Литмир - Электронная Библиотека

Catherine wollte schon zur Treppe eilen, doch Bolitho sah, wie die Haushälterin den Kopf schüttelte. Da sagte er:»Bleib hier, Kate, und kümmere dich um Mrs. Robbins. Laßt euch was Heißes zu trinken bringen. Ich bin bald wieder unten.»

Ein älterer Diener saß oben vor der großen Tür, zu betroffen, um zu grüßen. Bolitho erinnerte er an Allday.

In dem großen Raum war es dunkel, drei Männer saßen im Lichtschein der Lampe an Brownes Bett. Einer, offensichtlich der Arzt, hielt seine Hand und zählte den Puls.

Ein anderer sagte leise:»Er ist gekommen, Oliver.»

Sie machten ihm Platz, und Bolitho setzte sich auf die Bettkante. Da lag der Mann, der sein Flaggleutnant gewesen war, bis er seines Vaters Adelstitel und Besitz geerbt hatte. Er trug ein Tageshemd, und seine Haut glänzte vor Schweiß. Seine Augen weiteten sich, als er Bolitho erkannte. Er flüsterte:»Es geht dir gut — schön. Ich dachte schon, du lebst nicht mehr.»

«Nur ruhig, Oliver, ruhig. Was ist denn passiert?«fragte Bolitho den Arzt.

Wortlos hob dieser einen Verband an. Das Hemd war aufgeschnitten, die Brust mit Blut bedeckt.

Eine Schußwunde.»Wer war das?«fragte Bolitho.

«Näher, komm näher!«Brownes Stimme trug nicht mehr weit.

Bolitho senkte das Ohr dicht an den Mund des jungen Mannes. Wie oft war er unbewegt mit ihm über das Achterdeck geschritten, wenn um sie herum die Hölle tobte. Ein tapferer junger Mann, der hier seinen letzten Kampf verlor.

«Es war Somervell. Ein Duell. «Jedes Wort schmerzte ihn, doch er gab nicht nach.»Deine Lady ist jetzt Witwe. «Er biß sich auf die blutleeren Lippen.»Aber mich hat's auch erwischt.»

Verzweifelt fragte Bolitho den Arzt:»Können Sie denn nichts für ihn tun?»

Der schüttelte den Kopf.»Daß er so lange überlebt hat, ist schon ein Wunder. «Browne griff nach Bolithos Arm.»Der verdammte Somervell hat damals auch meinen Bruder getötet«, flüsterte er mühsam.»Jetzt hab' ich's ihm heimgezahlt. «Sein Kopf rollte zur Seite, er hatte seine letzte Kraft verbraucht und war für immer verstummt.

Bolitho drückte ihm die Augen zu. Nach einer Weile stand er auf.»Ich sage es jetzt Catherine, Oliver. «Sein Auge schmerzte ihn stärker als je zuvor. Er ging zur Tür, wollte noch etwas sagen, spürte aber, daß niemand ihm zuhörte, und schloß die Tür leise von außen.

Unten wartete Catherine auf ihn mit einem Glas Brandy.»Ich weiß es schon«, sagte sie.»Allday ist wieder da und hat es mir erzählt. Browne hat meinen Mann getötet und wurde dabei selbst tödlich verwundet. Es tut mir so leid um deinen Freund, aber für meinen Mann empfand ich schon lange nur noch Abscheu. «Sie reichte ihm das Glas.

«Oliver prägte das Wort von den wenigen Beglückten«, sagte er.»Diese Schar ist mit seinem Tod noch viel kleiner geworden.»

In der Küche saß Allday vor einer Lammpastete, von der er nur die Hälfte geschafft hatte, stopfte seine Pfeife und sagte:»Ein Krug Bier wäre jetzt willkommen, liebe Mrs. Robbins. Und bei längerem Nachdenken auch noch etwas von dem schönen Rum da drüben!»

Die Haushälterin war betroffen vom Tod ihres Herrn und besorgt um ihre eigene Zukunft. Lord Oliver, wie man ihn in der Küche nannte, war der letzte der Familie. Nach seinem Tod würden Titel und Besitz an einen entfernten Cousin übergehen — und was wurde dann aus ihr?

«Wie können Sie nur in dieser traurigen Stunde so unbeschwert essen, trinken und rauchen?«fragte sie böse.

Allday sah sie aus rotgeränderten Augen an.»Das will ich Ihnen erklären. Ich habe überlebt«, er zeigte nach oben,»wir haben überlebt. Ich vergieße für jeden toten Kameraden eine Träne, aber wirklich kümmern tu' ich mich nur um uns!»

Sie schob ihm den Steinkrug zu, obwohl er schon angetrunken war.»Benehmen Sie sich bloß anständig, wenn die Bestatter nachher die Leiche abholen. Adel oder nicht, das Duell war gegen das Gesetz!»

