Catherine sagte in seine Gedanken:»Mit Somervells Tod ändert sich für uns nichts, Liebster. «Bolitho nickte. Catherine war frei, aber er nicht. Belinda würde in eine Scheidung niemals einwilligen.»Ich werde bei dir bleiben und dir helfen«, versprach er.
«Er hatte kaum Verwandte. Und die auch nur in Übersee.»
«Aber Freunde bei Hofe hatte er«, sagte Bolitho. Ihm fiel auf, daß sie ungern Somervells Namen nannte.
Sie nickte.»Allerdings war der König ungehalten über seine wilden Launen und seine Spielsucht. Er hat alles verspielt, was ich je besaß. Und nun werde ich erben, was von seinem Besitz noch übrig ist. Seltsam, nicht wahr?»
Nachmittags traf Jenour ein, außer Atem und schmutzbespritzt. Er hatte sechs Pferde auf dem Weg von Southampton nach London müde geritten, nachdem er dort von Lord Brownes Tod gehört hatte.»Mein Platz ist jetzt wohl bei Ihnen«, sagte er zu Bolitho.»Ich weiß, wie sehr Sie ihn geschätzt haben.»
Catherine war in Yovells Begleitung zu Somervells Notar gegangen und hatte Bolitho nicht mitnehmen wollen. Sie war also wieder frei und vielleicht sogar finanziell unabhängig, wenn Somervell Besitztümer hatte. Ob da Falmouth bei seiner häufigen Abwesenheit wirklich ein Ersatz für das Leben war, das sie in London kannte — und sich vielleicht wieder wünschte? Und was blieb ihr, wenn er fiel? Vorsichtig berührte er sein linkes Auge.
«Was kann ich für Sie tun, Sir Richard?»
Bolitho hatte Jenour fast vergessen.»Wir brechen nach Chatham auf, zu unserem neuen Flaggschiff. Und dann müssen wir noch zur Kriegsgerichtsverhandlung gegen Kapitän Varian. Er hat uns im Stich gelassen, genau wie er damals Poland auf Jamaika im Stich ließ.»
Jenour nickte.
Die Tür öffnete sich, ein Bote brachte Nachricht von Dr. Rudolf Braks, dem Augenarzt, daß sich Bolitho am nächsten Morgen um zehn Uhr bei ihm einfinden solle. Es wirkte mehr wie ein Befehl als wie eine Einladung.
Für Jenour klang der Name Braks ausländisch. Woher kannte er ihn? Sein Vater hatte ihn einmal erwähnt — aber in welchem Zusammenhang?
Bolitho bedankte sich mit einem Trinkgeld. Als er Catherine kurz darauf zurückkehren hörte, bat er Jenour:»Erwähnen Sie Braks nicht gegenüber Lady Catherine. Sie hat genug Probleme, um die sie sich jetzt kümmern muß.»
Sie begrüßte Jenour herzlich und umarmte Bolitho.»War es schlimm?«fragte er.
Sie hob die Schultern.»Noch nicht. Der Bericht des Arztes ging an die Behörden, und da beide Duellanten gefallen sind, kann niemand angeklagt werden. «Als Jenour das Zimmer verlassen hatte, fuhr sie fort:»Ich weiß, was du jetzt befürchtest, Richard, und wenn ich dich nicht so sehr liebte, wäre ich verärgert. Du hast mich aufgenommen, als ich keinen Penny besaß, jetzt kann ich auch etwas für dich tun, Liebster. «Sie blickte ins Kaminfeuer.»Wir müssen bald aufbrechen. Ich werde dieses Haus vermissen, von dem die Welt so weit entfernt war. «Sie schaute aus dem Fenster; immer noch rann Regen über die Scheiben.»Aber hier ist es dunkel geworden.»
Der Tag von Somervells Trauerfeier endete schneller, als beide dachten. In dem großen Haus am Grosvenor Square gingen Leute ein und aus, die sie kaum kannten, Freunde des Toten und Neugierige, die einen Blick auf die Leiche und Catherine werfen wollten.
Der Arzt, der an Olivers Totenbett gestanden hatte, war ebenfalls zugegen und fragte die Witwe, ob sie den Toten noch einmal sehen wolle.
Catherine schüttelte den Kopf.»Ich habe gewiß manche Fehler, aber eine Heuchlerin bin ich nicht!»
Es gab nur einen bösen Zwischenfall, als der letzte Besucher des Tages gemeldet wurde: Oberst Collyear von der Königlichen Gardekavallerie. Er war ein großer, arroganter Soldat mit grausamem Mund.»So sehen wir uns also doch noch mal«, sagte er zu Lady Catherine.»Ich fände es grotesk, Ihnen mein Beileid auszusprechen. Doch der Anstand verlangt, daß ich Ihrem toten Gatten einen letzten Gruß entbiete.»
