Bolitho richtete sich auf.»Haben Sie Namen erkennen können, Mr. Evans?»
«Nun ja, wir hatten's eilig, als sie mit ihrer Bugkarronade auf uns schoß. Da rissen wir die Hufe hoch und verschwanden.»
«Es war die Intrepide, habe ich recht?»
Evans starrte ihn an.»Woher wissen Sie das, Sir?»
«Nur eine Vorahnung. «Aber er spürte ganz deutlich, daß es bald losgehen würde.»Wie groß war das Linienschiff, was schätzen Sie?»
Evans trank einen zweiten Becher Rum, dann wischte er sich mit dem Handrücken die Lippen.»Genau kann ich das nicht sagen. «Er maß die Kajüte mit Blicken.»Jedenfalls größer als dieses Schiff, Sir Richard.»
«Wie bitte?«Bolitho sah Keen überrascht an.»Das muß ein Irrtum sein. Kein einziges Feindschiff mit mehr als vierundsiebzig Kanonen hat Trafalgar überlebt. Entweder sanken sie in der Schlacht oder im Sturm, der folgte. «Fast anklagend sah er Evans an.»Und kein Agent hat uns vom Neubau eines so großen Schiffes berichtet.»
Der Leutnant lächelte. Er war seinen Bericht losgeworden, die Verantwortung lag jetzt bei anderen, und der Rum war gut.»Ich habe aber eines gesehen, Sir Richard. Ich fahre seit fünfundzwanzig Jahren zur See und kenne Schiffe. Ich bin kein grüner Junge mehr!»
«Ich möchte, daß Sie diese Nachricht nach Portsmouth bringen. Sie ist eilig und wichtig.»
«Die Nore wäre schneller zu erreichen, Sir Richard.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»In Portsmouth gibt es den optischen Telegrafen, der ist schneller. «Er sah, daß Evans einen dritten Becher Rum trank.»Sie haben doch einen verläßlichen Ersten?»
Der rauhe Waliser verstand, was gemeint war.»Keine Sorge, Sie können sich auf mich verlassen, Sir Richard. Am Montag bin ich in Portsmouth.»
«Außerdem gebe ich Ihnen einen Privatbrief mit. Würden Sie ihn bitte mit der Pferdepost nach Falmouth expedieren?»
Der Mann grinste breit.»Aber sicher doch, Sir Richard. Ich kenne die Burschen am Portsmouth Point, sie sind mir noch einen Gefallen schuldig.»
Um die Mittagszeit war der Schoner wieder unterwegs, und der Neid derer folgte ihm, die wußten, daß England sein Ziel war.
Tief unten im Rumpf hatten zwei Männer, angeleitet vom Gehilfen des Zahlmeisters, ein Faß Pökelfleisch aus der Last geholt und an Deck hieven lassen. Nun saßen die beiden in der Dunkelheit unten und leerten noch eine Flasche Cognac: Fittock, der ausgepeitscht worden war, und Duthy, ein Reepschläger aus Devon, erfahrene Seeleute beide.
Sie sprachen leise, weil sie wußten, daß sie sich hier eigentlich nicht aufhalten durften. Aber wie viele erfahrene Salzbuckel haßten sie es, zusammen mit den Neulingen zu leben.
«Ich fresse einen Anker vor Freude, wenn meine Dienstzeit um ist, Jim. Wenn ich heil an Land komme, weiß ich schon, was ich mache.»
Fittock schmeckte dem Cognac nach. Kein Wunder, daß die Herren Offiziere ihn mochten. Er nickte. »Wenn du heil an Land kommst, das ist der Punkt!»
«Glaubst du denn, wir werden hier je ein Gefecht erleben?»
Fittock juckten die Peitschennarben auf seinem Rücken, er rieb sich an einem Faß.»Du kennst doch das alte Sprichwort: Wenn der Tod durchs Schiff rast, soll er's halten wie mit dem Prisengeld.»
Sein Freund schüttelte den Kopf.»Versteh' ich nicht, Jim.»
Fittock lachte.»Mögen die Offiziere das meiste abbekommen!»
«Was machen Sie denn hier?«schnitt da eine Stimme durch die Dunkelheit.
Beide sprangen auf, als Midshipman Vincent seine Lampe hob und schadenfroh grinste. Hinter ihm stand mit weißem Koppel und gekreuzten weißen Brustriemen der Profos.
Kalt sagte Vincent:»Abschaum wie Sie lernt es wohl nie, Fittock!«Duthy protestierte:»Wir haben nichts Verbotenes gemacht, Sir. Haben hier unten nur gesessen und geredet.»
«Lüg mich nicht an, du Schwein!«Vincent streckte die Hand aus.»Gib mir die Flasche! Dafür werdet ihr ausgepeitscht.»
«Sie denken wohl, Sie können sich alles leisten, weil Ihr Onkel hier Vizeadmiral ist, Sie Scheißkerl? Ich habe lange unter ihm gedient, Sie gehören einfach nicht auf dasselbe Schiff wie er.»