Schnell zog sie den Becher Rum weg, als Alldays Kopf auf den Tisch fiel. In diesem Haus war der Krieg immer sehr weit entfernt gewesen, hier hatte nie Mangel geherrscht. Nur wenn Lord Oliver selbst auf See gewesen war, hatte man an den Krieg gedacht. Doch mit Alldays letztem Satz war er wieder zurückgekehrt.

Sie hörte eine Tür klappen. Sicher gingen die beiden jetzt zur Totenwache nach oben. Ihre strengen Züge wurden mild. Lord Oliver hätte es gefreut, so gute Freunde an seiner Bahre zu wissen.

Der Arzt, der beim Duell dabeigewesen war, machte kein Hehl daraus, daß er es eilig hatte, das Haus zu verlassen. Er konnte nichts mehr tun, beide Duellanten waren tot.

«Oliver hat also in einem Brief hinterlassen, daß er in Sussex bestattet werden wollte?«fragte Bolitho.»War er denn so sicher, daß er sterben würde?»

Der Arzt sah kummervoll zu Catherine am Kamin hinüber und antwortete leise:»Viscount Somervell galt als erfahrener Duellant. Lord Brownes Brief war nur eine kluge Vorsorge.»

Unten an der Treppe wurde geflüstert, Türen öffneten und schlossen sich. Man bereitete alles für die Überführung des Toten auf den Familiensitz in Sussex vor.

Catherine sagte:»Mein letzter Dienst an Somervell ist hoffentlich bald getan. Keine Sorge, Richard, ich werde dich dabei nicht enttäuschen. «Sie nahm seine Hand, als seien sie beide allein im Raum.

Wieder einmal war Bolitho überrascht von ihrer Kraft. Mit Hilfe des Doktors hatte sie Somervells Leiche bereits in das große Haus am Grosvenor Platz bringen lassen. Mußte sie nun in jenem Haus alle Vorkehrungen für die Beerdigung ihres Mannes treffen? Er streichelte ihre Hand. Wenn sie das tun mußte, würde er ihr dabei helfen. Den Skandal konnte das kaum noch verschlimmern.

Ein Diener mit verweinten Augen öffnete die Tür.»Pardon, aber der Leichenwagen ist jetzt da.»

Neue Stimmen, viele Schritte, dann trat ein kräftiger Mann in dunkler Kleidung ein und stellte sich als Hector Croker vor, der Verwalter des Browneschen Landsitzes. Er mußte sofort aufgebrochen und ohne Rast und Ruh über die gewundenen

Landstraßen nach London gejagt sein. Der Arzt übergab ihm einen Umschlag mit Papieren, offensichtlich sehr erleichtert.

Croker sah Mrs. Robbins zwischen ihren Taschen und Koffern stehen.»Sie fahren mit uns. Seine Lordschaft hat bestimmt, daß Sie auf dem Gut bleiben. «Mrs. Robbins verschwand ohne langen Abschied.

Im Erdgeschoß beobachteten sie, wie dunkelgekleidete Männer den Sarg durch die Halle und in den Wagen trugen. Bolitho folgte ihnen und gab ihrem Vormann ein paar Münzen. Catherine trat zu ihm vor die Tür und schob eine Hand unter seinen Arm.»Auf Wiedersehen, Oliver. Ruhe in Frieden.»

Ein Regenschauer jagte heran, aber sie blieben mit entblößten Häuptern draußen stehen, bis der Wagen abgebogen war.

Im Haus wandte sich Yovell an Bolitho:»Soll ich packen, Sir Richard?»

Catherine kam seiner Antwort zuvor.»Ich packe selber, Sie werden anderweitig viel zu tun haben. «Sie sah Bolitho an:»Du willst doch bestimmt an Val schreiben, aber auch an Konteradmiral Herrick.»

«Ja«, sagte Bolitho nachdenklich.»Sie kannten Oliver so gut wie ich.»

Valentine Keen war in Chatham dabei, die Black Prince in Dienst zu stellen. Das Schiff war inzwischen vom Stapel gelaufen, doch nun begann die aufreibendste Arbeit. Erfahrene Seeleute und Unteroffiziere mußten gesucht werden, es gab endlose Verhandlungen mit den Proviantverwaltern. Wenn man nicht alles kontrollierte, wurde oft schlechtere Ware als bestellt angeliefert, auf daß sich Krämer und Zahlmeister den Gewinn teilen konnten. Aus einem Eichenwäldchen ein gut funktionierendes Kriegsschiff zu machen, einen Baustein in den hölzernen Mauern, die England schützten, das war eine kräftezehrende, schier endlose Aufgabe.

Bolitho mußte auch Adam benachrichtigen, der die lecke Truculent mit seiner Anemone in den Hafen geschleppt, aber dort kaum Zeit zum Ankern gehabt hatte, so schnell wurde er wieder auf See gebraucht. Auch Adam war einer von Bolithos früheren Flaggleutnants. Mehr als andere wußte gerade er, wie sehr dieser Posten den Mann an den Admiral band.

45
{"b":"113381","o":1}