Dann bemerkte er Bolitho und fuhr in demselben überheblichen Ton fort:»Zuerst dachte ich, Sie seien sein Gegner gewesen, Sir. In dem Fall hätte ich Sie gefordert.»
Ruhig antwortete Bolitho:»Sie finden mich jederzeit bereit, falls Sie es wagen sollten, mich oder diese Dame zu beleidigen. Zwingen Sie mich nicht dazu, den Ernst dieses Tages zu vergessen.»
Catherine sagte nur:»Bitte gehen Sie. Jedes weitere Wort wäre zuviel.»
Sporen und Säbel klirrten, als der Mann sich steif verabschiedete.
Bolitho mußte an den Ersten Offizier der Hyperion denken, der mit dem Schiff untergegangen war. Leutnant Parris war verwundet worden und hatte sich erschossen, um nicht unter das Messer des Chirurgen zu kommen. Aber zuvor hatte er ihm noch seine unselige Leidenschaft für Somervell gestanden. Der arrogante Oberst Collyear war sicherlich auch so ein Männerfreund des Viscount gewesen.
Jenour lehnte an einer Säule.»Ist sein Steward noch im Haus?«fragte ihn Catherine.
«Ja, Mylady. Ich fand ihn in seinem Zimmer, weinend.»
«Geben Sie ihm sein Geld und schicken Sie ihn weg. Ich möchte ihn nicht mehr im Hause haben. «Sie wandte sich an Bolitho.»Dieses Haus gehört nun mir, aber mein Heim wird es nie. «Sie küßte ihn.»Ich könnte dich hier nicht umarmen.»
Als die Diener Stroh auf der Straße ausgebreitet hatten, um den Lärm vorbeirollender Kutschen zu dämpfen, und die Haustür abgeschlossen war, saßen beide immer noch vor dem Kaminfeuer, das langsam verglühte.
Ozzard legte später Holz nach, sah, daß beide auf der Couch unter Bolithos schwerem Mantel ruhten, und verließ den Raum. In der Küche stieß er auf Allday.
«Trink einen Schluck mit«, schlug der Bootssteurer vor.»Übrigens, du bist doch ein gelehrter Mann…»
«Wieso?«Ozzard verbarg seine Überraschung. Ahnte Allday etwas, wußte er gar, was damals im Haus des Schreibers geschehen war?
«Ich habe hier ein Buch gefunden über Schafzucht. Lies mir daraus vor.»
Der große Bootssteurer und der kleine Diener ließen sich am Küchentisch nieder.
XV Ein letzter Dienst
Kapitän Valentine Keen sah aufmerksam über sein neues Schiff, drehte sich dann um und ging nach achtern, wo im Schutz des Achterdecks hohe Offiziere und Herren der Admiralität auf ihn warteten. Black Prince, ein Linienschiff mit vierundneunzig Kanonen, hatte drei Monate früher als geplant in Dienst gestellt werden können. Jetzt mußten nur noch die letzten Formalitäten erledigt werden, dann unterstand dieser riesige Dreidecker ganz seinem Kommando.
Nebenan ankerte ein Linienschiff, das mit seinen vierundsiebzig Kanonen so groß war wie die alte Hyperion, die ihnen damals so gewaltig vorgekommen war. Jetzt wirkte der Ankerlieger neben der Black Prince klein. Ob sein neues Schiff wohl so gut segeln und manövrieren würde wie das alte?
Keen dachte daran, daß in dieser Werft vor vierundsiebzig Jahren auch Nelsons alte Victory auf Kiel gelegt worden war. Was mochte aus der Navy in den nächsten vierundsiebzig Jahren wohl werden? überlegte er. Dann lüftete er grüßend den Hut vor dem Hafenadmiral und nahm Haltung vor Bolitho an.»Das Schiff ist bereit, Sir Richard!«Er wartete, spürte hinter sich die Stille, wo Offiziere und Mannschaften angetreten waren, um an der offiziellen Übergabe der Black Prince teilzunehmen. Auf nahen Mauern und Hellingen saßen Dockarbeiter im kalten Wind. Sie konnten mit Recht stolz auf ihre Arbeit sein.
Diesen Stolz gab es bei der Besatzung noch nicht. Einige Leute waren ihm überstellt worden von Schiffen, die hier zur Reparatur lagen oder neu ausgerüstet wurden. Aber den größten Teil hatten die Preßkommandos aus dem nahen Binnenland und aus kleinen Häfen gebracht: Abschaum, Herumtreiber, die durch gutes Beispiel oder Brutalität erst zu Seeleuten gemacht werden mußten.
Bolitho sah müde aus und erschöpft. Das Gefecht auf der Truculent hatte viel von ihm gefordert. Keen konnte sich gut vorstellen, wie Bolitho seinen hohen Rang vergessen hatte, um das Schiff anstelle des gefallenen Kapitäns zu führen. Er hatte mit Bolitho schon auf so vielen Schiffen gedient, daß er sich fragte, wie der Admiral all die Gefahren bisher überlebt hatte.