«Korporal, nehmen Sie den Mann fest!«Vincent schrie jetzt fast.»Das ist ein Befehl!»
Der Korporal tat, als wolle er sein Gewehr von der Schulter nehmen.»Komm, Jim Fittock, du kennst die Regeln. Mach uns keinen Ärger.»
Plötzlich waren Schritte zu hören, weiße Kniehosen erschienen im Lampenlicht. Midshipman Segrave sagte ruhig:»Es wird keinen Ärger geben, Korporal.»
«Was wollen Sie, Segrave? Diese Männer haben getrunken, das ist verboten. Als ich sie entdeckte…»
«Waren sie sicher wieder aufsässig, nehme ich an?«Segrave war überrascht, wie leicht ihm die Maßregelung Vincents fiel.»Haut ab, ihr beiden!«Er drehte sich zum Korporal um, der ihn dankbar anlächelte.»Und Sie verschwinden hier auch, ich brauche Sie nicht.»
«Und der Cognac?«schrie Vincent.»Das ist der Beweis!»
Aber die Flasche war wie durch ein Wunder verschwunden. Im Gehen sagte Fittock leise zu Segrave:»Das werde ich Ihnen nie vergessen, Sir.»
«Noch was, Korporal!«Die gewichsten Stiefel und der weiße
Beinschutz verhielten auf der Leiter.»Schließen Sie bitte die Luke, wenn Sie oben sind!»
Vincent starrte Segrave ungläubig an.»Sind Sie ganz und gar verrückt geworden?»
Segrave zog seine Jacke aus und ließ sie fallen.»Ich kannte mal jemanden wie Sie. «Er rollte seine Ärmel auf.»Er machte allen das Leben zur Hölle.»
Vincent versuchte verächtlich zu lächeln.»Und das haben Sie wohl nicht ausgehalten?»
Segrave wunderte sich, wie kühl er blieb.»Stimmt, ich habe es nicht ausgehalten. Dann traf ich eines Tages Ihren Onkel und einen Mann mit halbem Gesicht. Seitdem konnte ich mit der Angst leben — und kann es immer noch.»
Oben klappte die Luke zu.
«Schon die ganze Zeit beobachte ich, wie Sie sich hinter dem Namen Ihres Onkels verstecken und Leute quälen, die sich nicht wehren können. Kein Wunder, daß man Sie bei der Ostindischen Kompanie gefeuert hat. «Da hatte er nur geraten, aber offensichtlich ins Schwarze getroffen.
«Ich fordere Sie!«rief Vincent.
Ein Faustschlag warf ihn zu Boden, aus seiner geplatzten Lippe rann Blut. Segrave taten die Fingerknöchel weh, aber in den Schlag hatte er Jahre des Leidens gelegt.»Zum Duell, du Muttersöhnchen?«Wieder schlug er zu.»Duelle sind was für Männer. Ich duelliere mich nicht mit Zwergen.»
Vier Decks über ihnen ging Leutnant Flemyng auf und ab und schaute ungeduldig auf die Sanduhr. Schließlich fuhr er einen Gehilfen des Bootsmanns an:»Holen Sie mir Mr. Vincent! Der treibt sich bestimmt wieder irgendwo rum.»
Der Mann wollte loseilen, aber der Erste Offizier stoppte ihn.»Noch nicht, Mr. Flemyng. «Und als der Dritte ihn fragend ansah:»Mr. Vincent braucht noch etwas Zeit!»
Admiral Lord Godschale wedelte mit einem parfümierten Taschentuch vor seiner Adlernase und klagte:»Der Fluß riecht heute abend ganz widerlich!»
In seiner Paradeuniform mit den goldenen Epauletten sah er sehr beeindruckend aus. Stolz und zufrieden blickte er auf die bunte Schar seiner Gäste, die sich auf der weitläufigen Terrasse seines
Hauses in Greenwich versammelt hatten. Es war wirklich heiß, und erst der Abend würde den Offizieren in ihren blauen und roten Tuchröcken Erleichterung bringen. Auf dem Fluß, der sich hier nach Blackwall Reach hinunter wand, segelten Frachtkähne, Fischer holten ihre Netze ein, und immer wieder sah man Jollen schnell das Fahrwasser queren. Das Haus machte großen Eindruck, und Godschale war froh, es so günstig erstanden zu haben. Sein Vorbesitzer hatte, als der Krieg mit Frankreich ausbrach, sein Land und allen Besitz verkauft und war nach Amerika geflohen. Der Lordadmiral sah zu, wie sich Sir Charles Inskip einen Weg durch die Gäste bahnte, hier ein Wort verlor, dort ein Kompliment anbrachte — ganz der geborene Diplomat. Aber Godschale fühlte sich unwohl in seiner Gegenwart.
Inskip trat neben ihn und nahm ein Weinglas vom Tablett eines schwitzenden Dieners.»Was für eine großartige Gesellschaft, Mylord!»