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«Ich würde vorschlagen, der Erste Offizier steht am Fockmast. So kann er jede Kanone kontrollieren und sie notfalls selber richten. Wir werden keine Zeit haben für einen zweiten Versuch.»

Als Poland zu Williams ging und die beiden miteinander sprachen, forderte Bolitho Jenour auf:»Begleiten Sie mich. Ich fürchte, es wird ein heißer Tag, also bleiben Sie immer in Bewegung.»

Allday rieb sich die Brust, denn die alte Narbe machte sich wieder bemerkbar. Plötzlich dachte er an Bolithos Angebot. Eine kleine Kneipe in der Nähe von Falmouth, mit einer rotbäckigen Witwe, die man in den Arm nehmen konnte… Nicht schlecht. Keine Gefechte mehr, nicht mehr den Donner der Kanonen, nicht mehr das Schreien der Sterbenden, das Brechen der Spieren.

«Das erste Schiff rennt aus!»

Poland schaute nur kurz zu Bolitho hin, dann kam sein Befehl:»Stückpforten auf! Steuerbordbatterie laden und ausrennen!»

Er hatte verstanden und tat das Richtige. Hätte er beide Batterien ausfahren lassen, hätte der Gegner seine Absicht so klar erkannt, als hätte er sie ihm durch Flaggensignale mitgeteilt.

«Noch nicht feuern!»

Quietschend wie eine aufgescheuchte Schweineherde rollten die Achtzehnpfünder zu ihren Pforten und steckten die Rohre ins Freie. Die Mannschaften beobachteten einander genau, damit die Breitseite gleichzeitig abgefeuert werden konnte.

Weit entfernt krachte es dumpf, und Augenblicke später stieg eine Wassersäule fünfzig Meter an Steuerbord voraus auf: ein Probeschuß, um die Entfernung zu messen.

Poland fuhr sich übers Gesicht.»Klar zur Wende, Mr. Hull!»

Bolitho ging langsam an den gespannt wartenden Rudergasten vorbei. Die Männer wußten, daß sie schon der kleinste Fehler bei soviel gesetzter Leinwand unter einem Berg gebrochener Masten und Spieren begraben würde. Der junge Zweite am Kartentisch richtete sich auf, als Bolithos Schatten über das Logbuch fiel, in das er gerade den Zeitpunkt des ersten Schusses eingetragen hatte.

«Kann ich etwas für Sie tun, Sir Richard?»

«Ich habe nur aufs Datum gesehen. Vielen Dank. «Bolitho berührte das Medaillon unter seinem Hemd. Heute war Catherines Geburtstag. Möge die Liebe dich immer schützen, stand auf dem Medaillon eingraviert, das sie ihm geschenkt hatte. Ihm war, als höre er sie diese Worte laut aussprechen.

Polands Faust knallte in die offene Hand.»Jetzt. Ree!«Sekunden später waren die Segel dichtgeholt, und die See lag vor ihnen wie eine Bühne, vor der sich ein Vorhang gehoben hatte.

«Ruder nach Lee. Hart nach Lee, verdammt noch mal!»

Rufe schallten übers Deck, als die Männer sich in die Brassen warfen, um die Rahen rundzuholen, bis das Deck sich nach dem abrupten Kurswechsel auf die andere Seite neigte. Mannschaften verließen ihre Kanonen und rannten nach Backbord, um den Kameraden dort zu helfen. Als die Pfortendeckel aufschlugen, rannten sie die Kanonen aus, was auf dem schräg nach unten geneigten Deck leichter ging. Gischt sprühte durch die Luken, und mancher glotzte verwundert, als vor seinen Augen eine Fregatte auftauchte, die eben noch auf der anderen Seite gewesen war.

«Ziel erfassen!«Leutnant Williams hob seinen Degen, während er von der Bugkarronade aus seine Geschütze musterte.»Eine Guinee für den ersten Treffer!»

Midshipman Brown neben ihm schrie:»Ich verdopple den Preis!«Sie grinsten einander an.

«Feuer!»

Die Batterie krachte wie eine einzige Kanone. Die ohrenbetäubenden Stimmen der langen Achtzehnpfünder übertönten die Antwort des Feindes. Der französische Kommandant wurde durch das Manöver der Truculent völlig überrascht, nur die Hälfte seiner Kanoniere hatte überhaupt ein Ziel erfaßt. Seine Segel waren nur ein Berg wild killender Leinwand. Die Toppgasten versuchten, sie zu zähmen, um der Truculent auf ihrem neuen Kurs zu folgen.

Am Kompaßhäuschen fühlte Bolitho das Deck zittern, als einige

Kugeln des Franzosen in den hölzernen Rumpf schlugen. Das Wasser spritzte hoch auf, als die Kettenkugeln wirkungslos herabfielen, die dem Rigg der Truculent gegolten hatten.

