«Ich gehe jetzt, Thomas. «Es war schrecklich zu beobachten, wie der Schmerz diesen Mann zerstörte. Was brach da aus ihm heraus? Hatte er diesen Vorbehalt gegen Bolitho etwa jahrelang in seiner Seele verborgen? Später würde er diese Worte sicherlich bereuen.
«Wenn du in England bist, erinnere dich an all das Schöne, das du mit Dulcie zusammen erlebt habt. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.»
Herrick erhob sich unsicher.»Was macht dein Auge? Geht es dir besser?«Trotz Alkohol und Trauer erinnerte er sich plötzlich daran, daß Bolitho auf diesem Schiff fast gefallen wäre.
«Danke, es geht, Thomas. «Bolitho nahm Hut und Mantel.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Kapitän Gossage schaute herein.»Ich wollte dem Konteradmiral melden, daß der Wind auffrischt. «Er sah zu Herrick hinüber, der zusammengesunken auf der Heckbank saß und sich nicht rührte.»Ich lasse die Fallreepswache antreten, damit Sir richtig verabschiedet werden, Sir Richard.»
«Nein, lassen Sie nur meine Barkasse rufen. «Dann drückte er die Tür zu und sagte so leise, daß der Posten es nicht hören konnte:»Kümmern Sie sich bitte um den Admiral. Da sitzt ein tapferer Mann, der schwer getroffen wurde — wenn auch nicht durch feindliches Feuer.»
So grimmig und traurig hatte Jenour seinen Admiral noch nie gesehen. Als dieser wieder an Deck kam, unterließ er jede Frage, warum ihn der Konteradmiral nicht gebührend verabschiedete, und meinte nur mit etwas erzwungener Fröhlichkeit:»Da drüben liegt die holländische Küste, jetzt leider wegen eines Schauers außer Sicht.»
Bolitho betastete sein Auge, als Schmerz es durchzuckte wie eine böse Erinnerung.»Liegt die Barkasse längsseits, Stephen?«Als Jenour ging, um nachzuschauen, murmelte er:»Ich wünschte, es wäre nicht Holland, sondern Cornwall!»
Dann kletterte er die Leiter hinunter in die schaukelnde Barkasse. Die See hatte ihn wieder.
Leutnant Stephen Jenour klemmte sich den Hut unter den Arm und betrat Bolithos Tageskajüte. Oben an Deck war es noch immer sehr kalt, doch ein Atemschöpfen des Windes hatte die Wellen etwas beruhigt. Wäßriges Sonnenlicht brachte einen Anschein von Wärme in die vollen Messedecks, und auch hier in der großen Kajüte meinte Jenour, sie zu spüren. Bolitho beugte sich über eine Karte mit dem Operationsgebiet des Geschwaders. Er sah müde aus, aber ruhiger als beim Abschied von seinem Freund auf der Benbow. Jenour ahnte nur, was zwischen den beiden vorgefallen war und wie sehr es Bolitho getroffen hatte. Durch die großen Heckfenster sah er zwei Vierundsiebziger des Geschwaders, die Glorious und die alte Sunderland, die keinen Seekrieg ausgelassen hatte. Sie mußte jetzt, überlegte Jenour, etwa so alt sein wie die Hyperion.
Nach Benbows Ausscheiden unterstanden Bolitho neben der Black Prince noch fünf Linienschiffe, und zwei weitere, die Tenacious und die Valkyrie, lagen in England im Reparaturdock. Jenour wunderte sich, daß Konteradmiral Herrick die Schiffe nach Hause geschickt und damit das Geschwader geschwächt hatte, ohne erst Bolithos Ansicht darüber abzuwarten. Aber er hielt sich mit seinen Fragen zurück.
Plötzlich merkte Jenour, daß Bolitho ihn schon eine ganze Weile lang anschaute. Er meldete errötend:»Ihre Kommandanten sind jetzt an Bord versammelt, Sir Richard. Lediglich der Kommandant der Zest fehlt, er macht Wachdienst wie befohlen.»
Bolitho nickte. Vor vierzehn Tagen war Herrick nach England abgesegelt. Seither herrschte besseres Wetter, deshalb hatte er sein Geschwader zusammenziehen können. Die Schiffe dümpelten auf der silbern glänzenden Nordsee. Zum erstenmal waren alle Kommandanten gleichzeitig an Bord der Black Prince.
«Was macht unsere Kurierbrigg?»
Wieder einmal errötete Jenour. Konnte Bolitho ahnen, daß der Ausguck im Masttopp der Glorious die Brigg bereits gemeldet hatte? Seit seinem Morgenspaziergang auf dem Achterdeck war er doch in seiner Kajüte geblieben.
Bolitho sah Jenours Verwirrung und lächelte.»Das Signal wurde an Deck wiederholt, und ich war draußen auf der Heckgalerie. Sie hat ihre Vorteile, man hört dort vieles, auch was nicht unbedingt für den Admiral bestimmt ist.»
Er hatte die Hoffnung, daß die kleine Kurierbrigg Mistral vielleicht einen Brief von Catherine mitbrachte. Aber sie hatte bestimmt noch keine Zeit gefunden, ihm so bald nach seiner Abreise zu schreiben.
«Der Kommandant der Brigg wird sich sofort an Bord melden, wenn er heran ist«, antwortete Jenour.
