nach einem gesetzestreuen

Leutnant der Königlichen Marine. Er war ein Berg von einem Mann, mit dichtem grauen Haar, das anscheinend mit einer Schafschere gekappt worden war. Sein ziegelrotes Gesicht zierten so viele Runzeln, daß es den starken Trinker verriet. Ozzard bot Rum an, und Evans leerte den Becher in einem Zug.

«Berichten Sie, was Sie beobachtet haben«, forderte Bolitho ihn auf.

Sie traten an den Tisch, auf dem die Karte und Bolithos Logbuch lagen.

Evans deutete mit einem Finger, der so dick und hart wie ein Marlspieker war, auf einen Punkt der Karte.»Hier, vor drei Tagen, Sir Richard. Sie segelte in die Deutsche Bucht, vorbei an Helgoland, jedenfalls war das die allgemeine Richtung.»

Bolitho zügelte seine Ungeduld. Evans rief seine Erinnerungen ab, und wenn er ihn hetzte, würden die Bilder ihre Schärfe verlieren. Er sprach mit starkem walisischem Akzent.

«Wer — sie?«half Keen vorsichtig weiter.

Evans sah ihn erstaunt an.»Na, ein Linienschiff, so groß wie eine Kathedrale. «Er hob die Schultern.»Dann kamen von irgendwoher aus der Sonne noch zwei Fregatten, eine davon ein Vierundvierziger. «Er runzelte die Stirn, bis seine hellen Augen fast verschwanden.

54
{"b":"113381","o":1}