«Ziel erfassen an Steuerbord, Mr. Williams!«rief Poland nach vorn. Die Männer eilten an ihre Geschütze zurück, wie sie es oft genug exerziert hatten. Die Entfernung zur zweiten Fregatte war viel größer. Auch sie lag mit flatternden Segeln im Wind, ihr Kommandant versuchte das gleiche Manöver.

Williams musterte die Steuerbordbatterie, dann schnitt sein Degen durch die Luft.

«Feuer!»

Bolitho hielt den Atem an, als das Mündungsfeuer der Breitseite aus den Kanonen leckte. Eine gut geplante Salve, doch der Gegner lag noch im Wind und zeigte sich von vorn: ein schmales Ziel auf zwei Kabellängen Entfernung.

Wie ein großer Baum neigte sich der Fockmast der zweiten Fregatte langsam unter dem Druck des Windes nach vorn. Er neigte sich weiter, zog brechende Wanten und Stagen hinter sich her, und dann rauschte auch der Großmast nach unten und begrub das ganze Deck unter Leinwand und Trümmern. Wahrscheinlich hatte die letzte Breitseite der Truculent das besorgt. Doch auch ein einziger Glückstreffer aus einem Achtzehnpfünder reichte aus dafür.

Bolitho sah Poland ins rauchverschmierte Gesicht.»Jetzt stehen unsere Chancen schon besser, Kapitän.»

Die Matrosen an den Neunpfündern auf dem Achterdeck jubelten heiser. Allday sah durch den Pulverrauch, daß die erste Fregatte langsam wieder Fahrt aufnahm. Sie lag jetzt an Backbord, ihr Großsegel war aufgetucht, die anderen Segel hatten Kanonenschüsse durchlöchert. Bolitho hatte den Franzosen den Windvorteil genommen. So war das damals auch bei den Saintes gewesen auf ihrem ersten Schiff, der Phalarope. Bolitho war immer noch der wagemutige Schiffsführer von damals, trotz seines hohen Ranges.

Aber die Männer jubelten zu früh. Allday sah nach drüben und packte sein Entermesser fester. Hier kommt die Antwort, dachte er.

Williams hob seinen Degen und blickte nach achtern.»Feuerklar an Backbord, Sir!»

«Feuer!»

Das Schiff wankte und legte sich unter dem Rückstoß der

Kanonen auf die Seite. Der Wind trug ihren Pulverrauch zum Feind hinüber. Dann hörte es sich an, als rutsche die Truculent über ein Riff oder grabe sich in eine Sandbank. Aber es war die Breitseite des Gegners, die ihren Rumpf traf und durchs Rigg jaulte. Blöcke und gebrochenes Tauwerk fielen auf die Netze. Ein Seesoldat in rotem Rock stürzte vom Großmast und blieb mit ausgebreiteten Armen und Beinen im Netz über einer Stückmannschaft hängen.

Bolitho hustete wegen des Rauchs. Was Inskip unten in der Dunkelheit des Orlopdecks wohl machte? Die ersten Verwundeten wurden schon nach unten getragen, aber wie durch ein Wunder war nichts Wichtiges am Schiff getroffen worden. Nur Jenour schien aus der Fassung gebracht, er wischte sich immer wieder das Gesicht.

«Kapitän Poland, bitte ändern Sie Kurs und laufen Sie genau West«, befahl Bolitho. Aber als er durch den dünner werdenden Rauch nach ihm sah, lag Poland auf den Planken, ein Bein seltsam verbogen unter sich. Mit beiden Händen griff er sich an die Kehle, als wolle er das Blut stillen, das wie rote Farbe über seine Uniform strömte. Bolitho kniete sich neben ihn.»Bringen Sie ihn nach unten!«Aber Poland schüttelte so heftig den Kopf, daß Bolitho die offene Halswunde sah, die ihm ein Splitter gerissen hatte. Er starb, erstickte beim Sprechen an seinem eigenen Blut.»Gott verdamme Varian, den feigen Hund!«waren seine letzten Worte.

Leutnant Munro stand bleich neben Bolitho.»Ihr Kapitän ist gefallen«, sagte dieser.»Melden Sie das dem Ersten!»

Selbst noch im Tod blickten Polands Augen zornig und ablehnend. Er war mit einem schrecklichen Fluch auf den Lippen gestorben.

Bolitho sah zu Williams nach vorn — er stand da ohne Hut, mit dem Degen noch in der Faust. Ein Matrose bedeckte die Leiche Polands mit einem Stück Segeltuch.

Bolitho erhob sich und trat an die Querreling. Das Schiff erzitterte unter ihm, als eine weitere Breitseite abgefeuert wurde.»Varian ist wirklich ein feiger Hund«, murmelte er.

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