Bolitho dachte an die Kommandanten, die draußen darauf warteten, ihn kennenzulernen: alles erfahrene Männer, doch keiner ein Freund. Vor Jahren war er aufgeregt gewesen, wenn er als Kommandant zum ersten Mal vor seine Offiziere und Mannschaften hingetreten war. Inzwischen wußte er, daß die anderen viel aufgeregter waren als er selbst.
«Bitten Sie Kapitän Keen, die Herren zu mir zu führen. Er war übrigens ganz überrascht, die Nicator in unserem Geschwader zu finden. Er hat sie vor sechs oder sieben Jahren geführt, in der Schlacht vor Kopenhagen. Schon damals war sie so verrottet, daß Keen immer behauptete, von der Ewigkeit trenne ihn nur ein Kupferblech.»
«Haben wir denn immer noch zu wenig Schiffe?»
Bolitho beobachtete den Flug der Möwen draußen, die ständig ihre Farbe zu wechseln schienen.»Ja. Darum wären die dänischen Schiffe so wichtig für uns. Vielleicht wird nichts daraus, aber wer weiß?«Er wurde ungeduldig.»Bitten Sie Ozzard, unsere Gäste mit Wein zu bewirten.»
Jenour verschwand in die Anrichte, wo Ozzard und ein zweiter Diener Gläser polierten und in ihre Ständer klemmten, damit sie nicht im Seegang wegrutschten und zerbrachen.
Bolitho streichelte den kleinen Weinschrank von Catherine. Herrick mußte jetzt zu Hause sein. Bei seiner Ankunft würden ihm die Wärme und Bewunderung Dulcies am meisten fehlen. Vielleicht warf er ihm insgeheim vor, er habe die Benbow nur ins Dock befohlen, um endlich den Oberbefehl über dieses Geschwader zu bekommen? Er verbot sich solche Spekulationen. Wer verbittert über einen Freund war, der kam immer auf schlimme Gedanken.
Die Tür öffnete sich, Keen führte die Kommandanten herein, die sich Bolitho namentlich vorstellten. Was er sah, war eine Mischung aus Erfahrung, Können und Neugier. Bis auf einen hatten alle ihren vollen Kapitänsrang. Ozzard umschwirrte sie mit seinem Tablett, doch aller Augen wandten sich dem eintretenden jungen Kommandanten der Fregatte Anemone zu, der eher wie ein jüngerer Bruder als wie ein Neffe des Admirals aussah.
Bolitho gab Adam die Hand, aber dann konnte er sich nicht zurückhalten und umarmte ihn. Das gleiche dunkle Haar, die gleichen Bewegungen. Bolitho hielt Adam auf Armlänge von sich ab und studierte sein Gesicht. Der junge Mann hatte erreicht, wovon er immer geträumt hatte: Kommandant einer Fregatte zu sein. Er war jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Auch Bolitho war sechsundzwanzig gewesen, als er seine erste Fregatte übernommen hatte. Zufall?
Leise sagte Adam:»Ich freue mich, dich wiederzusehen, Onkel. Wir hatten viel zu wenig Zeit damals, als ich die Truculent in den Hafen schleppte.»
Ohne dich und deine Anemone hätten uns die drei Franzosen zu Treibholz geschossen und ich wäre jetzt tot, dachte Bolitho. Denn niemals wieder wäre er in Gefangenschaft gegangen.
Keen bat die Kommandanten, Platz zu nehmen. Jeder ordnete dabei, was er sah, in das Bild ein, das er sich von Bolitho gemacht hatte.
Bolitho richtete sich auf und sah sie alle der Reihe nach an.
«Ich wollte Sie so schnell wie möglich kennenlernen, meine Herren. Denn ich habe festgestellt, daß einem später zu oft die Zeit fehlt, miteinander zu reden. «Einige Gesichter lächelten.»Tut mir leid, daß zwei unserer Kommandanten nicht dabei sind. «Er zögerte einen Augenblick; machte er damit nicht Herrick einen Vorwurf? Doch Herrick hatte die beiden Schiffe nach Hause geschickt, ohne auf seinen Rat zu warten.»Dies ist nicht die rechte Zeit, die Zügel locker zu lassen. Viele von uns haben den Sieg in Trafalgar miterlebt, der angeblich alle Gefahren für unser Land beseitigt hat. So hört man es jedenfalls in London und auch innerhalb der Flotte. Doch nur ein Narr könnte glauben, die Zeiten würden friedlicher, solange Napoleon regiert. Wir brauchen jedes Schiff und jeden Mann, der darauf kämpft. Die Franzosen werden ihre Terraingewinne konsolidieren, und sie haben ja bewiesen, daß ihnen kaum ein Landheer widerstehen kann. Wer weiß, welche Talente sie gegen uns in See schicken, wenn sie endlich wieder so viele Schiffe haben, wie sie brauchen? Die französische Marine wurde durch die Revolution geschwächt, die in ihrer blutigsten Zeit unter den Seeoffizieren genauso viele Opfer forderte wie unter den Aristokraten. Doch neue Anführer wachsen heran, und gegen diese müssen wir uns wappnen. «Er fühlte sich plötzlich leer und wie ausgehöhlt.»Haben Sie Fragen?»